30.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 187 / Zusatzpunkt 13

Lothar BindingSPD - Steuerliche Entlastung für Unternehmen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich zitiere – denn der Anfang des Antrags hat mir nämlich sehr gut gefallen –:

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Mir auch!)

„… seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie … ist es durch eine Reihe liquiditäts- und beschäftigungssichernder Maßnahmen gelungen, eine große Zahl von Insolvenzen … zu verhindern.“ So fängt der Antrag an. Der Antrag endet mit: „Bloßes Reden genügt nicht mehr. Handeln wir endlich. Jetzt.“ Darin würde ich einen Widerspruch sehen; ich weiß nicht, ob Sie den auch sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein!)

Das wäre jedenfalls eine Sache, die man beobachten muss. Aber es gibt noch einen Satz, den ich hundertprozentig unterstütze: Wir müssen alles tun, „um eine Welle von Insolvenzen im Kern gesunder Unternehmen zu verhindern“. Da bin ich hundert Prozent d’accord.

Jetzt zur Begründung; die ist schon etwas wackliger. Sie lautet nämlich: Es könnte die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen steigen – das kann aber immer passieren; es könnte immer alles sein –, es könnte eine Abwärtsspirale geben – was auch immer sein könnte –, und Sie befürchten eine Insolvenzwelle. Nun ist Angst ein ganz schlechter Ratgeber. Also ich glaube, wir sollten uns auf andere Grundlagen stellen.

Jetzt sagen Sie, viele Unternehmen stellen sich die Frage, wie sie die staatlich gewährten Hilfen zurückzahlen können. Die Antwort ist eigentlich schon gegeben durch die Hilfen selbst; denn die Hilfen selbst dienen ja dazu, auf einen Wachstumspfad zurückzukommen, in einer Finanzierungsform, die auf lange Sicht projektiert ist. Zeit und Hilfen selber schaffen die Voraussetzungen zur Zurückzahlung der Kredite, die man gewährt. Ist das nicht eine tolle Sache? Ein sich selbst bestätigender Mechanismus!

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Perpetuum immobile bei der SPD! – Zuruf der Abg. Katja Hessel [FDP])

Und wenn man da mit Optimismus, mit dem Optimismus des Wirtschaftsministers, herangeht, dann, meine ich, müsste es auch laufen.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, dann sprechen Sie mal mit den Unternehmen!)

Jetzt sagen Sie, weil Sie diese Befürchtung haben: „Umso dringender brauchen wir … eine echte steuerliche Entlastung von den coronabedingten Unternehmensverlusten, um Überschuldungssituationen zu verhindern.“ Das wollen wir in der Zielsetzung auch alles.

Sie machen zwei Vorschläge. Der erste ist die Einführung einer negativen Gewinnsteuer, der zweite die Verbesserung des Verlustrücktrags. Was ist eigentlich eine negative Gewinnsteuer? Negative Gewinnsteuer bedeutet, dass statt fälliger steuerlicher Vorauszahlungen das Finanzamt Geld zurücküberweist,

(Otto Fricke [FDP]: Nein!)

aber sozusagen orientiert an Umsätzen, die man zuvor hatte. Es ist also eine echte Auszahlung. Deshalb ist der Begriff „negative Steuer“ ein bisschen irreführend; denn es ist eigentlich keine Steuer, sondern das Gegenteil einer Steuer. Es ist ein echter zinsloser, verlorener Zuschuss. Dann sollte man es auch so nennen.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein, nein, nein!)

Wir sollten Zuschuss auch „Zuschuss“ nennen. Das Interessante ist: Zuschüsse gibt es ja schon in dem Programm.

Der zweite Vorschlag: Ausweitung des Verlustrücktrags. Das ist die kleine Schwester des Vorschlags des ifo-Präsidenten. Der hat gesagt, er will eine Obergrenze bis 100 Millionen Euro – das ist ein richtig großer Schluck aus der Pulle –,

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Kluger Vorschlag!)

er will den Rücktragszeitraum auf 2018 erweitern, und er will eine Ausweitung auf die Gewerbesteuer. Ob er sich das alles klug überlegt hat, muss man sich angucken. Denn man muss ja sehen, wem das hilft: Das hilft nur denen, die in der Vergangenheit in gleicher Höhe Steuern bezahlt haben. Das heißt, junge Unternehmen haben davon nichts.

(Zuruf der Abg. Katja Hessel [FDP])

Es ist auch nicht möglich, den Verlustrücktrag branchenspezifisch zu justieren; er gilt pauschal. Er ist auch nicht auf die Coronaverluste zu konzentrieren, weil er zu unspezifisch ist. Und es ergibt sich auch ein Problem, wenn man ihn zeitlich weiter ausdehnt, insbesondere bezogen auf die von Bund, Ländern und Kommunen schon vereinnahmten Steuern. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Aufwand ist, wenn Bund, Länder und Kommunen ihre Steuereinnahmen in der Form rückabwickeln müssen? Das würde mich mal genauer interessieren.

(Beifall bei der SPD)

Man muss ja noch etwas sagen. Wem würde die betragsmäßige Ausweitung eigentlich helfen? Ich will es mal so sagen: nur Betrieben, die jetzt einen Verlust von über 5 Millionen Euro haben und die gleichzeitig im letzten Jahr einen Gewinn von 5 Millionen Euro hatten. Jetzt sagen Sie: Das erreicht die kleinen Betriebe, die letztes Jahr einmal plus und dieses Jahr einmal minus 5 Millionen Euro hatten. – Offen gestanden: Das ist ein sehr schmaler Grat. Wissen Sie, dass 99 Prozent aller Unternehmen davon gar nichts hätten? Also: Ihr Vorschlag ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit; deshalb ist er auch nicht klug.

Was wir gemacht haben, ist, dass wir den Verlustrücktrag schon ausgeweitet haben; das war klug. Es gibt eine Anrechnung auf die Steuervorauszahlung; das war klug. Und es gibt auch – Fritz Güntzler hat darauf hingewiesen – den Verlustvortrag, natürlich anhand des Mindestgewinns justiert; das ist völlig klar.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Nee, das ist gar nicht klar!)

Er ist unbefristet; das ist klug. Es gibt eine Coronarücklage; auch das ist klug.

Man kann also eines sehen: Den Satz, der auf Seite 4 Ihres Antrags kommt: „Bloßes Reden genügt nicht mehr“, würde ich jetzt gerne in einen Appell an die FDP umwandeln: Bloßes Reden darüber, was nicht passiert ist – was aber falsch ist –, genügt nicht. Man muss sich noch mal vergegenwärtigen, was wir alles gemacht haben – ich will es noch mal aufzählen –: Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge – Volumen: 5 Milliarden Euro; da war Handeln angesagt –, Erhöhung des steuerlichen Verlustrücktrags in einer Größenordnung von 2 Milliarden Euro, Verschiebung fälliger Einfuhrumsatzsteuer in einer Größenordnung – man glaubt es kaum – von 5 Milliarden Euro, degressive AfA-Verschiebungseffekte von 6 Milliarden Euro, Sofortüberbrückungshilfen in einer Dimension von 25 Milliarden Euro, die Mehrwertsteuersenkung mit 20 Milliarden Euro, Programme im Kulturbereich und zur Unterstützung der Holzwirtschaft – auch ganz spezielle Sachen – mit fast 1 Milliarde Euro. Wir haben ein gigantisches Programm mit Zuschüssen und Krediten. Da kann man nicht sagen, es sei nicht gehandelt worden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, das, was Sie vortragen, ist eine Anwendung in der leeren Menge, und das hilft überhaupt niemandem. Deshalb ist es gut, dass wir so gehandelt haben.

Aber es ist noch Luft nach oben. Die Programme waren zwar mächtig, aber so, dass noch Luft da ist; das ist sehr gut. Wir haben gestern in einem Gespräch mit einem Kollegen vom IWF gelernt, dass wir einen sogenannten Fiscal Space haben, fiskalpolitische Möglichkeiten nach oben, nämlich dadurch, dass die Zinsänderungsrisiken gering sind, und dadurch, dass wir die Schuldentragfähigkeit gut gesichert haben. Mit diesen beiden Parametern können wir eine sehr gute Basis für unsere zukünftige Politik auch nach der Krise schaffen. Das hilft den Unternehmen mehr als Ihr Antrag.

(Beifall bei der SPD – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Ich sage mal, 40 Prozent! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: 20 Prozent!)

Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Nächster Redner ist der Kollege Stefan Liebich, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7480699
Wahlperiode 19
Sitzung 187
Tagesordnungspunkt Steuerliche Entlastung für Unternehmen
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