30.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 187 / Zusatzpunkt 11

Jürgen MartensFDP - Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin, Sie haben in Ihrer Rede dankenswerterweise klargemacht, warum die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf hier einbringt. Der Kollege Frei hat auch noch mal dargestellt, warum es uns alle etwas angeht, warum wir uns darum kümmern müssen, dass wir uns mit damit – früher hieß es „Kindesmissbrauch“; jetzt heißt es „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ – beschäftigen. Allein der Wechsel der Bezeichnung ist richtig und notwendig. Meine Damen und Herren, viel zu lange ist von einem Missbrauch gesprochen worden, als gäbe es irgendeinen zulässigen Gebrauch von Kindern. Nein, das ist sexualisierte Gewalt, und Kinderpornografie ist die Dokumentation solcher Taten. In der Tat müssen wir dagegen vorgehen, auch mit den Mitteln des Strafrechts, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns einig in der Notwendigkeit, zu handeln, um solche Taten zu bestrafen, zu verfolgen und – nach meiner Auffassung wo immer es geht – zu verhindern. Wir müssen uns dabei die Fragen stellen: Tun wir immer das Richtige, auch mit diesem Gesetzentwurf? Antworten wir tatsächlich auf Strafbarkeitslücken, die es unabdingbar machen, dass wir handeln?

Herr Peterka, wenn Sie davon sprechen, dass wir den Mindeststrafrahmen bei Kindesmissbrauch anheben mussten und in diesem Zusammenhang zur Rechtfertigung die Taten von Lügde oder Bergisch Gladbach anführen, dann ist das leider völlig verfehlt. Bei diesen Taten geht es mitnichten um irgendwelche Mindeststrafen. Diese Taten waren sämtlich im obersten Bereich, im schwersten Bereich dieser Kriminalität angesiedelt. Sie sind auch entsprechend geahndet worden. Die Täter sind zu Freiheitsstrafen von bis zu 14,5 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Es soll also keiner sagen, dass es nicht heute bereits möglich wäre, auf solche schwersten Taten schuld- und tatangemessen zu reagieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nebenbei: Den Nachweis der Erforderlichkeit, den Besitz von Kindersexpuppen unter Strafe zu stellen, Herr Kollege Frei, sind Sie uns schuldig geblieben. Im Gegenteil: Die Sanktionsforschung belegt, dass der Besitz solcher Puppen nicht die Hemmschwelle für solche Taten senkt.

(Widerspruch der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU] und Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

Auch hier müssten wir wirklich gucken, wie wir uns verhalten, wenn wir eine evidenzbasierte Strafrechtspolitik machen. Aber das sind Diskussionen, die wir im Ausschuss führen, meine Damen und Herren.

Richtig ist es, den Strafrahmen etwa beim banden- und gewerbsmäßigen Handel mit Kinderpornografie zu erhöhen. Da sollten wir in der Tat strenger vorgehen.

Wenn wir die Grundtatbestände der §§ 184b und 176 Strafgesetzbuch zu Verbrechen hochstufen, müssen wir aber auch wissen, dass wir uns damit Folgeprobleme einhandeln. Das ist dann die Rückseite der von Ihnen geschilderten Medaille: Verfahrenseinstellungen sind nicht mehr möglich, es ist kein Strafbefehlsverfahren mehr möglich; auch das wird es nicht mehr geben. Aber damit ist nicht die Frage beantwortet, ob wir tatsächlich schuld- und strafangemessen auch in Bagatellfällen vorgehen. Es besteht hier die Gefahr der sogenannten Überstrafe.

Vor allen Dingen gilt eins: Sie werden gezwungen, in jedem Fall eine Hauptverhandlung durchzuführen, mit dem gesamten organisatorischen Arbeitsaufwand, den so etwas bei Gerichten und Staatsanwaltschaften erfordert. Wenn Sie dann nicht dafür sorgen, dass dafür auch mehr Richter und Staatsanwälte zur Verfügung stehen, werden Sie erreichen, dass die Anzahl der behandelten Verfahren sinkt und damit die Effizienz der Strafverfolgung abnimmt. Das wäre ein Bärendienst an unserem gemeinsamen Interesse, Kindesmissbrauch und sexualisierte Gewalt einzudämmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP – Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Es ist eine Frage der Wertschätzung, welche Verfahren verhandelt werden!)

Das Schreiben und Verschärfen von Gesetzen ist wohl wohlfeil und billig.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Uiuiui!)

Das Notwendige ist dagegen nicht, zum Beispiel auch im Bereich der Ermittlungsbehörden, neue Kompetenzen und Befugnisse zu schaffen, sondern überhaupt dafür zu sorgen, dass diese Behörden im Rahmen der bestehenden Befugnisse personell und sachlich ausreichend ausgestattet sind, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Neue Befugnisse alleine nützen nichts, wenn keine Beamten da sind, die sie ausüben,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und keine Computerprogramme zur Verfügung stehen, mit denen diese Taten aufgeklärt werden könnten. In den jüngsten Fällen wurde davon gesprochen, dass Datenbestände im Terabyte-Bereich zu sichten wären. Wenn das ein Beamter händisch machen müsste, wäre dieser mehr als zehn Jahre damit beschäftigt, meine Damen und Herren. Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass das so nicht geht.

Ich habe schon gesagt: Das Strafrecht alleine wird nicht reichen. Und es reicht nicht. Wir sind verpflichtet – und das ist im Gesetzentwurf ja auch vorgesehen –, Qualifikationsanforderungen zu benennen. Das ist der richtige Weg. Aber die FDP hat in einem Papier noch weiter gehende Vorschläge. Wir verlangen nicht nur die Qualifikation von Mitarbeitern, sondern auch eine engere Zusammenarbeit von Jugendgerichten mit den Jugendhilfebehörden, der Ermittlungsbehörden mit den Jugendhilfebehörden. Wir wollen eine andere Ausstattung der Ermittlungsbehörden und der Jugendhilfe. Wir wollen, kurz gesagt, nicht den Schwerpunkt auf die strafrechtliche Verfolgung und Zurückdrängung dieser Taten legen, sondern auf die Prävention. Aus unserer Sicht ist das Wertvollste, was wir leisten können, dass wir solche Taten verhindern. Denn wenn etwas verurteilungswürdig ist, dann ist es vor allem verhinderungswürdig. Das sollten wir auch in der kommenden Diskussion im Ausschuss immer im Kopf behalten, wenn wir sagen: Wir wollen Strafrecht verschärfen oder verändern.

Wir sind zugleich in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Ermittelnden und dass die, die Prävention betreiben, auch sachgerecht personell ausgestattet werden. Es wäre schön gewesen, wenn ich im Haushalt des Bundesjustizministeriums dazu wenigstens ansatzweise Mittel entdeckt hätte, etwa für Präventionsprogramme wie das Programm „Kein Täter werden“ und andere Programme, die sich der Prävention verschrieben haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Die Kollegin Pantel, CDU/CSU, würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ja, bitte.

Dann haben Sie das Wort, Frau Kollegin.

Herzlichen Dank. – Sie sprechen gerade von Prävention. Da frage ich Sie, ob Sie wissen, dass überall bei den Tätern bei uns in Nordrhein-Westfalen, die sich an Kindern vergangen haben, Kindersexpuppen gefunden wurden, und auch, ob Sie wissen, dass es dazu sehr wohl psychologische Empfehlungen und Briefe und Schreiben gibt, die besagen, dass die Täter dort die Tat einüben, die sie dann an Kindern vollbringen wollen.

Sie sprechen gerade von Prävention. Für meine Begriffe ist das Verbot von Kindersexpuppen die erste Präventionsmaßnahme, die man hier vornehmen müsste. Wieso stehen Sie dem so entgegen? Kennen Sie die ganzen Fälle und Analysen nicht?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Kollegin, es ist sicherlich so, dass in diesen Fällen auch solche Gegenstände vor Ort gefunden werden, aber daraus kann man noch keine Kausalzusammenhänge herstellen, dass derjenige, der so etwas hat, automatisch dann auch zum Täter solcher Taten wird. Das ist nicht belegt. Genauso wenig war es früher belegt, dass derjenige – –

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das kann aber jetzt nicht wahr sein!)

– Nein, es findet statt. Aber der automatische Rückschluss auf eine Kausalbeziehung ist falsch. Nicht jeder wird deswegen – deswegen! – zum Täter. Das ist Ausdruck einer Tatgeneigtheit, ja, aber es ist nicht die Ursache.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das ist nicht verantwortungsvoll!)

Wie gesagt, die Einzelheiten, ob wir uns in dieser Weise als Gesetzgeber verhalten oder nicht, werden wir im Gesetzgebungsverfahren noch deutlich zu erörtern haben. Mir geht es jedenfalls darum, dass wir alles tun, um Taten der sexualisierten Gewalt gegen Kinder in Zukunft zu verhindern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. André Hahn, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

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Electoral Period 19
Session 187
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