06.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 190 / Tagesordnungspunkt 27

Dirk WieseSPD - Corona-Maßnahmen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rein rechtlich – das muss man hier einfach einmal feststellen – sind die bisherigen Maßnahmen, die die Bundesregierung seit März getroffen hat – das ist auch obergerichtlich bestätigt worden –, rechtmäßig, zulässig, erforderlich und angemessen. Diese Maßnahmen waren richtig. Es war richtig, sie zu erlassen, weil wir zum damaligen Zeitpunkt an vielen Stellen nicht die Erkenntnis und das Wissen gehabt haben, was am heutigen Tag vorliegt. Eines ist deutlich geworden: Dieser Prozess, den wir in dieser schwierigen und für unser Land, für Europa herausfordernden Situation erleben, ist ein lernender Prozess.

Daher gilt: Die bisherigen Maßnahmen waren rechtmäßig. Die Einschränkungen, die es gegeben hat, waren auch zulässig. Es gilt, eines zu betonen, weil hier manchmal etwas anderes suggeriert wird: Grundrechte gelten nicht schrankenlos. Grundrechte dürfen eingeschränkt werden. Das sieht unsere Verfassung so vor.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich sage ganz deutlich: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Das ist zulässig. Das ist bei allem, was bisher auf den Weg gebracht und gemacht worden ist, berücksichtigt worden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich bin manchmal etwas erstaunt, weil ich noch im März die Aussagen von Alice Weidel vernommen habe, die vor den großen Gefahren dieser Pandemie gewarnt hat, die damals mehr Beschränkungen wollte. Das ist mittlerweile allerdings Makulatur, weil die AfD in einer Fraktionssitzung mehrheitlich beschlossen hat – ohne Fachwissen –, dass es Corona nicht gibt. Seitdem hat sich das an diesem Punkt auch gewandelt.

(Zurufe von der AfD)

Ich finde es schon perfide – das will ich heute auch einmal sagen –, was in Zusammenhang mit dem Thema teilweise hier suggeriert wird, aber auch – das muss ich ehrlicherweise sagen –, wie es teilweise online diskutiert wird. Wenn ich Meldungen lese, dass bei mir im Hochsauerlandkreis ein älterer Mitbürger oder eine ältere Mitbürgerin an Corona verstorben ist, dann stehen darunter Kommentare wie: Naja, die war doch 88 Jahre, die war doch 86 Jahre. Was soll das denn? Das kann doch passieren. – Im Grundgesetz steht in Artikel 1 Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da steht nicht: die Würde der jungen Menschen, der Menschen mittleren Alters. Jeder Mensch in unserem Land hat das Recht auf adäquaten Gesundheitsschutz und auf adäquate Gesundheitsversorgung. Da dürfen wir keine Abstriche machen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Wiese, der Kollege Sichert, AfD, würde gern eine Zwischenfrage stellen.

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nein!)

Sehr geehrter Herr Präsident, mit Ihrem Einverständnis: Albert Einstein hat einmal gesagt: Das Universum und die menschliche Dummheit sind unendlich. – Da ich glaube, dass die Frage nicht dazu beitragen wird, dass wir dieses Zitat heute Morgen widerlegt kriegen, würde ich die Frage ablehnen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der AfD: Frechheit!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden mit diesem Gesetzentwurf § 28 Infektionsschutzgesetz konkretisieren. Durch den § 28a werden wir engere Maßstäbe anlegen – ja –, aber wir werden auch im laufenden Verfahren sehr genau hingucken. Wir nehmen ja auch die Gerichtsentscheidungen ernst, die in letzter Zeit ergangen sind; gerade auch erst die vom letzten Wochenende. Alles, was dort steht zur Verdeutlichung der Zielrichtungen, also dessen, wo es hingehen soll, und ob es der richtige Rahmen ist, werden wir sehr genau prüfen. Dabei wird dieses Parlament mit großem Selbstbewusstsein vorangehen. Das machen wir insbesondere durch die Anhörung, die jetzt bevorsteht. Wir werden das übrigens auch vor dem Hintergrund des § 5 des Infektionsschutzgesetzes und der befristeten Regelungen, die im März des kommenden Jahres auslaufen, machen; aber das geht über das, was heute zur Debatte steht, hinaus.

Ich muss aber auch noch einmal deutlich sagen, dass ich doch ein bisschen erstaunt bin. Ich habe von der FDP in den letzten Wochen vernommen, dass Sie Kritik üben, obwohl Sie – ich habe das noch einmal nachgeschaut – seit März nur einen Antrag im Hinblick auf Corona gestellt haben, dass Sie die Beteiligung des Parlaments einfordern und hier eine Debatte darüber führen wollen.

(Zurufe von der FDP – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wo ist der Fraktionsvorsitzende schon wieder hin? Erst hier Wortführer und dann wieder verschwinden!)

Ich finde es eine Ungeheuerlichkeit und Frechheit, dass Ihr Fraktionsvorsitzender nicht den Anstand hat, bis zum Ende dieser Debatte hierzubleiben, sondern dass er gegangen ist. Das ist ein Affront gegen die parlamentarische Debatte.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Frechheit! Missachtung des Parlaments! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So viel zum Thema Parlamentsbeteiligung!)

Das zeigt: Er ist gewogen worden und für zu leicht befunden worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn ich dann noch einmal schaue, welche Argumente – auch rechtliche Argumente – Christian Lindner gerade vorgebracht hat, dann stelle ich fest – ich habe mich im Hinblick auf die heutige erste Lesung des Gesetzentwurfes ehrlicherweise in den letzten 36 Stunden intensiv damit auseinandergesetzt, welche Stellungnahmen von den Bundesländern eingegangen sind –, dass in den Stellungnahmen der Länder, in denen Sie regieren, nichts von dem zu lesen ist, was Christian Lindner hier angeführt hat.

Und ich muss einmal ganz ehrlich sagen – lieber Ralph Brinkhaus, 30 Sekunden bitte tapfer sein –: Angesichts des Chaos in der Schulpolitik, das Ihre Schulministerin Gebauer seit März in Nordrhein-Westfalen mit einem organisatorischen Totalversagen anrichtet, wo Schüler im Stich gelassen werden, Lehrer im Stich gelassen werden,

(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

bin ich froh, dass die Jamaika-Verhandlungen gescheitert sind, dass Sie keine Regierungsverantwortung hier in Berlin haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das, was Sie im Schulministerium in Nordrhein-Westfalen machen, ist verantwortungslos und keine Regierungsführung.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, das sind massive Einschränkungen für Gastronomen, für Hoteliers, die wir beschlossen haben; das stellen wir gar nicht infrage.

(Zuruf des Abg. Uwe Witt [AfD])

Aber vor diesem Hintergrund ist es wirklich richtig und wichtig, dass das Bundesfinanzministerium, das mittlerweile – das muss ich sagen – auch die Arbeit des Bundeswirtschaftsministeriums übernommen hat, diese Hilfen jetzt in dieser Höhe auf den Weg gebracht hat. Das hilft, das kommt an, und das ist genau die richtige Antwort in dieser Situation. Ich kann nur sagen: Wir brauchen einen starken Staat, der funktioniert. Wenn wir alle Personalkürzungen gemacht hätten, die die FDP über Jahre gefordert hat – „Privat vor Staat“ –, dann wäre dieses Gesundheitssystem schon zusammengebrochen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Andrew Ullmann, FDP.

(Beifall bei der FDP)

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