08.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 183 / Tagesordnungspunkt 14

Rainer SpieringSPD - Direktzahlungen-Durchführungsgesetz, Agrarpaket

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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Protschka, in Abwandlung eines Wortes bei uns zu Hause: Gott schütze uns vor Eis und Schnee – und vor Ihnen als Landwirtschaftsminister.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und übrigens – das meine ich jetzt ganz ernst –: Wenn ich deutscher Landwirt wäre und Sie im Rücken hätte, würde ich ausgesprochen vorsichtig sein und immer einen Rückspiegel in der Hand haben.

Zur Sache. Wir haben die Möglichkeit, 15 Prozent der Mittel in die zweite Säule umzuschichten. Ich persönlich hätte das gut gefunden; aber es gehört zum demokratischen Gebaren, zu akzeptieren, dass wir eine zweite Kammer haben. In dieser zweiten Kammer sitzen nahezu alle Parteien, die hier im Bundestag vertreten sind. Man hat sich auf 6 Prozent der Direktzahlungsmittel verständigt, und damit ist das für uns gut und in Ordnung, und wir werden dem selbstverständlich zustimmen.

Eines hat mich ein bisschen traurig gemacht: Es gab vom Bundesrat die Empfehlung, Geld für die Weidetierprämie zur Verfügung zu stellen. Das ist von hohem Interesse. Gerade der Kollege Dirk Wiese aus dem Hochsauerlandkreis, in dem eine starke Weidetierhaltung vorhanden ist, hätte das sehr gerne gesehen. Ich glaube, wir haben eine Chance vergeben, den Milchviehwirten und den Schäfern in Deutschland eine Hilfe für den Erhalt ihrer Höfe zu geben. Eine solche Hilfe ist nun leider nicht mehr möglich. Ich bedaure das sehr.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich auch! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bedauern allein hilft aber nicht!)

Für mich ist aber entscheidender als das Durchführungsgesetz, das wir heute verabschieden werden: Wie geht es mit der GAP 2021 weiter? Wir haben gestern Abend einen sehr interessanten Vortrag vom Deutschen Verband für Landschaftspflege gehört. In diesem ging es um einen Vorschlag, GAP-Mittel zu verwenden. Viele von denen, die hier heute vortragen, haben ihn gestern gehört.

(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Der Protschka nicht!)

– Herr Protschka nicht. – Der Vorschlag des Deutschen Verbandes für Landschaftspflege – ihn würde ich sehr ernst nehmen – verausgabt GAP-Mittel für Leistungen gegenüber dem Gemeinwohl. Ich fand an dem Vorschlag ausgesprochen spannend und charmant, dass die Mittel regional einsetzbar sind. Es sind 19 Punkte, die auch in Euro dotiert werden und die die Möglichkeit schaffen, je nach regionalen Unterschieden – unser Land ist ja landwirtschaftlich regional sehr unterschiedlich aufgestellt – den einzelnen Landwirt für seine Arbeit zu entlohnen. Ich fand das total spannend. Es ist die Möglichkeit, Kolleginnen und Kollegen, GAP-Mittel sinngerecht einzusetzen.

Bevor ich mich auf die Verteilung dieser Mittel konzentriere, noch mal die grundsätzliche Frage: Worüber verfügen wir hier? Das sind Steuermittel aus Deutschland für Europa, die zurückfließen. Für diese Steuermittel hat dieses Haus Verantwortung. Was machen wir mit dem Geld? Wir geben das Geld in die Fläche. Bis auf die 6 Prozent, die in die zweite Säule fließen – es kommt noch ein bisschen was dazu –, machen wir Flächenförderung.

Was ist die Folge davon? Ein Hof, der sich um Weidetiere kümmert, der kleinteilige Arbeit macht, der rackert und macht und tut, aber leider nur 15 Hektar hat, kriegt 4 500 Euro pro Jahr. Ein Grundbesitzer, der 1 000 Hektar hat, bekommt 300 000 Euro. Wenn mir jemand diese Systematik erklären kann, und zwar so, dass für mich einsehbar ist, dass es einen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Sinn hat, dann wäre ich dankbar. Aber ich kann die Erklärung nicht finden, beim besten Willen nicht.

(Hermann Färber [CDU/CSU]: Sie waren aber gestern auch da!)

– Hermann, ich komme ja gleich dazu. Wir machen ja hier keine Zwiesprache.

Was ich an der Geschichte besonders schlimm finde: Nicht ganz ohne Grund beklagen sich viele Landwirtinnen und Landwirte über die Macht des deutschen Lebensmitteleinzelhandels. Wenn ich jetzt in die neuen Bundesländer schaue und mir dort angucke, wer aufkauft, dann finde ich sie alle, besonders die Lidl-Gruppe und die Aldi-Gruppe. Das, was Sie hier protegieren, hilft den Lebensmitteleinzelhändlern, ihre Kapitalmacht noch stärker zu machen. Kolleginnen und Kollegen im ganzen Haus: Das können wir nicht wollen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie diesen Widerspruch auflösen wollen, dann tun Sie etwas, was klassisch sozialdemokratisch ist: Belohnen Sie Arbeit. Belohnen Sie gute Arbeit.

Jetzt zu den 19 Punkten des Deutschen Verbandes für Landschaftspflege. Je nach Region aufgeteilt – ob Lehmboden, Sandboden, Steinboden oder, oder; mit einer Klassifizierung – wird dort tätige Arbeit belohnt. Dann können Sie ein System entwickeln, bei dem Sie auch kleinere Höfe mit harter Arbeit viel, viel besser belohnen als die Schwarz-Gruppe, zu der auch Lidl gehört, oder wie sie alle heißen. Da hätte ich Sie gerne an meiner Seite.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme jetzt zu einem Thema, das mir besonders am Herzen liegt. Die Klassifizierung, die Sie vorgeschrieben haben, ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie schnell wirksam ist. Das heißt, nicht 1 000 Blätter ausfüllen, nicht Ordner füllen, sondern den Landwirtinnen und Landwirten mit ganz einfachen Mitteln die Möglichkeit geben, die Daten in einen Rechner einzugeben, digital an eine Behörde zu schicken, und zwei Stunden nachdem sie sie abgeschickt haben, bekommen sie eine digitale Antwort und wissen, wie viel Euro sie in ihrer Tasche haben. Dafür zu sorgen, das wäre Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland und nicht der Landwirte.

(Beifall bei der SPD)

Abschließend: Ich hatte heute Morgen den französischen Agrarattaché bei uns im Haus. Ich habe gefragt: Wie macht ihr das in Frankreich? Er gab eine erstaunliche Antwort: Kappung bei 100 000 Euro. – Ich habe gefragt: Was macht ihr mit dem übriggebliebenen Geld? – Und jetzt kommt für Sie alle die erstaunliche Antwort: Sie geben es in Tierhaltung und Biodiversität. Genau das muss unser Ansatz sein. Wenn wir die Borchert-Kommission am Leben halten wollen, wenn wir das Geld zur Verfügung stellen wollen, dann brauchen wir genau dasselbe, was die Franzosen haben: Kappung, keine Belohnung von Fläche, sondern Geld in die Arbeit und die Tierhaltung mithilfe der Digitalisierung. Wir können das schaffen. Hier sind die Franzosen ein sehr gutes Beispiel. Ich wäre sehr froh und dankbar, wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen würden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Gero Clemens Hocker.

(Beifall bei der FDP)

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7475797
Wahlperiode 19
Sitzung 183
Tagesordnungspunkt Direktzahlungen-Durchführungsgesetz, Agrarpaket
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