09.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 184 / Zusatzpunkt 11

Martin RabanusSPD - Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Polen, Griechenland, die ehemalige Sowjetunion – darunter russische, ukrainische, belarussische Bürgerinnen und Bürger –, Litauen, Estland, Lettland, Norwegen, Dänemark, Niederlande, Ungarn, die damalige Tschechoslowakische Republik, Jugoslawien – diese Liste ist nicht abschließend –: Die Menschen all dieser Länder waren im Zweiten Weltkrieg Opfer des Vernichtungskrieges und der Besatzungsherrschaft der Nazis. Was sich mit diesen wenigen Worten leicht aussprechen lässt, ist in Wirklichkeit die Auslöschung von ganzen Landstrichen, die massenhafte Ermordung von Millionen Menschen zwischen den Pyrenäen und dem Ural und darüber hinaus. Menschen wurden getötet, litten Hunger, wurden heimat- und obdachlos. Ich spreche hier von den Opfern in der Zivilbevölkerung; in vielen der soeben genannten Länder übertrafen sie die militärischen Verluste um Millionen.

Die meisten dieser Schauplätze des Krieges, der deutschen Verbrechen sind uns heute unbekannt und bislang namenlos geblieben. Es ist wichtig, jetzt, im 81. Jahr nach dem Überfall auf Polen, diese Erinnerungslücke endlich zu schließen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich bin den Vorrednern sehr dankbar – Herr Kollege Hacker, Herr Kollege Korte, Herr Kollege Grundl –, dass Sie im Grunde und in der Sache hier verdeutlicht haben, dass die demokratischen Parteien in diesem Hause das übereinstimmend so sehen und auch übereinstimmend mit dem von der Koalition vorgelegten Antrag mitgehen werden. Dafür bin ich sehr dankbar. Deswegen finde ich es auch wenig zielführend, jetzt in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen, ob wir einen gemeinsamen Antrag gehabt haben oder hier haben oder nicht. Ich mache aus meinem Herzen da keine Mördergrube: Ich hätte das auch gut gefunden. Aber es ist anderen Mechanismen geschuldet, warum wir das nicht hinbekommen haben.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für Mechanismen? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es würde uns interessieren, was für Mechanismen das sind!)

Wichtig ist – und das ist das Entscheidende –, dass wir in der Sache einig sind; denn es geht um die Etablierung eines Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungszentrums. Wir wollen eine Stätte schaffen, die der Geschichte und Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und der Aufklärung über die Schrecken der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft gewidmet ist. Dort sollen den Menschen Informationen geboten werden, die historischen Zusammenhänge vermittelt werden und über das Leid in Deutschland und Europa aufgeklärt werden. Den Nachkommen der Opfer soll Raum für Gedenken und für Erinnerung gegeben werden; denn der Zweite Weltkrieg mit seinem millionenfachen Leid und Tod ist ein Sinnbild des Schreckens und der Verachtung des Lebens.

Der Antrag „fordert die Bundesregierung auf, einen Realisierungsvorschlag zur Errichtung einer Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungsstätte vorzulegen, die fokussiert der Geschichte und Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft gewidmet ist.“

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Sinne geht es um einen vernetzten Ansatz, keinen isolierten, keinen nationalen und erst recht keinen hierarchisierenden Ansatz bei der Erinnerung und dem Gedenken an die bisher eher vernachlässigten Gruppen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir setzen damit einen wichtigen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag um. Wir wollen mehr Aufklärung und Aufarbeitung. Ein Dokumentationszentrum zum Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges und bisher weniger beachteter Opfergruppen wird es ermöglichen, die einzelnen, oft national geprägten Aspekte miteinander in Verbindung zu setzen und in einer europäischen Perspektive zu vermitteln. Wir wollen Erinnern und Gedenken stärken, auch als Teil kultureller Bildung gegen Vergessen und für Demokratie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])

Das knüpft im Übrigen an unseren koalitionären Antrag zum Bundesprogramm „Jugend erinnert“ an, den wir im April des letzten Jahres auf den Weg gebracht haben und womit wir ein sehr erfolgreiches Bundesprogramm haben etablieren können. Denn die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus hat auch 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes größte Bedeutung für unsere demokratische Gesellschaft. Wir sehen es an vielen alltäglichen Beispielen. Die gesellschaftlichen Spannungen nehmen zu. Die gesellschaftliche Debatte über den Umgang Deutschlands mit der Vergangenheit hält an und muss auch anhalten.

Mit dem vorliegenden Antrag bekennt sich der Deutsche Bundestag – ich freue mich, dass wir das mit breiter Mehrheit tun – zu seiner Verantwortung, die Erinnerung an und die Aufklärung von nationalsozialistischem Unrecht für alle Generationen und über die eigenen Grenzen hinaus wachzuhalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU] und Thomas Hacker [FDP])

Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7476133
Wahlperiode 19
Sitzung 184
Tagesordnungspunkt Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs
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