Dagmar SchmidtSPD - Revision der Europäischen Sozialcharta
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Europäische Sozialcharta ist schon ziemlich alt. Bereits 1961 ergänzte der Europarat mit ihr die Menschenrechtskonvention um Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rechte wie das Recht auf Arbeit, das Ziel der Vollbeschäftigung oder das Vereinigungsrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen, das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Schutz, das Recht auf Gesundheitsschutz oder das Recht der Menschen mit Behinderung auf Eigenständigkeit, soziale Eingliederung und Teilhabe am Leben der Gemeinschaft, das Diskriminierungsverbot aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht. 1996 wurde die Charta an die aktuellen Entwicklungen angepasst. Ehrlich gesagt, das ist jetzt auch schon lange her.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Allerdings!)
Aber wenn es um Sozialrechte geht, dann gibt es – vorsichtig formuliert – sehr unterschiedliche Auffassungen in der Großen Koalition; ich komme noch darauf.
Trotz allem ist es sehr wichtig und gut, dass wir heute die revidierte Europäische Sozialcharta ratifizieren; denn das, was darin aufgeschrieben ist, das ist für uns in Europa identitätsstiftend, es ist grundlegend für unser Selbstverständnis und für das, was unser europäisches Gesellschaftsmodell einzigartig macht: dass wir neben Freiheitsrechten eben auch soziale Rechte verwirklichen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und die wollen wir nicht nur in Deutschland verwirklicht sehen, sondern von Albanien bis Zypern, von Finnland bis Moldau.
Wir beschließen heute die Ratifizierung mit Vorbehalten. Vorbehalte werden dann angebracht, wenn man im Status quo die Anforderungen der Charta an die eigene Gesetzeslage nicht gewährleistet sieht und auch nicht vorhat, das zu ändern.
Da komme ich wieder auf die unterschiedlichen Auffassungen in der Koalition. Wenn es nach uns ginge, dürften wir durchaus etwas selbstbewusster sein, zum Beispiel, wenn es um die Vorbehalte 30 und 31 geht; da geht es um das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung und das Recht auf Wohnen. Da muss ich, wenn ich einmal in die anderen Länder des Europarats schaue, sagen: Da kann sich der deutsche Sozialstaat durchaus sehen lassen. Aber gleichzeitig steht es einem Land wie Deutschland gut an, das Thema Armutsbekämpfung als ein dauerhaftes zu betrachten. Diese Vorbehalte sind mir also unverständlich.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genauso sehe ich es bei den Artikeln 21 und 22, wo es um das Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf Unterrichtung und Anhörung und auf Beteiligung an der Verbesserung ihrer Arbeitsumwelt geht. Bisher haben diese Rechte nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben mit Betriebsrat. Wir leben aber in Zeiten der Transformation in weiten Teilen unserer Industrie und in Zeiten großer Anforderungen an unseren Sozialstaat und an alle, die darin arbeiten. 2018 hatten aber nur 40 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Betriebsrat. Im Gesundheitssektor – wir wissen alle um die Belastungen dort – sind es auch nur 51 Prozent. Ich finde es absolut nicht zu viel verlangt, auch dann, wenn es keinen Betriebsrat gibt, eine Betriebsversammlung zu machen und die Beschäftigten über Dinge, die sie nun wirklich unmittelbar angehen, zu informieren.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE])
Die Entwicklung der europäischen Sozialstaaten wird noch einen langen Weg gehen, ob in der EU oder im Europarat. Aber gerade in Zeiten des Wandels sind starke Sozialstaaten die Grundlage für Sicherheit und eine starke Wirtschaft, sie sind Grundlage für unseren Wohlstand. Deswegen ist es wichtig, trotz des einen oder anderen Vorbehalts die Europäische Sozialcharta heute zu ratifizieren.
An die Linkspartei.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Linke! Die Linkspartei gibt es seit 2007 nicht mehr!)
Auch mit den Vorbehalten ist die Ratifizierung ein wichtiges europäisches Signal und Bekenntnis. Der Ratifizierung nicht zuzustimmen, Europa nur zu wollen, wenn es genau so ist, wie man es selber möchte, das ist das Ende von Europa.
Deswegen bitte ich um eine breite Zustimmung.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das können wir selber entscheiden, wie wir abstimmen!)
– Ich darf euch aber bitten.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Natürlich darfst du!)
Vielen Dank, Dagmar Schmidt. – Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Sichert.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7475853 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 183 |
Tagesordnungspunkt | Revision der Europäischen Sozialcharta |