Nina ScheerSPD - Klimaschutz-Politik
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe sehr gut, dass die Präsidentin bei dem Titel dieses Antrags, der heute vorliegt, stockt; denn die Abschaffung des Pariser Klimaschutzübereinkommens zu fordern, ist schon frivol.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])
Insofern sei mir gestattet, ein paar die Demokratie in den Blick nehmende Punkte voranzustellen. Ich finde es immer wieder erschütternd, dass sich hier eine Fraktion herausnimmt, Dinge zur Abstimmung und Beratung zu stellen, die auf einem breiten Konsens von Staaten und von Bevölkerungen in diesen jeweiligen Staaten basieren und schon eine jahrzehntelange Auseinandersetzung in der Klimaschutzpolitik hinter sich haben. Dennoch meinen Sie von der AfD, man könnte das Übereinkommen mit einem Federstrich kündigen, es einfach verlassen.
Wenn man sich mal vergegenwärtigt, was für ein Politikverständnis dahinterstecken muss, dann kann das eigentlich nur auf Geschichtsvergessenheit basieren, auf Leugnung von Fakten, auf einem Egalsein gegenüber Einigungsprozessen von Gesellschaften. Es ist eigentlich ein Frontalangriff gegen jedwedes demokratisches Arbeiten von Gesellschaften. Insofern finde ich es auch nicht verwunderlich, dass Sie sich in Ihrem Antrag in dieser klimaverleugnenden Haltung sogar übertreffen, indem Sie die Existenz des Abkommens, das Sie mit diesem Antrag abschaffen wollen, auch noch leugnen.
(Beifall bei der SPD)
Das ist wirklich der Gipfel der Tatsachenleugnung, die uns in diesem Themenkomplex je vorgekommen ist; in den anderen ist es aber leider auch nicht besser.
Ich möchte jetzt zunächst zu den Fakten kommen, die begründen, warum wir dringend Klimaschutzpolitik brauchen. Aber ich möchte hinterher auch noch zu den anderen Gründen kommen, derentwegen wir zu den gleichen Konsequenzen kommen müssten wie aus Klimaschutzgründen, nämlich zur Friedenspolitik und zur Verknappung der fossilen Ressourcen.
Aber die Klimaschutzpolitik für sich genommen verlangt, dass wir handeln, selbst wenn nicht hundert Prozent der Wissenschaftler dieser Meinung sind. Es gibt tatsächlich immer wieder welche, die nicht wahrhaben wollen, welche Bedrohung für die Bevölkerung mit dem Klimawandel einhergeht: millionenfach Klimaflüchtlinge, Anstieg der Meeresspiegel, Erderwärmung, die auch Ernteschäden nach sich zieht; ich muss, glaube ich, nicht alles erneut aufzählen. Glauben Sie denn wirklich, dass dieser geringe Prozentsatz an Wissenschaftlern eine ausreichende Basis bietet, die gesamte Weltbevölkerung auf den Weg zu führen: „Ab in den Untergang!“? Das ist einfach nicht verantwortbar.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Fakten sagen übrigens, dass wir es uns auch rein ökonomisch überhaupt nicht leisten können, den Umstieg auf erneuerbare Energien und eine Klimaschutzpolitik nicht zu vollziehen. Es ist so, dass wir in Deutschland – es ist schon weniger geworden – immer noch 63 Milliarden Euro jährlich nur für den Import von fossilen Ressourcen ausgeben. Damit ist noch keine Kilowattstunde Strom gewonnen; wir geben das nur für den Import von Ressourcen aus. In ganz Europa sind es über 400 Milliarden Euro. Wenn Sie meinen, dass man diese Klimaschutzpolitik nicht bräuchte, dann verleugnen Sie, dass wir einen ökonomischen Handlungsbedarf haben, genau von diesen Abhängigkeiten wegzukommen. Das alles muss ja volkswirtschaftlich erbracht werden. Natürlich ist es irgendwo eingepreist, wenn auch leider nicht im Strompreis – die klimaschädlichen Subventionen belaufen sich auf 57 Milliarden Euro jährlich –; aber es gibt die Kostentragungspflicht der Gesellschaft. Das ist anderswo verortet, aber es ist eingepreist. Es ist nichts umsonst in der Klimapolitik. Es ist eine Last für die Bevölkerung und für die nachfolgende Generation, dies alles zu tragen.
Diese 63 Milliarden Euro machen 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Um kurz einen Vergleich aufzuzeigen: Die gesamte sozialökologische Transformation, die vor uns liegt, inklusive Klimaschutzmaßnahmen und Energiewendepolitik, würde uns laut Berechnungen bis 2050 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten. Das ist also nicht besonders viel mehr als das, was wir jetzt jährlich allein für den Import von fossilen Ressourcen ausgeben.
Jetzt möchte ich zu den Punkten kommen, die ich anfangs schon angebracht habe. Selbst wenn die Klimaschutznotwendigkeit nicht bestünde, verweisen die Zahlen, die ich gerade erwähnt habe, auf ein anderes Themenfeld: auf die Abhängigkeit von Ressourcen, die bei einer ansteigenden Weltbevölkerung, aber auch ohne deren Anstieg immer knapper werden. Wenn wir endliche Ressourcen immer weiter verbrauchen, dann ist doch klar, dass sie irgendwann zu Ende sind. Und was droht uns dann? Woher sollen wir als Weltbevölkerung denn dann unsere Energie bekommen? Darauf haben Sie überhaupt keine Antwort.
(Beifall bei der SPD – Widerspruch des Abg. Marc Bernhard [AfD])
Wenn wir sehen, dass es in Deutschland innerhalb von 20 Jahren aufgrund kluger gesetzlicher Rahmenbedingungen gelungen ist, schon 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen – es hat allerdings 20 Jahre gedauert –, wann wollen Sie denn dann umsteigen? Wenn Sie alle Maßnahmen ins Klo werfen wollen und wir hinterher irgendwann eine Verknappung haben, was wollen Sie denn dann für eine Antwort geben? Sie steuern die Weltgesellschaft und Deutschland – fangen wir mal mit den kleinen Brötchen, die Sie hier backen, an – mit der Klimaverleugnungspolitik, die Sie betreiben, in ein Chaos. Das kann man nur aufs Schärfste ablehnen, und das tun wir an dieser Stelle auch bei Ihrem Antrag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Dr. Nina Scheer. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Karsten Hilse.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7481308 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 188 |
Tagesordnungspunkt | Klimaschutz-Politik |