Jochen HaugAfD - Bundeswahlgesetz (Wahlversammlungen)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor vier Wochen haben uns die Koalitionsfraktionen einen völlig missglückten Gesetzentwurf zur ersten Lesung vorgelegt. Dieser sah vor, dass durch Rechtsverordnung Regelungen getroffen werden können, die von einem bedeutsamen Prinzip unseres Wahlrechts abweichen, nämlich dem Prinzip, dass Kandidaten zur Bundestagswahl in Versammlungen bestimmt werden müssen. Der Entwurf ist den Koalitionsfraktionen hier völlig zu Recht um die Ohren gehauen worden. Er verstieß evident gegen rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien. Das scheint selbst Ihnen zu denken gegeben zu haben; denn Sie haben im Ausschuss einen Änderungsantrag zu Ihrem eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der von der Ursprungsfassung erheblich abweicht. So weit, so gut, könnte man meinen.
Weit gefehlt! Auch der Änderungsantrag wird verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht. Sie bleiben trotz aller Kritik dabei, dem Bundesinnenministerium durch Verordnungsermächtigung die Herrschaft über eine Neuregelung des Rechts der Kandidatenaufstellung zu überlassen. Zwar ist nunmehr eine Mitwirkung des Bundestages in Form einer Zustimmung vorgesehen – Herr Frieser hatte es gerade angesprochen –; diese wiederum soll aber in bestimmten Situationen entfallen. Dann soll der Wahlprüfungsausschuss über die Zustimmung entscheiden.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie scheinen sich im Zuge der Coronakrise an die Gesetzgebung durch ministerielle Notverordnungen zu gewöhnen.
(Beifall bei der AfD)
Deshalb sei Ihnen an dieser Stelle noch einmal ins Stammbuch geschrieben: Das Wahlrecht ist kein Feld, das der Rechtsschöpfung durch die Exekutive überlassen werden darf. Neuregelungen müssen vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst vorgenommen werden.
(Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach was! Was machen wir denn hier gerade?)
– Eine Verordnungsermächtigung; das ist Ihnen hoffentlich klar. – Bereits deshalb scheidet eine Zustimmung zu Ihrem Gesetzentwurf selbstverständlich aus.
Entscheidend ist hier allerdings noch ein weiterer grundlegender Aspekt, auf den wir in unserem Gegenantrag eingehen. Das Prinzip der Präsenz gehört zum Kernbestand demokratischer Spielregeln. Für die Demokratie ist der Austausch der Argumente und Meinungen unter Anwesenden fundamental.
(Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Keinesfalls darf dieses wichtige Element demokratischer Willensbildung unter Hinweis auf Corona leichtfertig geopfert werden. Über eines sind wir uns alle doch hoffentlich im Klaren: Das Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit Covid-19, wie wir es bis jetzt beobachten, rechtfertigt eine Abkehr vom Präsenzprinzip jedenfalls nicht.
(Beifall bei der AfD)
Stattdessen sollte sich der Gesetzgeber primär Gedanken darüber machen, wie die Durchführung von Versammlungen auch unter schwierigen Bedingungen ermöglicht werden kann. Dies entspricht auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, von dem Sie im Übrigen selbst in Ihrem Änderungsantrag sprechen. Hierfür ist ein wichtiger Schritt, dass den Parteien, und zwar allen Parteien, für ihre Versammlungen ausreichend große Hallen zur Verfügung gestellt werden – ausreichend groß, um Mindestabstände einhalten zu können.
Wir fordern in unserem Antrag, dass ein dahin gehender Rechtsanspruch geschaffen wird. Zu denken ist hierbei natürlich zunächst an die Heranziehung von Räumlichkeiten, die sich in öffentlicher Hand befinden. Darüber hinaus muss als Ultima Ratio aber auch ein Kontrahierungszwang für Betreiber privater Hallen in Betracht kommen. Dies ist im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie auch gerechtfertigt. Bemerkenswerterweise haben nun die Grünen diesen Gedanken von uns komplett übernommen, und zwar in ihrem Änderungsantrag, der gerade angesprochen worden ist. Dies verbinde ich mit einem Aufruf an die Koalitionsfraktionen, sich ebenfalls in unsere Richtung zu bewegen. Das wäre ein wahrer Dienst an der Demokratie.
Danke.
(Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir lieben die Vertragsfreiheit!)
Jetzt erhält das Wort der Kollege Mahmut Özdemir, SPD.
(Beifall bei der SPD)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 19 |
Session | 184 |
Agenda Item | Bundeswahlgesetz (Wahlversammlungen) |