Mahmut ÖzdemirSPD - Parlamentsbeteiligung bei Corona-Maßnahmen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal überzieht die AfD dieses Haus mit einem Antrag, der untauglich ist und vor Widersprüchlichkeit strotzt. Nicht alles kann man in fünf Minuten Redezeit und in einer solchen Debatte richtigstellen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Bringt auch nichts!)
Aber wenn Sie solche Dinge kritisieren wie die in Ihrem Antrag, dann empfehle ich einen Blick in ein kleines graues Büchlein – das Grundgesetz –, das sich auch in Ihren Schubladen befindet. Ich zitiere einmal einige wenige Passagen daraus:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung,
– das sind wir –
der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
Für die Kollegen von der Linken, die die Bundesstaatlichkeit kritisieren und die mittlerweile das Privileg haben, in dem einen oder anderen Bundesland Verantwortung zu haben, zitiere ich Artikel 30 des Grundgesetzes:
Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.
Jeder, der irgendeine Ministerpräsidentenkonferenz oder ‑zusammenkunft kritisiert, kritisiert also gleichzeitig die Bundesstaatlichkeit.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das hat Ihr Fraktionsvorsitzender letzte Woche selber gemacht! So ein Unsinn!)
Ein Blick in die Verfassung ist immer eine gute Idee, und Lesen ist immer bildend.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vollmundig bezichtigt die AfD-Fraktion die Regierung, den Bundestag zu übergehen. Sie suggerieren in Ihrem Antrag, dass Sie wuchtiges parlamentarisches Vorgehen an den Tag legen. Dabei umfasst dieser Antrag maximal drei Seiten. Darin schreiben Sie von Parlamentsvorbehalt, Rechten des Parlaments und Kontrollbefugnissen. Dann schreiben Sie im Forderungsteil, dass die Bundesregierung Ihnen einen Gesetzentwurf schreiben soll, der den Parlamentsvorbehalt wiederherstellt. Widersprüchlicher geht es doch gar nicht. Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Entweder sind Sie faul, unfähig, oder Sie haben die Verfassung nicht verstanden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder alles drei zusammen!)
Es geht um mehr in diesem Land. Die Menschen zweifeln. Sie hadern, sie hinterfragen Dinge – zu Recht. Es ist ihr Grundrecht, Dinge zu hinterfragen. Der Sportverein fragt, warum man den Trainingsbetrieb einstellen muss. Der Gastronom fragt, warum wir in seine Berufsfreiheit eingreifen. Das zeigt, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht nur hier im Plenarsaal gefordert sind. Die Passagen, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe, zeigen, dass das Volk uns Macht überträgt und dass wir es vertreten sollen. Wir sind die Sensoren der Demokratie, die jeden Tag aufs Neue schauen müssen – Koalition und Opposition –, ob die Regierung korrekt Gebrauch macht von dem, was wir ihr per Gesetz einräumen. Nur so schafft man wieder Akzeptanz in diesem Land, und dafür hat die SPD-Bundestagsfraktion ein Positionspapier vorgelegt, auf das ich sehr stolz bin.
(Beifall bei der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Positionspapier ist ein bisschen wenig!)
Fakt ist: Wir können hier im Deutschen Bundestag nicht umgangen werden. Es gibt eine ununterbrochene Legitimationskette in diesem Land. Wir, der Deutsche Bundestag, oder die Länderparlamente bestimmen Regierungen. Regierungen bestimmen Beamte. Beamtinnen und Beamte treffen Einzelfallentscheidungen. Das heißt, wir, die Parlamente, wirken bis zu jedem Einzelfall und jeder Einzelentscheidung hindurch und stellen uns jeden Tag aufs Neue auch der gerichtlichen Überprüfung.
Mit diesem Antrag zeigen Sie, dass Sie den Staatsaufbau nicht verstanden haben. Sie brauchen Angst – die schüren Sie selber – und Verunsicherung im Land. Sie fordern, dass wir Dinge rückgängig machen sollen, als ob das etwas besser machte. Sie haben keine eigenen Vorstellungen. Sie versuchen krampfhaft, ein bestimmtes Bild zu zeichnen, weil es Ihre Daseinsberechtigung ist. Sie wollen den Leuten weismachen, dass es einen Kontrollverlust in diesem Land gibt. Das ist widersprüchlich, das ist planlos, und das ist ziellos, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
(Beifall bei der SPD)
Wir wollen Sicherheit, Verlässlichkeit und Vertrauen schaffen. Wo sind Sie eigentlich gewesen, als wir in diesem Parlament über das vornehmste Parlamentsrecht bestimmt und davon Gebrauch gemacht haben, nämlich einen Haushalt zu beraten, das Grundgesetz zu ändern, über die Schuldenbremse hinaus Investitionen für die Menschen in diesem Land vorzunehmen, als wir Kindergelderhöhungen, als wir Kurzarbeitergeld, als wir die unbürokratische Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, als wir Steuersenkungen für Gastronomen, als wir Mehrwertsteuersenkungen beschlossen haben?
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alles hier beschlossen!)
Wo waren Sie, als wir hier im Deutschen Bundestag darüber debattiert und entsprechende Gesetze gemacht haben?
(Leif-Erik Holm [AfD]: Haben Sie mal die Brille aufgesetzt?)
Eine Umgehung des Bundestages ist nicht möglich. Ich habe Ihnen das Grundgesetz vorgelesen. Dem einen oder anderen Kollegen sollte man vielleicht auch die Verhaltensregeln für Abgeordnete im Deutschen Bundestag vorlesen.
Ich möchte mich noch auf die konkrete Lage beziehen. Wenn Sie über das Infektionsschutzgesetz reden, sollten Sie sich § 5 anschauen. Dort lautet der erste Satz:
Der Deutsche Bundestag stellt eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest.
Sie halten die Menschen im Land zum Narren. Sie sind aber am Ende der Hofnarr, der der eigenen Gaukelei zum Opfer fällt. Wir bestimmen als Parlament mit Gesetzen die Richtung für die Bundesregierung. Wir sagen, wie weit sie gehen darf, indem wir sie mit Haushaltsmitteln ausstatten. Wir sind am Ende auch diejenigen, die die Notbremse ziehen, wenn uns das Regierungshandeln nicht mehr passt. Die entsprechende Debatte führen wir hier im Deutschen Bundestag.
Wir werden Ihren Antrag ablehnen
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu Recht!)
und brauchen, wenn es nach mir geht, keine weitere Beratung im Ausschuss.
In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Mahmut Özdemir. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Krauß.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7481409 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 189 |
Tagesordnungspunkt | Parlamentsbeteiligung bei Corona-Maßnahmen |