08.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 183 / Tagesordnungspunkt 23

Johann SaathoffSPD - Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Umsetzung einer EU-Richtlinie realisiert. Es geht um die marktgestützte Beschaffung von Systemdienstleistungen für Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber im Stromnetzbereich. Das ist komplizierter Kram. Man musste in der Vorbereitung aufpassen, dass man seine Rede nicht zu einer technischen Vorlesung werden lässt. Trotzdem kann ich uns hier einige technische Details nicht ersparen.

Herr Kotré, ich hatte mir fest vorgenommen, heute nicht über das zu sprechen, worum es in diesem Gesetzentwurf eigentlich geht, nämlich Blindleistungen, weil das so kompliziert ist; aber Kollege Lenkert hat das Wort eben zugerufen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt geht es gar nicht anders, als über Blindleistungen zu sprechen, allerdings nicht aus elektrotechnischer Sicht, sondern aufgrund Ihrer Rede, die Sie hier gehalten haben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Enrico Komning [AfD]: Das ist witzig! Sehr witzig!)

Es ist insgesamt komplizierter Kram – keine Frage. Aber in Ostfriesland sagt man: Beter stuur, as neet to begriepen, also, besser schwierig, als nicht zu verstehen.

Die EU möchte eine marktgestützte, diskriminierungsfreie Beschaffung von Systemdienstleistungen mit der Möglichkeit, Ausnahmen zuzulassen. Mit diesem Gesetzentwurf kümmern wir uns um die Ausnahmen. Genau diese Ausnahmen regeln wir im vorliegenden Gesetzentwurf absolut sinnvoll. Damit wird wieder einmal eines deutlich: Der Markt regelt eben nicht alles. Der Markt ist nicht überall die Lösung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zum Beispiel sind wir im Bereich der erneuerbaren Energien 2017 in Ausschreibungen eingestiegen in der Annahme, der Markt täte den erneuerbaren Energien gut. Heute sehen wir leider niedrige Ausbaumengen und eine Windenergieindustrie in Deutschland, die dringend Hilfe braucht, damit sie nicht das Schicksal der Solarindustrie ereilt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es geht hier um Arbeitsplätze, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es geht um Tausende von Menschen, die um ihre Existenz bangen. Diese Menschen haben es verdient, dass wir hier vernünftige Energiepolitik für sie machen.

(Beifall bei der SPD)

Und wir hätten die Chance dazu. Vielleicht gelingt uns ja in den anstehenden Verhandlungen zum EEG eine Kehrtwende – eine Kehrtwende aus energiepolitischen Gründen, eine Kehrtwende aus klimapolitischen Gründen und eine Kehrtwende aus industriepolitischen Gründen.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Aus asozialen Gründen!)

Die Menschen hätten es verdient. Vielleicht schaffen wir es hier und dort auch, Ausnahmen zu definieren – Stichwort: die EU-zulässige De-minimis-Regelung, also keine Ausschreibung für kleine Windparks bis zu 18 Megawatt.

Wenn wir über Netze sprechen, dann müssen wir uns vor Augen halten, welche Effizienzpotenziale wir derzeit auf den Leitungen liegen lassen, also welche Kostenreduktionspotenziale für die Bürgerinnen und Bürger derzeit nicht realisiert werden. Dazu gehören leider einige technische Beispiele.

Zum Beispiel die Interkonnektivität der Verteilnetze: Das heißt, wenn es einem Verteilnetz nicht so richtig gut geht, also wenn es zu viel oder zu wenig Strom im Netz hat, und ein anderes genau das gegenteilige Problem hat, dann können sie sich nicht direkt miteinander verbinden, sondern müssen das Übertragungsnetz nutzen, um diese Ausgleiche stattfinden zu lassen. Das ist nicht vorteilhaft. Die Verteilnetze müssen miteinander verbunden werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zum Beispiel das Temperaturmonitoring: Eine Stromleitung kann unterschiedlich viel Strom transportieren, je nach Außentemperatur. Wenn es kalt ist und der Wind weht, ist eine Leitung viel höher auszulasten, als wenn es 20 Grad sind und es windstill ist. Aber dafür braucht man Temperatursensoren an den Leitungen. Das heißt, man braucht ein flächendeckendes Temperaturmonitoring. Das haben wir in Deutschland aber nicht.

Zum Beispiel Hochtemperaturleiterseile: Das sind die gleichen Masten, die gleichen Seile – sie sehen jedenfalls so aus –, aber sie können wesentlich mehr Strom auf vorhandenen Trassen transportieren.

Zum Beispiel digitalisierte und automatisierte Betriebsführung. Wir reden hier über Effizienz. Das deutsche Übertragungsnetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird derzeit zu 27 Prozent genutzt – 27 Prozent, nicht mehr! Das hat etwas damit zu tun, dass wir es nicht effizient betreiben.

Zum Beispiel ungewollte europäische Ringflüsse; dazu hätte jetzt mein Kollege Ralph Lenkert viel sagen können. Das lasse ich dir fürs nächste Mal, Ralph; dann kannst du dazu etwas erzählen.

Zum Beispiel Netzbooster und innerdeutsche Phasenschieber, also Weichen, die man in Deutschland benutzt, um im Netz dafür zu sorgen, dass der Strom dahin transportiert wird, wo man ihn tatsächlich braucht. Diese beiden Dinge sollen und müssen bis 2022, 2023 kommen, und es wird sehr teuer, wenn das länger dauert. Ich hoffe, dass uns das gelingt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das sind nur einige technische Beispiele, die wir jetzt dringend angehen müssen, die genauso wichtig sind wie die Regelungen in diesem Gesetzentwurf. Wir müssen im Bereich Netz künstliche Intelligenz und Digitalisierung anreizen und nicht Beton und Kupfer wie in der Vergangenheit. Dadurch sparen wir mehr Geld für die Bürgerinnen und Bürger. Aber durch vermeintliche Vorteile, durch Markteinführung, wo kein Markt ist, sparen wir eben nicht, sondern wir geben im Zweifel mehr Geld aus.

Da wir gerade beim Übertragungsnetz sind, möchte ich die Gelegenheit nutzen und über die Rolle des Staates beim Bau und beim Betrieb von Stromnetzen im Übertragungsbereich sprechen. Die KfW hält – die meisten von uns wissen das – einen Anteil an 50Hertz, dem Übertragungsnetz im Osten der Bundesrepublik. Die Bundesregierung verhandelt derzeit mit dem niederländischen Staat über einen Anteil an TenneT.

(Zuruf des Abg. Reinhard Houben [FDP])

Das finde ich absolut notwendig und richtig. Wir Sozialdemokraten wollten ja schon immer die Deutsche Netz AG, aber damals hat die Mehrheit der Koalition die Privatisierung für besser gefunden.

(Zuruf von der SPD)

Da haben wir ihn wieder, den Glauben an den Markt. Wir Sozialdemokraten wollen mehr staatlichen Einfluss auf die Übertragungsnetze als kritische Infrastruktur; das wollen wir an dieser Stelle mal festhalten.

(Beifall bei der SPD)

Das wäre auch beim Ausbau der Breitbandnetze sinnvoll gewesen; aber die damalige Koalition hat sich für etwas anderes entschieden. Jetzt liegen wir beim Breitbandausbau weltweit auf Platz 33.

(Zuruf des Abg. René Röspel [SPD])

So ist es, wenn man an den Markt glaubt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist technisch, aber er ist gut ausbalanciert, und wir Sozialdemokraten stimmen ihm zu.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Sandra Weeser das Wort.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7475902
Wahlperiode 19
Sitzung 183
Tagesordnungspunkt Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes
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