Elisabeth MotschmannCDU/CSU - Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg, die Erinnerung bleibt traurig. Aber die Notwendigkeit, diese Geschichte weiter aufzuarbeiten, eint dieses Hohe Haus, und das finde ich positiv.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Nicht alle!)
Ich nenne noch einmal die Zahlen, weil sie mehr sind als Zahlen: 60 Millionen Menschen starben, in der Mehrzahl Zivilisten. Das entspricht übrigens der Einwohnerzahl von Italien. 6 Millionen europäische Juden wurden systematisch ermordet, ausgelöscht, Millionen von Menschen wurden Opfer von Kriegsgräueln, Gewalt, Bomben, Vertreibung, Zwangsarbeit, Haft und Hunger: unermessliches Leiden, eine blutige Wunde unserer Geschichte.
Aber wir dürfen nicht nur über Zahlen reden, sondern sollten über eine traumatisierte Generation, über einzelne Schicksale, über einzelne Familien, über eine unfassbare Dimension sprechen, die wir eben noch nicht umfassend aufgearbeitet haben. Ich denke, wir haben eine große Verpflichtung, jungen Menschen diese Geschichte nahezubringen und immer wieder neu nahezubringen, um ihnen zu vermitteln: Nie wieder Krieg! Nie wieder Antisemitismus! Nie wieder Rassismus!
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Genau dafür ist dieses Dokumentationszentrum, das wir aufgrund dieses Antrags gemeinsam beschließen, gedacht, dass wir deutlich machen, dass wir schon viel in der Forschung, in den Schulen, in Ausstellungen, in Filmen und Gedenkstätten getan haben, aber dass es auch in der Zukunft noch viel zu tun gibt; denn mit der zeitlichen Distanz wächst natürlich auch das Nichtwissen, und es darf kein Nichtwissen über diese Zeit in unserem Land geben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Genau heute ist es ein Jahr her, dass in Halle ein Anschlag auf die Synagoge verübt wurde. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es ist beschämend für unser Land, dass es hier wieder Antisemitismus und solche Anschläge gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch deshalb brauchen wir eine lebendige Erzählung in einem solchen Dokumentationszentrum. Wie viele haben denn noch Kenntnis von den Untaten und Folgen der deutschen Besatzung in Polen, in der ehemaligen Sowjetunion, auf dem Balkan, aber auch in Griechenland, Belgien oder Norwegen, ja fast in ganz Europa? Wir haben es ja in vielen Reden heute gehört: Der Krieg hat den gesamten Kontinent in Mitleidenschaft gezogen und tiefe Spuren in den Familien hinterlassen. Wir wollen einen Ort, der im Dialog und im Austausch umfassend über den deutschen Vernichtungskrieg informiert, unterlegt von wissenschaftlicher Expertise.
Die Nationalsozialisten haben sehr viele Staaten besetzt. Die Besatzungsregime sahen aber jeweils anders aus. Jede Nation hat andere Erinnerungen, andere Erfahrungen, die sie damit verbindet. Die Erzählungen von den schrecklichen Kriegsverbrechen, zum Beispiel in Oradour-sur-Glane in Frankreich oder in Babi Jar in der Ukraine, könnten in eine systematische Darstellung der jeweiligen Besatzungsregime eingebettet werden.
Ich will schließen mit dem größten einzelnen Massenmord von 33 000 Juden in Babi Jar am 29. und 30. September 1941. Viele haben das gar nicht mehr im Bewusstsein. Dazu sagte eine Überlebende: „Ich nahm all meine Kraft zusammen und sprang in das Loch … Ich fiel auf Leichen, die sich dort in blutiger Masse befanden.“ So diese Frau.
Wenn man in diesem Zusammenhang, Herr Jongen, überhaupt das Wort „Erinnerungswahn“ in den Mund nimmt,
(Ulli Nissen [SPD]: Schäbig!)
dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Das kann nicht sein.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Sagen Sie das Herrn Broder!)
Ich danke allen, die mitgearbeitet haben: Ihnen, Kollegin Schieder, sowie den Kolleginnen und Kollegen in allen Parteien. Ich denke, wir machen das gemeinsam; ob mit zwei Anträgen oder mit einem, das ist hier nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir im Anliegen und im Ziel alle gemeinsam weitermachen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Damit schließe ich die Aussprache.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7476136 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 184 |
Tagesordnungspunkt | Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs |