Volker UllrichCDU/CSU - Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 6. Oktober ist Ruth Klüger verstorben. Unvergesslich bleiben ihre eindringlichen Worte als Holocaustüberlebende hier im Deutschen Bundestag am 27. Januar 2016. Wer hat jemals zuvor mit so großer Empathie über die Frauen gesprochen, die in den Konzentrationslagern zur Prostitution gezwungen wurden und denen dann demütigenderweise eine Entschädigung als Zwangsarbeiterinnen verwehrt blieb?
Ruth Klüger hat auch eine stärkere Erinnerungskultur an die Zwangsarbeiter im NS-Staat eingefordert. Zwangsarbeit war ein totales System der Unfreiheit und Willkür, Sklavenarbeit – um präzise zu sein –, bei der ein Menschenleben nichts galt. Dennoch haben die Opfer der Zwangsarbeit lange nicht die ihnen zustehende Berücksichtigung in unserer Gedenk- und Erinnerungskultur gefunden. – Das sind nur zwei Beispiele für Opfergruppen, die wir stärker wieder in das Blickfeld nehmen müssen.
Die Anerkennung der Shoah als singuläres Menschheitsverbrechen, die Aufarbeitung der Terrorherrschaft der NS-Zeit und die Auseinandersetzung mit dem Unrecht haben unserem Land übrigens erst ermöglicht, wieder respektiert und geachtet zu werden. Und dennoch bleibt ein Unwohlsein, wenn in unserer Erinnerungskultur Lücken bleiben: Gibt es etwa Perspektiven, die wir nicht ausreichend gesehen und gewürdigt haben? Laufen Opfergruppen Gefahr, vergessen zu werden, obwohl es kein Vergessen geben darf?
Der deutsche Vernichtungskrieg hat in vielen Staaten Europas gewütet. Für jedes besetzte Land und für alle Verbrechen des Krieges und des Rassenwahns müssen wir die Taten aus den Augen der Opfer sehen und deren Geschichte erzählen. Bislang selten benannte oder kaum bekannte Orte und ihre Gräueltaten sind stärker ins Licht zu rücken. Auch die unfassbar großen bekannten Verbrechen wie die Belagerung Leningrads oder die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto sind neu zu erzählen.
75 Jahre nach Ende des durch Deutschland entfesselten Krieges bleibt es aktuell, die Lehren aus der Geschichte nicht zu vergessen. Die heute Lebenden haben eine bleibende Verantwortung, der man sich nicht entziehen kann, so wenig, wie die Ereignisse ungeschehen gemacht werden können. Deswegen gilt – das muss eine zentrale Aussage hier im Deutschen Bundestag sein –: Wer vorzieht, zu vergessen, oder wer sich anschickt, zu relativieren, der nimmt unserem Land die Würde und stellt sich außerhalb des Bogens demokratischer Kräfte.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Erinnerungskultur hat in den letzten Jahren neue Akzente setzen können. Denkmäler an die verfolgten Roma und Sinti oder an die verfolgten Homosexuellen hier in Berlin ebenso wie das Entstehen vieler Initiativen für Stolpersteine in unseren Städten, eine neue Dokumentations- und Erinnerungsstätte für vergessene Opfergruppen und die Opfer des Vernichtungskrieges fügen sich hier gut ein. Ihr Entstehen ist geboten. Wir sollten das unterstützen und die Erinnerung würdevoll fortschreiben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7476135 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 184 |
Tagesordnungspunkt | Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs |