30.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 187 / Zusatzpunkt 11

Christine Lambrecht - Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt wohl kaum Verbrechen, die so widerlich sind und die uns alle so erschüttern, wenn über sie berichtet wird, wie sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Sie trifft uns ins Mark, und sie fordert uns zu Recht auf, zu handeln – mit allen Möglichkeiten, die wir haben. Deswegen bin ich froh, Ihnen heute einen Gesetzentwurf vorstellen zu können, der genau diesen Ansatz in einem Dreiklang verfolgt: nämlich dass das Unrecht in den Strafen abgebildet wird, dass wir dafür sorgen, dass Ermittlerinnen und Ermittler jede Möglichkeit bekommen, um solche schrecklichen Straftaten verhindern zu können, und dass wir uns auch als Gesellschaft stärken, dass wir, wenn Kinder entsprechende Signale senden, diese Signale auch wahrnehmen, nicht darüber hinweghören und die Kinder in ihrem unermesslichen Leid dann alleine lassen. Genau dieser Dreiklang ist wichtig. Es reicht nicht, alleine mit Strafrecht zu reagieren, sondern wir brauchen diesen Dreiklang, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In diesem Gesetzentwurf, über den wir jetzt in erster Lesung beraten, haben wir einen anderen Begriff gewählt. Mir war es wichtig, dass das in Zukunft so benannt wird, was es auch ist. Es geht nämlich nicht um den sexuellen Missbrauch von Kindern, sondern es geht um sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Der Begriff „Missbrauch“, meine Damen und Herren, suggeriert immer, es gebe auch einen „Gebrauch“ von Kindern. Aber Kinder sind Menschen, und die kann man nicht gebrauchen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist wichtig, dass das auch in der Sprache deutlich wird. Hier geht es um nichts anderes als um ganz klare Gewalt gegen Kinder. Deswegen muss das auch genauso benannt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zu den drei Punkten, die ich schon angesprochen habe:

Erstens: schärfere Strafen. Zu der Zeit, als ganz aufgeregt und auch in einer sehr aufgeheizten Stimmung über diese Taten berichtet wurde, ging es alleine ums Strafrecht, ging es alleine um höhere Strafen. Manchmal hatte ich so das Gefühl, es sei so ein bisschen ein Überbietungswettbewerb. Aber mir ist es wichtig, dass in den Strafen, die jetzt möglich sein werden, das Unrecht der Tat deutlich wird. Deswegen werden in Zukunft alle Taten sexualisierter Gewalt gegen Kinder als Verbrechen eingestuft. Das bedeutet, die Verfahren können nicht mehr eingestellt werden. Das ist extrem wichtig, weil es ein völlig falsches Signal ist, wenn solche Taten betreffende Verfahren wegen Geringfügigkeit der Schuld oder mangelndem öffentlichen Interesse eingestellt werden, meine Damen und Herren. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Jeder der Täter muss sich dessen auch bewusst sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Gleiche gilt auch, wenn mit dem Verkauf von Bildern, die von sexualisierter Gewalt gemacht werden und die vertrieben werden, auch noch Geld gemacht wird. Ebenfalls wird in Zukunft auch der Besitz solcher Bilder ohne Wenn und Aber als Verbrechen eingestuft. Da wird nichts mehr eingestellt, meine Damen und Herren.

Ganz wichtig ist mir bei dieser Veränderung im Strafrecht Folgendes: Es gab bei sexualisierter Gewalt – früher hieß es ja „sexueller Missbrauch“ – einen minderschweren Fall. Bei einem schweren „sexuellen Missbrauch“ gab es einen minderschweren Fall! Ich muss sagen, darüber bin ich lange gestolpert. Diese Einstufungsmöglichkeit haben wir gestrichen, und das ist richtig so. Das wird in Zukunft dazu führen, dass eine Absurdität, wie sie bei der Beschäftigung mit diesem Thema aufgefallen ist, in Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Es gab bisher nämlich die Möglichkeit, bei schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern Geldstrafen zu verhängen. Meine Damen und Herren, damit ist in Zukunft Schluss! Das Unrecht muss sich in der Strafe widerspiegeln.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich wurde die Tage in einer Ausschusssitzung gefragt, ob ich denn glauben würde, dass eine Verschärfung des Strafrechts dazu führen wird, dass es weniger solcher Straftaten geben werde. Das kann ich nicht sagen. Ich vermute: eher nicht, weil diese Täter sehr perfide, sehr planmäßig vorgehen und sich nicht an den Strafen orientieren. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir nicht beim Strafrecht stehen bleiben, sondern dass wir weitergehen, dass wir den Ermittlerinnen und Ermittlern helfen, dass sie ihre Arbeit machen können, dass sie den Druck erhöhen können.

Wir haben ihnen schon die Möglichkeit gegeben, computergenerierte Bilder zu nutzen, damit sie in entsprechenden Chatrooms im Darknet Eintritt bekommen. Das war ganz wichtig. Aber wir gehen weiter. In Zukunft wird es bei solchen Straftaten von daher möglich sein, Telekommunikationsüberwachung anzuwenden – ja, das ist in Zukunft möglich –, die Onlinedurchsuchung anzuwenden – ja, das ist in Zukunft möglich –

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und notwendig!)

und auch Zugriff auf gespeicherte Verkehrsdaten zu bekommen. Meine Damen und Herren, wir müssen den Ermittlern die Mittel in die Hand geben, um solche widerlichen Täter aufzuspüren. Das muss möglich sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir müssen darüber hinaus dafür sorgen, dass die Opfer gestärkt werden. Sie müssen deshalb gestärkt werden, weil sie manchmal in einer ganz schwierigen Situation sind. Es geht dabei nämlich darum, was nach diesen Taten passiert: Müssen sie aussagen, oder können sie in Therapie? Das ist manchmal eine Zwickmühle. Zuweilen dauern Verfahren sehr lange, und Opfer können nicht in Therapie gehen, damit die Aussage nicht verfälscht wird. Deswegen wird es in Zukunft ein Beschleunigungsgebot für die Verfahren bei solchen Taten geben. Solche Verfahren sollen also bevorzugt behandelt und beschleunigt werden, damit dann die Opfer entsprechend die Therapien bekommen können, die sie dringend brauchen. Deswegen gilt in Zukunft ein Beschleunigungsgebot, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darüber hinaus müssen wir sensibler werden, die gesamte Gesellschaft, aber auch all diejenigen, die in der Justiz mit Kindern zu tun haben, denen solches Leid widerfahren ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir bei der Qualifikation, bei den Anforderungen ganz klare Ziele setzen. Wir werden dafür sorgen, dass Jugendstaatsanwältinnen und ‑anwälte, Familienrichterinnen und ‑richter, Verfahrensbeistände die entsprechende Qualifikation haben; denn diese haben wir als Juristinnen und Juristen nicht, wenn wir aus dem Studium kommen. Es ist notwendig, dass wir in Kinderpsychologie geschult werden, damit wir wissen, wie wir mit solch einem Opfer umzugehen haben, wie wir Aussagen zu verstehen und einzuordnen haben. All das ist wichtig. Dafür will ich eine feste gesetzliche Grundlage geben. Meine Damen und Herren, das ist notwendig, damit Opfer sich öffnen können, ihre Sicht der Dinge vortragen können und Gehör finden.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus wird in Zukunft – auch das ist wichtig – das Familiengericht alle Kinder in solchen Situationen regelmäßig anhören müssen, unabhängig vom Alter. Hier drehen wir die Situation um. In Zukunft müssen alle Kinder angehört werden, auch die unter 14-Jährigen, und wenn es nicht gemacht wird, muss das begründet werden. Das ist eine völlige Umkehrung. Sie ist aber wichtig, damit Kinder ihre Sicht der Dinge beschreiben können.

Meine Damen und Herren, es ist ein breiter Strauß an Maßnahmen. Es geht eben nicht allein um Strafverschärfungen – die sind wichtig, um das Unrecht abzubilden –, sondern wir alle als Gesellschaft müssen sensibler werden, müssen auf diese Signale reagieren.

Ich will zum Schluss den Unabhängigen Beauftragten, Herrn Rörig, zitieren, der uns allen ins Stammbuch geschrieben hat, dass es nicht sein kann, dass ein Kind, dem so schreckliches Leid widerfahren ist, in der Regel sieben Stellen anlaufen muss, bevor ihm geglaubt wird. Das muss sich ändern. Wir alle müssen sensibler werden im Interesse unserer Kinder.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist der Kollege Tobias Peterka, AfD.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7480600
Wahlperiode 19
Sitzung 187
Tagesordnungspunkt Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder
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