Matthias MierschSPD - Aktuelle Stunde - Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Agrarpolitik ist ein weites und ein komplexes Feld. Frau Bundesministerin, ich kann mir schon vorstellen, welche Herkulesaufgabe vor Ihnen lag, als Sie die unterschiedlichsten Interessen innerhalb der Europäischen Union, auch bei dieser Konferenz, gespürt haben. Wir haben nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa eine völlig unterschiedlich strukturierte Landwirtschaft. Deswegen, glaube ich, geht das alles auch nur auf dem Kompromisswege, und ich bin auch immer vorsichtig, den Kompromiss als solchen zu kritisieren. Aber ich erwarte, dass wir sehr deutlich artikulieren, ob es ein Kompromiss ist, von dem wir sagen: „Das ist super, das ist der Paradigmenwechsel“, oder ob es ein Kompromiss ist, von dem wir sagen: Das reicht schlichtweg nicht; und wir müssen im weiteren Verfahren viel mehr rausholen. – Dafür ist die SPD-Bundestagsfraktion, liebe Kollegin Klöckner.
(Beifall bei der SPD)
Denn eines ist doch klar – wir erleben es seit Jahrzehnten –: Dieses System ist krank. Wir überfordern die Landwirte, wir überfordern die Tiere, wir überfordern den Boden. Wir haben in Deutschland doch in den letzten Jahren erlebt, dass die bäuerlichen Betriebe, von denen Sie sprechen, in die Knie gegangen sind, dass sie längst mit international tätigen Agrarkonzernen konkurrieren müssen.
Wenn man ein System als Schlüssel nimmt, dann sind doch die Steuergelder die Stellschraube, die wir einsetzen. Wir reden hier über den größten Anteil an Subventionen im europäischen Haushalt. Ein Drittel der Steuergelder gehen in die Landwirtschaft. Hier muss man doch sagen: Wenn öffentliche Gelder gezahlt werden, dann müssen öffentliche Güter geschützt werden. Das muss der oberste Grundsatz sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn eines ist doch klar: Wenn wir uns hier nach langem Ringen während der letzten zweieinhalb Jahre jetzt auf den Weg machen und wir beispielsweise auch die Arbeitsergebnisse der Borchert-Kommission in Gesetze gießen wollen – mehr Tierwohl –, dann stehen wir doch vor einem Riesenproblem: Wenn wir die Stellschrauben hier national setzen, aber eine europäische Förderkulisse haben, die nicht am Tierwohl, die nicht am Klimaschutz im weiten Sinne orientiert ist, dann kriegen wir eine Wettbewerbsverzerrung. Dieses Ergebnis können wir doch nicht gutheißen, wenn wir darüber hier im Deutschen Bundestag diskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Um ein paar Zeugen anzuführen, dass das eben nicht der Paradigmenwechsel ist, dass es nicht ausreichend ist: Ihr eigener Wissenschaftlicher Beirat kritisiert doch dieses Ergebnis, weil dessen Mitglieder genau diese Kritik teilen, weil sie sehen, es ist nicht der Paradigmenwechsel, es geht immer noch nach dem Immer-höher, Immer-weiter, was letztlich in eine Sackgasse führt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Dieser Wissenschaftliche Beirat kritisiert Sie. Und selbst die Kommission sagt: Das, was wir mit Green Deal gemeint haben, wird nicht in diesem wichtigen Haushaltsposten abgebildet.
Deswegen: Wer auch deutsche Landwirtschaft, wer bäuerliche Landwirtschaft wirklich schützen will, der muss diesem Immer-höher, Immer-weiter Grenzen setzen, indem er erstens die öffentlichen Gelder nach öffentlichen Gütern verteilt und zweitens – das will ich hier auch noch einmal sagen – neben den Landwirten, neben Tieren, neben Boden auch betrachtet, was augenblicklich in Deutschland los ist, beispielsweise wenn es um die Ausbeutung in der Fleischindustrie geht. Auch hier brauchen wir Gesetze, auch hier brauchen wir einen klaren Rahmen. Das will ich an dieser Stelle noch mal deutlich sagen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])
Deswegen: Wer sich hierhinstellt und sagt: „Das ist der große Wurf“,
(Kees de Vries [CDU/CSU]: Hat völlig recht!)
der hat eben gerade nicht recht, sondern riskiert,
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diskutiert das doch in der Koalition!)
dass er den Landwirten weiter etwas vormacht. Und Herr de Vries, Sie selbst kommen doch bei der Landwirtschaft längst unter Druck, weil es viel zu offenkundig ist, weil der normale bäuerliche Betrieb doch spürt, dass Sie etwas vormachen, was nicht stimmt. Die Realität sieht doch anders aus.
Und deswegen: Bitte lassen Sie uns im Trilogverfahren, was sich jetzt anschließt, an der Seite der Kommission kämpfen. Es muss wirklich noch viel, viel mehr Schutz öffentlicher Güter in dieses System hinein. Dieser Schutz ist wichtig, und wir dürfen Steuergelder nicht so pauschal ausgeben, wie es augenblicklich in einem der wichtigsten Haushaltsgebiete für die nächsten Jahre wieder angelegt ist. Es braucht eine Änderung, wenn wir auch die deutsche bäuerliche Landwirtschaft tatsächlich in diesem großen Konzert schützen und weiterentwickeln wollen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt eine starke Gegenrede gegen Frau Klöckner! – Zuruf von der FDP: So viel Inhaltsleere in einer Rede!)
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Carina Konrad das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 19 |
Session | 185 |
Agenda Item | Aktuelle Stunde - Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik |