08.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 183 / Tagesordnungspunkt 12

Lothar BindingSPD - Übereinkommen zu steuerabkommensbezogenen Maßnahmen

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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Relativ komplizierter Titel und noch kompliziertere Unterüberschriften: DBA – Doppelbesteuerungsabkommen. Was ist das eigentlich? Da geht es eigentlich um faire Verabredungen. Ich nenne ein Beispiel: Jemand wohnt in Deutschland und arbeitet in Frankreich. Jetzt wird natürlich der deutsche Fiskus sagen: Du wohnst in Deutschland, wir wollen dein Einkommen besteuern. Und der französische Fiskus wird vielleicht sagen: Du arbeitest in Frankreich, auch wir wollen dein Einkommen besteuern. – Im Ergebnis wird das Einkommen dieser Person in Frankreich und Deutschland besteuert. Das nennen wir eine Doppelbesteuerung, und das soll nicht sein, weil es unfair ist. Es soll nur einmal besteuert werden, entweder in Deutschland oder in Frankreich. Oder man teilt die Besteuerungsrechte fair auf. Darum geht es bei Doppelbesteuerungsabkommen.

Jetzt gibt es natürlich auch Leute, die sagen: Ich wohne in Deutschland, arbeite aber in Frankreich, und weil ich in Frankreich arbeite, muss ich in Deutschland keine Steuern zahlen. – Der Gleiche könnte aber sagen: Ich arbeite zwar in Frankreich, wohne aber in Deutschland, also muss ich in Frankreich keine Steuern zahlen. – Dann bräuchte er in beiden Ländern keine Steuern zu zahlen. Das würden wir die doppelte Nichtbesteuerung nennen. Auch das soll vermieden werden. Es soll gerecht und fair zugehen.

Heute kümmern wir uns um alle mehr als 90 Doppelbesteuerungsabkommen mit vielen Ländern in der Welt, die wir simultan in eine Richtung entwickeln wollen, um eben die doppelte Nichtbesteuerung, aber auch die doppelte Besteuerung zu vermeiden. Da folgen wir den Empfehlungen unseres großen Anti-BEPS-Projekts, in dem es darum geht, Steuergestaltung, Steuerhinterziehung, Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung zu vermeiden.

Um dieses multilaterale Instrument, mit dem wir gleichzeitig alle über 90 Doppelbesteuerungsabkommen anpacken, geht es heute. Und ich muss sagen: Wir haben eine sehr interessante Debatte gehabt. Übrigens ist es eine ganz seltene Sache, dass das Gesetz so als Entwurf in den Bundestag kam, wie wir es heute auch beschließen. Fritz Güntzler hat im Ausschuss gesagt: Das Struck’sche Gesetz ist hier sozusagen außer Kraft gesetzt.

Aber wir hören trotzdem Kritik. Es heißt zum Beispiel: Das ist ein toller Ansatz, dass man alle Doppelbesteuerungsabkommen überschreiben will, aber jetzt überschreibt ihr doch nur 14 von über 90 Doppelbesteuerungsabkommen. – Das ist ein kleiner Nachteil, das stimmt. Man kann aber auch sagen: Es ist das zweistufige Verfahren: Erst machen wir einen völkerrechtlichen Vertrag, und dann wird es noch Anwendungsgesetze geben, die im Grunde im alten Verfahren bilateral abgewickelt werden. Das ist jedoch langsam, man verfehlt die Beschleunigung. Und dann kann man noch kritisieren: In dem multilateralen Instrument sind ganz viele Artikel, die viele Einzelheiten regeln, und auch davon übernehmen wir nicht alle, genau genommen nur acht von 39.

Nun hört sich das alles dramatisch an. Ich finde die Kritik trotzdem falsch, weil unser Ziel gleichwohl ist, die BEPS-Empfehlungen gegen Abkommensmissbrauch umzusetzen, und wenn das unser Ziel ist, dann brauchen wir auch einzelne Verabredungen. Für die simultane Anwendung aller Artikel des multilateralen Instruments müssen die einzelnen Artikel komplett übernommen werden. Aber man muss sagen: Aufgrund der DBAs besteht keine ausreichende Flexibilität, und deshalb ergibt sich diese Zweistufigkeit. Es wäre noch nicht mal möglich, durch eine Protokollerklärung diesen Mangel der mangelnden Flexibilität zu heilen.

Deshalb ist klar: Das MLI passt nicht für alle DBAs, nicht für alle Vertragspartner. Gleichwohl, die Diktion des MLI, die Idee des MLI machen wir uns zu eigen; das ist unsere Orientierung, unsere Richtschnur. Sie legen wir auch über alle Regelungen; aber wir modifizieren sie so, dass eine Anpassung unserer DBAs möglich ist. Und so kombinieren wir unser Vertragsnetzwerk mit den Zielsetzungen des MLI.

Die bilateralen Vereinbarungen werden in der zweiten Stufe bei den Anwendungsgesetzen definiert. Das ist eine sehr gute Sache, weil wir dadurch auf die Spezialbelange Deutschlands und die Spezialbelange all derer Rücksicht nehmen können, mit denen wir Verträge machen; denn mit denjenigen, mit denen wir Verträge machen, ist ja genau verabredet, dass wir das MLI nicht automatisch anwenden.

Und vielleicht, um noch kurz anzudeuten, wie komplex ein solches System ist: Wir nehmen mal an, ich habe eine deutsche Gesellschaft, die Anteile an einer französischen Gesellschaft hält. Nun verkauft die deutsche Gesellschaft Anteile der französischen Gesellschaft. Dann ist klar: Deutschland hat das Besteuerungsrecht, weil es aus dem Verkauf Gewinne in Deutschland gibt. Das ist eigentlich gar kein Problem.

Jetzt setzen wir mit dem MLI aber Dinge in Kraft – das ist eins deiner Lieblingsthemen oder deiner Beschwernisse gewesen –, nämlich in Artikel 13 Absatz 4 des OECD-Musterabkommens – das ist ganz wichtig, das muss sich jeder merken –, und plötzlich verschiebt sich das Besteuerungsrecht von Deutschland nach Frankreich, ohne dass überhaupt irgendjemand etwas gemacht hat bei den Unternehmen. Wenn sich eine solche Besteuerungsberechtigung verschiebt, dann nennen wir das eine Entstrickung. Das heißt, das Besteuerungsgut verlässt den deutschen Rechtsraum, geht nach Frankreich. Der deutsche Fiskus weiß nichts mehr davon. Allerdings müsste er dann, wenn jetzt plötzlich das Objekt in Frankreich ist, die an der Grenze entstehenden fiktiven stillen Reserven heben und versteuern. – Es hat aber gar keiner etwas gemacht.

Um diese Effekte zu vermeiden, dass man, ohne dass ein Mensch irgendetwas macht, nur durch Übernahme dieses MLI in unser deutsches Recht plötzlich zu einer Besteuerung herangezogen wird, nutzen wir ein Zauberwort: Diese Steuerpflichten werden gestundet, in unterschiedlicher Form. Daran merkt man schon, dass wir uns sehr detailliert damit auseinandersetzen, wie wir die zweite Stufe umsetzen, gleichwohl mit dem Ziel: keine doppelte Besteuerung und keine doppelte Nichtbesteuerung. Das ist Fairness im internationalen Vertragswesen. Deshalb ist das ein sehr gutes Gesetz, und ich bedanke mich bei allen, die hier zustimmen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU])

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Albrecht Glaser.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7475816
Wahlperiode 19
Sitzung 183
Tagesordnungspunkt Übereinkommen zu steuerabkommensbezogenen Maßnahmen
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