Dietmar NietanSPD - Deutsch-polnische Gedenkstätte
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einer der letzten Funksprüche der Armia Krajowa, die kurz vor der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes aufgefangen wurden, endete mit folgenden Worten:
Ein Volk, in dem solche Tapferkeit lebt, ist unsterblich. Denn jene, die starben, haben gesiegt, und jene, die leben, werden weiterkämpfen …
Am 3. Oktober 1990, auf den Tag genau 46 Jahre nachdem der Warschauer Aufstand zu Ende gegangen war, konnten wir die deutsche Einheit feiern. Dass ausgerechnet die polnische Nation, welche so unermesslich unter den unvorstellbaren Verbrechen der Deutschen gelitten hat, einen so großen Anteil daran haben würde, dass ebendiese Deutschen ihre Einheit wiedererlangen konnten, ist mehr als ein großartiger Umstand der Weltgeschichte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und in der Tat, die Polen haben weitergekämpft: für ihre Freiheit und für unsere Freiheit. Damit bereiteten Lech Walesa und die Solidarnosc den Weg für die Friedliche Revolution in der DDR. Und ebenso sollten wir niemals vergessen, wie uns die Polen die Hand zur Versöhnung reichten. „ Wir vergeben und bitten um Vergebung“, schrieben bereits 1965 die polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder. Muss es uns nicht mit Scham erfüllen, dass erst fünf Jahre später mit der Ostpolitik von Willy Brandt eine deutsche Bundesregierung ihrer historischen Verantwortung gegenüber unseren östlichen Nachbarn gerecht wurde?
Heute geht es in diesem Haus darum, eine Leerstelle auf dem Weg zu einem angemessenen Gedenken an die deutschen Verbrechen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern der Zweiten Polnischen Republik zu füllen. Natürlich gehört das Gedenken auch an die polnischen Opfer der deutschen NS-Verbrechen mittlerweile zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland; aber es gibt diese Leerstelle.
Hat es uns jemals aufgeregt, dass außerhalb der Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem präzedenzlosen Menschheitsverbrechen Holocaust so gut wie kein deutscher Polizist, SS-Angehöriger oder Wehrmachtssoldat von einem bundesdeutschen Gericht für Kriegsverbrechen in Polen verurteilt wurde? Wo haben wir in deutschen Schulbüchern oder im öffentlichen Gedenken den Raum dafür geschaffen, jene Ungeheuerlichkeit zu erfassen, dass wir das Gebiet des Vorkriegspolens zum Ort gemacht haben, an dem die deutschen Vernichtungslager den fabrikmäßigen Massenmord an den europäischen Juden durchgeführt haben? Ist uns eigentlich klar, dass etwas Vergleichbares keiner anderen europäischen Nation widerfahren ist?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit es hier keine Missverständnisse gibt: Es gibt keine Opfer erster und zweiter Klasse. Daran sollte auch ein polnischer Botschafter denken, wenn er seinem ukrainischen Amtskollegen Briefe schreibt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Aber, liebe Genossinnen und Genossen, es gibt selbst in dem ungeheuerlichen Grauen, welches das faschistische Deutschland in die Welt trug, Unterschiede.
(Paul Ziemiak [CDU/CSU]: Na, na, na! – Stefan Keuter [AfD]: Wir sind nicht Ihre Genossen!)
Diese Unterschiede herauszuarbeiten, hat nichts mit Renationalisierung zu tun, sondern mit der Verpflichtung zur Differenzierung, die uns ein verantwortungsvoller Umgang mit den begangenen unfassbaren Verbrechen auferlegt.
Sehr geehrte Damen und Herren
(Zurufe von der AfD: Ah!)
– ja, wovon das Herz voll ist, liebe Kolleginnen und Kollegen –,
wir wollen uns heute vor den Opfern der deutschen Gewaltherrschaft in Polen verneigen. Wir wollen an ihr Leid erinnern, und wir wollen sie um Verzeihung bitten. Ihnen wollen wir mitten in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, über das noch viele Generationen nach uns stolpern mögen, damit das, was geschah, niemals vergessen wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Nietan.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7480656 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 187 |
Tagesordnungspunkt | Deutsch-polnische Gedenkstätte |