05.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 189 / Tagesordnungspunkt 16

Dagmar SchmidtSPD - Ermittlung von Regelbedarfen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute die Anpassung und Erhöhung der Grundsicherungsleistungen in Deutschland und damit auch die Erhöhung des Steuerfreibetrags. Zusätzlich zu den Kosten der Unterkunft, das heißt für Miete, Heizung und Warmwasser, erhalten Alleinstehende statt heute 432 Euro dann 446 Euro. Für Kinder zwischen 14 und 17 Jahren erhöhen wir den Regelsatz sogar um 45 Euro. Und erstmalig berücksichtigen wir Ausgaben für die Handynutzung.

Ich sage: Man kann immer vieles besser machen. Und so, wie wir die Grundsicherung aktuell in der Krise angepasst haben – mit der vollen Übernahme der Wohnungskosten und der Akzeptanz von Vermögen und Altersvorsorge –, ist sie schon deutlich besser geworden.

(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Schritt in die richtige Richtung, aber reicht nicht!)

Auch das will ich ganz zu Beginn sagen: Es ist keine Schande, auf Grundsicherung angewiesen zu sein. Jeder und jede kann in Not geraten, und es ist das gute Recht von Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie in Not sind, dieses soziale Recht in Anspruch zu nehmen. Und niemand muss sich dafür schämen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Grundlage für die Berechnung dieser Grundsicherungsleistungen sind die Ausgaben unterer Einkommen. Diese statistische Grundlage ist über die Fraktionen hinweg unbestritten. Es gibt aber an der Aufbereitung viel Kritik, und den für mich wichtigsten Punkt möchte ich erwähnen.

Die Grundidee ist, dass man jeweils die Durchschnittswerte der verschiedenen Ausgaben für verschiedene Dinge nimmt. Damit hat man einen Bedarf insgesamt abgebildet; und anders als bei einem Warenkorbmodell, wo man Butter, Milch und Käse addiert, kann über diese Durchschnittswerte auch ein veganer Haushalt abgebildet werden, weil alle innerhalb der Gesamtheit der Ausgaben ihre Schwerpunkte unterschiedlich setzen. Dieses Prinzip ist klug und richtig, weil Menschen eben unterschiedliche Prioritäten und Lebensgewohnheiten haben.

Was ein Problem wird, ist, wenn man aus diesem klugen Modell Dinge streicht, von denen man glaubt, dass Menschen sie nicht brauchen oder nicht brauchen dürfen. Wir streichen den Weihnachtsbaum, Bier, Schnittblumen, Unterhalt für ein Auto. Es wird angenommen, dass alle mit Bus, Bahn oder Fahrrad fahren. Das mag Möglichkeiten in großen Städten widerspiegeln; der Lebensrealität auf dem Land entspricht es aber nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich schaffe durch die Streichungen – nicht nur auf dem Land – eine soziale Gruppe, die so nicht mehr wirklich in der Lage ist, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben – erst recht nicht, wenn sie lange in Grundsicherung lebt –, und die sich so auch vom Arbeitsmarkt entfernt; und das ist nicht gut so.

Zur Wahrheit gehört aber eben auch: Würden alle Ausgaben berücksichtigt, die bisher nicht berücksichtigt werden, dann wären das Mehrausgaben von fast 30 Milliarden Euro jährlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir mehr Leistungen bei der Grundsicherung, dann muss das also eingebettet werden in eine größere Sozialstaatsreform, wie wir sie in unserem Sozialstaatskonzept beschrieben und teilweise auch schon durchgesetzt haben:

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da stehen auch keine höheren Regelsätze drin!)

Kinder raus aus dem SGB II, eine ordentliche Kindergrundsicherung, und dann für die Eltern einen armutsfesten Mindestlohn; ein Recht auf Arbeit, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, wie wir es mit dem sozialen Arbeitsmarkt sehr erfolgreich machen; dazu die Kinderbetreuung weiter verbessern, wie Franziska Giffey es gemacht hat,

(Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

damit auch Alleinerziehende ihr Einkommen selber sicherstellen können; und ein Sozialstaat, der als Partner agiert, der Gesundheitsschutz und Qualifikation über das gesamte Leben gewährleistet, damit so wenige wie irgend möglich auf Grundsicherung angewiesen sind.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wollen verhindern, dass Menschen überhaupt in die Grundsicherung rutschen, und wir wollen, dass die, die schon lange drin sind,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden jetzt über ein reales Gesetz und nicht über ein SPD-Papier!)

wieder einen Weg herausfinden. Ich bin der festen Überzeugung, dass es für jeden Menschen einen produktiven Platz, eine gute Arbeit gibt. Man muss sich nur gemeinsam auf den Weg machen, sie zu finden. Und wenn es heute dafür keine Mehrheit gibt, dann vielleicht morgen.

Glück auf!

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Dagmar Schmidt. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Uwe Witt.

(Beifall bei der AfD)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7481691
Wahlperiode 19
Sitzung 189
Tagesordnungspunkt Ermittlung von Regelbedarfen
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