30.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 187 / Tagesordnungspunkt 27

Sonja SteffenSPD - Untersuchungsausschuss Infektionsschutz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Seitz, ich spare mir an dieser Stelle jetzt ein Eingehen auf Ihre Rede; vielleicht mache ich das später.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, lassen Sie es! Das ist es nicht wert!)

Ich möchte nämlich da ansetzen, wo Herr Schnieder vorhin aufgehört hat. Denn es ist ja völlig richtig: Wir Mitglieder des Bundestages müssen uns in der Tat die Frage stellen, wie wir zukünftig mit notwendigen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie umgehen wollen, vor allem, wer innerhalb unserer Staatsgewalt die Entscheidungskompetenz haben muss: Bundestag, Bundesregierung, Bundesminister/Bundesministerinnen, Ministerpräsidenten/Ministerpräsidentinnen, Länderparlamente?

Dass wir in der Vergangenheit Entscheidungen der Bundesregierung und den Landesregierungen überlassen haben, war richtig. Denn es mussten in kürzester Zeit erhebliche, wichtige und schnelle Regelungen erfolgen. Aber inzwischen beschweren sich viele Bürgerinnen und Bürger völlig zu Recht über die Uneinheitlichkeit der Regelungen, wie zuletzt bei den Beherbergungsverboten. Außerdem verlangen die Menschen völlig zu Recht, dass die Schutzmaßnahmen nachvollziehbar, schlüssig und verhältnismäßig sind. Es ist schlichtweg unerfreulich, dass Verwaltungsgerichte überall im Bund Coronamaßnahmen kippen müssen, weil sie nicht nachvollziehbar begründet waren, weil sie zu unbestimmt waren und weil sie unverhältnismäßig waren. Wir brauchen also klarere und einheitlichere Regelungen, und wir brauchen jetzt eine stärkere Beteiligung des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Entscheidungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, über wesentliche Grundrechtseingriffe und über die großen Linien der Coronapolitik müssen dem Parlament vorbehalten bleiben. Es bedarf also zukünftig konkreter rechtlicher Rahmenbedingungen, Bedingungen, die der Bundesregierung und den Landesregierungen vorgeben, welche Schutzmaßnahmen unter welchen Voraussetzungen ergriffen werden können und wo die Grenzen erreicht sind und der Bundestag entscheiden muss. Ja, darüber müssen wir in der Tat reden. Liebe Kollegen, ich freue mich, dass die SPD-Bundestagsfraktion mehr Parlamentsbefugnisse, mehr Einheitlichkeit und mehr Rechtssicherheit im Krisenmanagement fordert.

(Beifall bei der SPD)

Aber jetzt zu Ihrem Antrag. Sie von der AfD zeigen mit Ihren Anträgen, dass Sie das parlamentarische Geschäft nicht verstehen oder – noch schlimmer – für Ihre Zwecke missbrauchen. Herr Seitz, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Sie Wetten abgeschlossen haben. Das lässt ja an der Stelle schon tief blicken.

(Widerspruch bei der AfD)

Die AfD-Fraktion will, dass der Bundestag mehrheitlich feststellt, dass er das Infektionsschutzgesetz für verfassungswidrig hält. Man muss sich noch einmal genau verinnerlichen, was das bedeuten soll: Ein Parlament, das sein eigenes Gesetz für verfassungswidrig hält, müsste doch dieses Gesetz ändern oder aufheben

(Beifall bei der AfD)

und dürfte nicht zum Bundesverfassungsgericht laufen. Das müssten Sie wissen; es sitzen auch Juristen bei Ihnen. Die müssten zumindest im ersten Semester Staatsrecht irgendwie mal ein bisschen aufgepasst haben.

Außerdem soll der Bundestag – und jetzt wird es völlig verquarzt – laut AfD-Antrag mehrheitlich begrüßen, wenn genügend Abgeordnete eine abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht anstoßen würden.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, was für ein Blödsinn!)

Das ist wirklich schon ziemlich verquarzt, was Sie da fordern. Für eine Normenkontrolle braucht man ein Viertel der Mitglieder des Bundestages – das wissen wir alle –, und das sind 178 Abgeordnete; das haben Sie ganz richtig gerechnet. Daran fehlt es Ihnen aber. Deshalb brauchen Sie Unterstützung aus anderen Fraktionen. Wenn Sie die finden sollten – was ich übrigens nicht glaube –, dann können Sie ja Ihren Antrag beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Wenn Sie die aber nicht finden sollten – was ich wiederum glaube –, dann können Sie dieses Verfahren eben nicht in Gang setzen. So ist das, wenn man in der Opposition ist und halt nicht ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages stellt.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Das mag Ihnen bitter erscheinen; aber das müssen Sie so hinnehmen. Da hilft kein Antrag im Plenum. Da hilft es übrigens auch nicht, Herr Brandner, wenn Sie E-Mails an alle verschicken und für den Antrag werben. Nein, der Bundestag ist schließlich kein Klinkenputzerverein. Also: Missbrauchen Sie uns nicht dafür.

Zum Schluss noch ein paar Worte zum Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses –

Frau Kollegin, aber ganz kurz.

– ja –: falsches Instrument zum falschen Zeitpunkt. Ich bin überzeugt davon, dass Sie keine Mehrheit hier in diesem Bundestag für den Untersuchungsausschussantrag finden werden. Er ist unseriös, und – Herr Seitz, jetzt hören Sie es noch mal – er bietet eine Plattform für die Verbreitung von finsteren Verschwörungstheorien. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Katrin Helling-Plahr, FDP, ist die nächste Rednerin.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7480631
Wahlperiode 19
Sitzung 187
Tagesordnungspunkt Untersuchungsausschuss Infektionsschutz
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