Esther DilcherSPD - Abstrakte Normenkontrolle Nachtragshaushaltsgesetz
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Seit März 2020 befinden wir uns in einer Ausnahmesituation.
Das Schreckgespenst heißt ausnahmsweise nicht nur AfD, sondern auch Corona!
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Sehr witzig!)
Die Abgeordneten der AfD wollen mit ihrem Antrag feststellen lassen, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 das Grundgesetz und haushaltsrechtliche Grundsätze verletze und dieser Nachtragshaushalt daher verfassungswidrig sei.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Genau das ist er!)
Genau diese Diskussion haben wir bereits in der 170. Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 ausführlich geführt mit dem Ergebnis, dass wir diesen Nachtragshaushalt verabschiedet haben, und das ist auch gut so.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Hilfen greifen zwischenzeitlich, und diese Tatsache sollte man im Auge behalten. Wir und insbesondere unser Finanzminister Olaf Scholz haben in diesen letzten Monaten sehr viel Zuspruch und Dank dafür erhalten,
(Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Ernsthaft?)
wie schnell und unbürokratisch geholfen wurde und wir dieses Land durch eine der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrisen geführt haben.
Einschneidende Maßnahmen in unserem gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Leben haben dazu geführt, dass wir ein Zusammenbrechen unseres Gesundheitssystems und überdurchschnittlich viele Schwerkranke und Tote verhindern konnten. Gestern wurden leider neue Maßnahmen beschlossen, die wir nicht verhindern konnten,
(Otto Fricke [FDP]: Oha! Das ist bemerkenswert, wenn man das als Parlamentarier sagt!)
da durch die Lockerungen in der Sommerpause das Infektionsgeschehen wieder bedrohlich zugenommen hat.
(Zuruf von der AfD: So ein Unfug!)
Mir persönlich macht das Angst. In meiner Heimatstadt haben sich in einer Dialysestation mehrere Patienten angesteckt und sind dann an den Folgen der Coronainfektion verstorben. In diesen Zusammenhängen überhaupt darüber nachzudenken, wie es teilweise aus Ihren Reihen kam, ob diese Patienten aufgrund ihrer chronischen Erkrankungen eventuell in den nächsten Jahren sowieso gestorben wären, finde ich beschämend.
Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 Grundgesetz erlaubt dem Bund, bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, mit einem Beschluss des Bundestages die Kreditobergrenze zu überschreiten, also die sogenannte Schuldenbremse auszusetzen. Dabei kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Außerdem muss die Kreditaufnahme nach Ausmaß und Zweck dazu bestimmt und geeignet sein, die Notsituation zu beseitigen. Die Pandemie rechtfertigt aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion und auch aus Sicht des Koalitionspartners die Feststellung einer Notsituation und ist daher ein Grund, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse auszusetzen.
Deshalb haben wir in zwei Nachtragshaushalten Geld in die Hand genommen. Wir wollen zeitnah nach der Pandemie mindestens dort stehen, wo Deutschland als Wirtschaftsstandort mit ausgeprägten sozialen Strukturen, mit attraktiven Arbeitsplätzen, mit gleichwertigen Lebensverhältnissen vor der Pandemie gestanden hat. Und wir wollen langfristig durch die Pandemie nicht unsere Ziele in den Bereichen der Digitalisierung, des Klimawandels und der erneuerbaren Energien, der Mobilität, der Entlastung von Familien und der Handlungsfähigkeit der Kommunen, unsere Wettbewerbsfähigkeit und ein starkes Europa aus dem Blick verlieren oder auch nur gefährden.
Und jetzt kommt die AfD um die Ecke, die sich immer zum Hüter der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, zum Vertreter der braven Bürgerinnen und Bürger erklärt, und stellt diese Maßnahmen infrage. Sie stellt damit aber auch infrage, dass die Betroffenen finanzielle Hilfen erhalten haben. Sie haben mit Ihrer konsequenten Verweigerungshaltung gegenüber den AHA-Regeln unter anderem mit dazu beigetragen, dass wir erneut drastische Maßnahmen hinnehmen müssen.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Das ist ja nun wirklich bodenlos, Frau Dilcher!)
Menschen mit Ihrer Haltung haben zur Gefährdung der Mehrheit der Bevölkerung beigetragen!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich finde es empörend, dass der Haushaltsausschussvorsitzende, der wie wir alle Vorbildfunktion hat, am Wochenende an einer Großveranstaltung ohne Abstand, ohne Maske teilnimmt oder sich mit einigen Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion vor dem Banner der Linksfraktion unter Verstoß gegen die Anordnung des Bundestagspräsidenten hier in diesem Haus ohne Mund-Nase-Bedeckung und ohne Abstand fotogen in Szene setzt.
(Dennis Rohde [SPD]: Der sollte sich schämen!)
Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.
Sie wollen unser Gesetz durch eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen, wozu Sie ein Viertel der Stimmen des Deutschen Bundestages brauchen. Verlassen Sie sich darauf: Die Stimmen der Koalition bekommen Sie dafür nicht.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja, das ist klar! Sie verklagen ja nicht sich selber!)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Kollegin Esther Dilcher. – Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Peter Boehringer.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7480555 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 186 |
Tagesordnungspunkt | Abstrakte Normenkontrolle Nachtragshaushaltsgesetz |