05.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 189 / Tagesordnungspunkt 9

Sebastian HartmannSPD - Parlamentsbeteiligung bei Corona-Maßnahmen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo stehen wir heute am Donnerstag in der parlamentarischen Beratung? Stand heute haben wir 20 000 Neuinfizierte mit dem neuartigen Coronavirus nach Meldung des RKI. Wir befinden uns in der so vorausgesagten zweiten Welle, die – Stand heute – die erste Welle schon jetzt weit überragt. Wenn wir in unsere Nachbarstaaten schauen – ich nenne einmal Belgien, Frankreich, aber auch Tschechien, das von hohen Inzidenzzahlen und Infektionszahlen getroffen ist –, muss uns bewusst sein: Die Lage ist sehr ernst. Wir sind verpflichtet, zu handeln, sowohl als Regierung, aber insbesondere auch als Parlament. Auch wenn von der AfD-Fraktion der Eindruck erweckt worden ist, dass genau diese Einheiten – die Ministerpräsidenten, die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung und auch der Deutsche Bundestag und die Landtage – ihrer Verantwortung nicht nachkommen, so sage ich: Dieser Eindruck ist falsch! Das müssen wir heute Morgen deutlich machen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie von der AfD missbrauchen die Krise. Sie stiften nur Verwirrung. Sie gehen aber auch darüber hinweg, dass Sie von der AfD in Wirklichkeit keine klare Linie haben. Die einen sagen: Es gibt das Virus nicht. Die anderen sagen: Die Maßnahmen müssten viel härter sein. Die dritten wiederum behaupten, das würde alles nur der Wirtschaft zum Opfer fallen, wir bräuchten jetzt überhaupt keine Eingriffe mehr in Grundrechte. Damit, meine Damen und Herren, offenbart die AfD, worum es ihr eigentlich geht. Sie missbraucht jede internationale Herausforderung, sie missbraucht immer wieder jede innenpolitische Herausforderung, um ihrem billigen Populismus zu frönen und dabei niemals die Menschen in diesem Land in den Blick zu nehmen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Und – mehr noch – sie schürt Angst und Panik. Aber das Gegenteil ist doch jetzt geboten. Wir müssen uns klarmachen: Die Lage ist ernst. Aber die gesundheitlichen Voraussetzungen, die Wissenschaft und Forschung in unserem modernen Industriestaat waren noch niemals so gut wie jetzt. Wir sind dabei, einen Schritt weiterzugehen. Wir werden es schaffen, diese Pandemie zu überwinden, genauso, wie wir jede andere Krise in diesem Land auch überwunden haben. Wissenschaft, Forschung und auch der internationale Austausch waren noch nie so gut wie jetzt. Das gibt uns die Zuversicht, auf diesem Weg weiter voranzuschreiten.

(Beifall bei der SPD)

Eine zweite Debatte ist jetzt allerdings sehr entscheidend. Damals, Anfang März dieses Jahres, als wir sehr zügig handeln mussten, als wir noch nicht genau wussten, welche die besten Maßnahmen gegen eine unkontrollierte Ausbreitung sind, schlug die Stunde der Exekutive. Damals war es uns wichtig, die Ermächtigungen an die Landesregierungen und auch an unsere Bundesregierung zu geben. Auch das haben wir als Parlament beschlossen. Aber aus der Stunde der Exekutive darf kein Dauerzustand werden. Deswegen haben die Koalitionsfraktionen, allen voran die SPD, immer wieder deutlich gemacht, dass nach der Stunde der Exekutive, meine Damen und Herren, jetzt die Phase der Parlamente kommt. Darauf haben alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land einen Anspruch. Das bezieht alle konstruktiven Teile, auch die Opposition, mit ein. Wir sind gemeinsam gefragt, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von den Grünen, den Linken und der FDP, während man die AfD aufgrund dieses Auftrittes mal wieder vergessen kann.

(Beifall bei der SPD)

Es wird nicht nur darum gehen, dass wir Leitplanken für diese Debatte setzen, dass wir einen Rahmen geben, in dem Grundrechtseingriffe stattfinden. Vielmehr sind wir als Parlament auch gefordert, Leuchttürme und Wegmarken zu definieren; denn wir sind der öffentlichste und transparenteste Raum, den wir in unserem demokratischen Rechtsstaat haben. Das gilt nicht für die Konferenz der Ministerpräsidentinnen, der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin, wo auch wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, zuweilen gefordert sind, aus Pressemitteilungen und Konferenzen nachzuvollziehen, was denn da beschlossen worden ist.

Aber wir dürfen da auch nichts reingeheimnissen. Auch der Bundesgesundheitsminister hat klar erklärt, dass er mit dem Wissen von heute anders handeln würde, und das, glaube ich, spricht für alle von uns, auch in diesem Plenum. Wir würden heute anders vorgehen, weil wir eben mehr über dieses Virus wissen.

(Beifall bei der SPD)

Und weil wir das wissen, werden wir das auch als Parlament tun. Wir werden klare Rahmenbedingungen definieren, auch was den Ressourceneinsatz angeht, und zwar in enger Abstimmung mit den Gesundheitspolitikern, um klarzumachen: Was ist denn die pandemische Lage nationaler Tragweite, die auch Landtage erklären, die der Bundestag definiert? Was tun wir zur Überwindung der Lage? Welche Ressourcen setzen wir ein, und an welchen Teilen der Wirtschaft müssen wir welche Einschränkungen vornehmen?

Wir werden noch mehr tun. Wir werden niemanden in dieser Krise alleinlassen. Wir sorgen mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen dafür, dass eben nicht die Wirtschaft vom Netz geht. Aber es gibt eine Ordnung der Dinge. Wir müssen noch mal deutlich sagen: Zuallererst müssen wir die Ausbreitung dieses Virus stoppen, solange wir keine Behandlungsmethoden und keine Impfung haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Der zweite Punkt ist ganz klar auch aus unserer Verfassung abzuleiten. Natürlich geht es um den Schutz von Risikogruppen, die einen Anspruch darauf haben, dass wir solidarisch miteinander umgehen, dass wir gemeinsam durch diese Krise gehen und sie nicht alleinlassen. Auch das ist ein erstrebenswertes und klar definiertes Ziel. Hier sollte also die destruktive Opposition nichts reingeheimnissen.

Der dritte Punkt ist: Wir wollen in unserem Staat natürlich nicht vor der Frage stehen, ob das Gesundheitssystem so überfordert ist, dass man andere Erkrankungen nicht mehr behandeln, andere Behandlungen nicht mehr ausführen kann. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört zur Ergänzung der Debatte auch eines: Ja, wir reden von Lockdown, wir reden von Shutdown, wir reden von Lockdown light, was auch immer diese Abstufungen sein sollen. Aber zur Wahrheit gehört doch, dass ein wesentlicher Teil der Bevölkerung in unserem Land, diejenigen, die den Laden am Laufen halten, niemals in einen Lockdown gegangen ist. Das sind die Pflegenden in den Krankenhäusern, es sind die Ärzte, es sind die Beschäftigten in den Rettungsdiensten; es sind all diejenigen, die im nächsten Kontakt mit Kranken arbeiten und sich darum kümmern, dass es nicht zu Ansteckungen kommt. Es sind die Ordnungsbehörden, es sind die Polizeien und Sicherheitsbehörden, die auch dafür sorgen, dass trotz Corona Demonstrationen in diesem Land selbst gegen einzelne Maßnahmen stattfinden können. Das ist doch unser demokratischer Rechtsstaat. Aber all diejenigen, die in dieser Krise ihren Job machen, haben einen Anspruch darauf, dass sie auch geschützt werden, indem wir die Ausbreitung des Virus stoppen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben darüber hinaus einen Anspruch an uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Wir kommen zusammen, wir sitzen hier gerade im Plenum mit Abstandsregeln beieinander, wir tragen Masken. Aber wenn weite Teile des Landes ihre Arbeit machen, dann ist es unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, unsere Arbeit auch im dritten, siebten und achten Monat dieser pandemischen Lage zu erfüllen, und zwar in dem Wissen, dass wir als Parlament Gesetze beschließen können und wir viele Gesetze auch geändert und Ermächtigungen gegeben haben.

Ich möchte, dass die jetzige Phase die Stunde des Parlaments ist, dass es nicht mehr um die Stunde der Exekutive geht, sondern wir als Bundestag fraktionsübergreifend deutlich machen: Wir definieren klare Rahmenbedingungen, wir stellen entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung, und wir zeigen unserem Land einen Weg auf, wie wir durch diese Krise kommen. Das werden wir in zwei Schritten tun.

Schade ist, dass die Debatte, die wir heute schon als Vorstufe gebraucht hätten, erst am Freitag beginnt. Denn die Koalitionsfraktionen haben einen entsprechenden Änderungsbedarf am Infektionsschutzgesetz angemeldet. Wir werden das, was schon jetzt als Formulierungshilfe vorliegt, erst einmal als Ausgangspunkt nehmen. Das ist aber nur die Grundlage; darauf werden wir aufsatteln. Es wird ganz genau definiert, mit welchem Grundrechtseingriff wir wie umgehen, wie wir Ressourcen zur Verfügung stellen und wie wir sowohl der Bundesregierung als auch den Regierungen auf Landesebene ganz klare Orientierung geben, aber auch den Bürgerinnen und Bürger im Land, damit sie sehen: Der Deutsche Bundestag handelt, meine Damen und Herren,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat er, und das wird er!)

und wir kommen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier in dieser schweren Stunde unserer Verantwortung nach.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7481404
Wahlperiode 19
Sitzung 189
Tagesordnungspunkt Parlamentsbeteiligung bei Corona-Maßnahmen
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