05.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 189 / Tagesordnungspunkt 11

Karin MaagCDU/CSU - Kranken- und Pflegeversicherung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal – wir hatten das Thema schon – wünschte ich mir, Herr Dr. Kessler, dass die Opposition ihre Forderungen anspruchsvoller begründen und vertreten würde.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Noch anspruchsvoller?)

Ihre Anträge sind jedenfalls altbekannte Wiedergänger. Sie machen sich ja noch nicht einmal die Mühe, auf juristische wie politische Einwände aus den letzten zehn Jahren qualifiziert einzugehen.

(Beifall des Abg. Stephan Pilsinger [CDU/CSU])

Ich jedenfalls würde hier gerne einmal über den Reformbedarf bei der PKV diskutieren. Sie haben ja recht: Da gibt es Reformbedarf. Da gibt es viele ältere Versicherte, die durch steigende PKV-Prämien stark belastet werden. Ich würde zum Beispiel gerne den Standardtarif wieder öffnen und im Basistarif Verbesserungen anmahnen. Ja, die Höhe der Prämien bereitet Schwierigkeiten. Ja, die ärztliche Versorgung im Basistarif ist schwierig. Aber dagegen sperrt sich nicht nur Ihre Fraktion. Sie – und das geht jetzt nicht nur an die Linke – ordnen dem politischen Ziel einer Einheitsversicherung alle Sorgen und Nöte der PKV-Versicherten schlicht unter.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich ganz persönlich fühle mich jedenfalls den 9 Millionen PKV-Versicherten mindestens genauso verpflichtet wie allen gesetzlich Versicherten. Ich meine, „sozial“ und „solidarisch“ gehen hier komplett anders.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann auf ein Neues! Wir setzen uns mit Ihren Argumenten zur Abschaffung der PKV gerne auseinander.

Sie behaupten, die private Krankenversicherung verstoße gegen das Prinzip der Solidarität. Tja, innerhalb der privaten Kassen, stelle ich zumindest fest, wird die Solidarität der älteren Versicherten zugunsten der jüngeren Generationen gelebt. PKV-Versicherte bauen über Jahre kontinuierlich mit eigenen Altersrückstellungen einen Kapitalstock auf. Sie tragen so ihre im Alter steigenden Gesundheitskosten selbst. Künftige Generationen von Kindern und Enkelkindern werden durch die PKV-Versicherten mit Rücklagen

(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Aber die sind doch nichts mehr wert!)

in Höhe von aktuell – danke, Herr Kessler – 270 Milliarden Euro entlastet.

Solidarität entsteht aber auch zu den gesetzlich Versicherten. Dass die GKV Steuerzuschüsse erhält, ist uns allen bekannt. Und zu Ihren Gunsten, Herr Dr. Kessler, rechne ich jetzt mal mit den 14,5 Milliarden Euro aus der Vorcoronazeit. Die Privatversicherten beteiligten sich daran als Steuerzahler im Schnitt mit über 175 Euro pro Kopf und Jahr, in der Summe mit 1,6 Milliarden Euro, obwohl sie von den versicherungsfremden Leistungen der GKV sicher nicht profitieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Achim Kessler [DIE LINKE])

Privatversicherte zahlen auch – darauf weisen Sie zu Recht hin – für viele medizinische Leistungen höhere Honorare. Damit unterstützen sie natürlich das Gesundheitswesen, und zwar jährlich mit 13 Milliarden Euro zusätzlich.

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Quatsch!)

Diese zusätzlichen Einnahmen ermöglichen zum Beispiel den niedergelassenen Ärzten und den Krankenhäusern zusätzliche Investitionen in moderne Geräte und Behandlungsmethoden, die wiederum sowohl den PKV-Versicherten als auch den gesetzlich Versicherten zugutekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wieland Schinnenburg [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die private Krankenversicherung – so habe ich gelesen – soll nun abgeschafft, Privatversicherte sollen zu gesetzlich Versicherten gemacht und die bisherige Beihilfe des Bundes für seine Beamten soll zu einem Arbeitgeberbeitrag in der GKV umgewandelt werden. Kurz: Sie fordern ein objektives Berufsverbot für private Kassen, greifen in die Eigentumsrechte der Privatversicherten ein,

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Sie glauben doch selber nicht, was Sie sagen!)

und Sie enteignen die privaten Krankenkassen, wenn Sie ihnen die 270 Milliarden Euro Altersrückstellungen wegnehmen und in den Gesundheitsfonds übertragen wollen. Juristisch sage ich: Subfiligran! – Das macht Ihnen so schnell keiner nach.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann fordern Sie die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch da: Die juristische Expertise dazu bewerten Sie durchaus entspannt. – Sie wissen es doch besser: Die Solidarität der gesetzlich Krankenversicherten darf bei der Beitragsbemessung eben nicht überdehnt werden. Auch dort muss es in einem gewissen Rahmen beim Äquivalenzprinzip bleiben.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sachleistungsprinzip! Was für ein Äquivalenzprinzip? In der privaten Krankenversicherung gibt es kein Äquivalenzprinzip! Was für ein Unsinn!)

Beiträge, die nicht einmal mehr in einem großzügigen Rahmen in Beziehung zur Leistung stehen, also zum gewährten Versicherungsschutz, die mutieren zur Steuer und sind damit rechtswidrig.

Übrigens würden Sie ganz praktisch auch noch eine Bremse für jede Gehaltserhöhung einführen: Arbeitgeber würden ja für die Bezahlung der höheren Löhne und Gehälter bestraft; die Beitragslast würde insgesamt gleichzeitig erhöht.

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung der Kollegin Vogler von der Linken?

Gerne.

Gut.

Vielen Dank, liebe Karin Maag, dass Sie meine Zwischenbemerkung zulassen.

Ich will jetzt mal auf diese Legendenbildung rund um das Äquivalenzprinzip eingehen. Das Äquivalenzprinzip kann doch nur für ein Versicherungssystem gelten, in dem die Leistung in Bezug zum Beitrag steht. Der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung steht aber in überhaupt keinem Verhältnis zum Leistungsversprechen. Das Leistungsversprechen wird nämlich allein durch den Bedarf bzw. die Bedürfnisse der versicherten Person geregelt, wenn sie denn krank und damit zur Patientin oder zum Patienten wird.

Es ist vom Grunde her im Prinzip unbegrenzt: Also auch wenn eine familienversicherte Person, beispielsweise ein Kind, das noch nie einen einzigen Cent Beitrag gezahlt hat, schwer an einer seltenen Krankheit, an einer besonderen Krebsform erkrankt, hat dieses Kind, diese familienversicherte Person, einen quasi unbegrenzten Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung, auf Rehaleistungen, auf Leistungen, die die Gesundheit wiederherstellen, das Befinden bessern usw. usf.

Deswegen finde ich, diese Argumentation über das Äquivalenzprinzip kann man gern in der Rentendebatte führen. An dieser Stelle aber, in der Diskussion über gesetzliche Krankenversicherung versus Privatversicherung, hat das überhaupt nichts zu suchen.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sachkostenprinzip!)

Verehrte Frau Kollegin, Sie haben eines vergessen, nämlich dass das Äquivalenzprinzip auf den durchschnittlichen Betrachter und auf die durchschnittliche Leistung abstellt.

(Widerspruch bei der LINKEN – Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Nein! Das ist nicht wahr!)

Deswegen ist das Leistungsversprechen der GKV tatsächlich unbegrenzt.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In welchem Gutachten soll das denn stehen? – Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Sie müssen es jetzt auch gut begründen! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Jetzt verwechseln Sie das mit der Privatversicherung!)

– Entschuldigung, aber wenn ich die Fragen Ihrer Kollegin beantworte, dann müssen Sie es ertragen, dass ich eine andere Meinung habe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stephan Pilsinger [CDU/CSU]: Wie die AfD!)

Also, noch mal: Selbstverständlich ist das Leistungsversprechen der GKV unbegrenzt; da sind wir uns völlig einig.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Danke!)

Ob ein Beitrag aber tatsächlich geeignet ist, dieses Leistungsversprechen in irgendeiner Form zu ermöglichen, hat nichts mit der Unbegrenztheit des Leistungsversprechens zu tun, sondern er wird pauschal berechnet und auf eine durchschnittliche Betrachtung heruntergebrochen. Deswegen habe ich auch nicht formuliert, dass es zentral festgezimmert ist, sondern formuliert, dass es jedenfalls so, wie Sie es in den vergangenen zehn Jahren ausgedrückt haben, falsch ist.

Wenn Sie die Aussagen der Sachverständigen, die sich in den letzten zehn Jahren bei Anhörungen zu diesem Thema geäußert haben, durchsehen, dann werden Sie feststellen, dass sich tatsächlich der eine oder andere Sachverständige in unserem Sinne ausgedrückt hat. Dass sich Sachverständige in Ihrem Sinne ausgedrückt haben, habe ich noch nicht so richtig bemerkt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Dann haben Sie aber nicht zugehört!)

Jetzt mache ich weiter. – Sie wollen ja auch noch die 9/10-Regelung abschaffen. Klar, wenn Sie die PKV insgesamt abschaffen, dann braucht es diese Regelung nicht mehr. Falls sie bleiben sollte, dann, sage ich Ihnen, redet die Union von Solidarität, und zwar von Solidarität mit den Beitragszahlern in der GKV. Wenn jemand jahrzehntelang Vorteile der PKV in Anspruch genommen hat, dann muss er natürlich auch später mit den Nachteilen leben und kann dann nicht in die GKV wechseln.

Kommen wir noch zur Portabilität der Altersrückstellungen. Wir haben bereits 2007 mit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz diese Portabilität innerhalb der PKV verbessert, auch da wieder im verfassungsrechtlich gebotenen Rahmen, nämlich nur im Umfang des Basistarifs. Wenn nun die Jungen, die Gesunden, die Versicherten mit den niedrigeren Risiken zu anderen privaten Versicherungen abwanderten und ihre Altersrückstellungen komplett mitnähmen, würde das unweigerlich zu Beitragserhöhungen bei den Verbliebenen in ihrer jeweiligen Kohorte führen. Das wollen wir zumindest nicht. Und die Portabilität gar in die GKV zu ermöglichen, würde – da reden wir wiederum über gute Argumente der letzten zehn Jahre – die Eigentumsgarantie gemäß Artikel 14 Grundgesetz verletzen.

Aus unserer Sicht jedenfalls hat sich das Nebeneinander von GKV und PKV sehr praktisch bewährt. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen sich in einem Systemwettbewerb zugunsten ihrer Versicherten beweisen und anstrengen. Das fördert Qualität. Deswegen werden wir wie immer Ihre Anträge ablehnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Kollegin, könnten Sie bitte Ihren Mund-Nase-Schutz mitnehmen und auch aufsetzen?

(Karin Maag [CDU/CSU]: Entschuldigung!)

Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Schneider für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)

Personen

Dokumente

Automatisch erkannte Entitäten beta

Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7481436
Wahlperiode 19
Sitzung 189
Tagesordnungspunkt Kranken- und Pflegeversicherung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta