Gyde JensenFDP - Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die drittgrößte Glaubensgemeinschaft auf dieser Welt sind Atheisten und Agnostiker: Menschen, die sich bewusst entscheiden, nicht an einen Gott zu glauben, oder offen zugeben, dass sie nicht sicher sind, ob ein Gott existiert. Die gibt es nicht nur in unseren westlichen Gesellschaften. Experten schätzen, dass unter jungen Menschen im Nahen und Mittleren Osten jeder Fünfte nicht religiös ist.
Wer allerdings im Iran zu einer registrierten religiösen Minderheit gehört, wird diskriminiert und verfolgt. Wer sich gar zum Nichtglauben bekennt, muss die Todesstrafe fürchten. Wir haben es hier schon gehört, und auch im Bericht wird es genannt.
Zum vollständigen Bild der weltweiten Religionsfreiheit gehört nicht nur die Freiheit, zu glauben – wie, an wen oder an was man möchte –, sondern auch die Freiheit, nicht zu glauben.
(Beifall bei der FDP)
Hier könnte im nächsten Bericht vielleicht ein Schwerpunkt gesetzt werden, Herr Grübel.
(Beifall der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Meine Damen und Herren, nicht nur wir Liberalen, sondern viele hier im Bundestag berufen sich auf die Aufklärung, die den Atheismus ja sozusagen salonfähig gemacht hat. Denn die Aufklärung hat uns auch die Idee eines säkularen Staates gebracht. Darin liegt eine mögliche Antwort auf den weltweiten Rückgang der Religionsfreiheit: die konsequente Trennung von Glaube und Staat.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Dabei geht es nicht nur um religiöse Institutionen. Wir sehen gerade in China, was passiert, wenn Nichtreligiosität staatlich verordnet wird. Die Kommunistische Partei unter Xi Jinping hat das Ziel, der eigenen Bevölkerung jeglichen Individualismus abzuerziehen. Dafür wird Menschen in Umerziehungslagern quasi ihr Glaube ausgetrieben. Über 1 Million muslimischer Uiguren in Xinjiang und Hunderttausende Tibeter müssen diese Entwürdigung jeden Tag ertragen.
Meine Damen und Herren, der Staat – das muss die Quintessenz sein – hat sich aus Glaubensangelegenheiten herauszuhalten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Trotzdem existieren in 70 Ländern weltweit Blasphemiegesetze; Herr Grübel, Sie sprachen es an. Natürlich unterscheiden sich diese Gesetze inhaltlich, aber vor allem auch in der Anwendung. Zu diesem Thema gehört auch, dass ein Blasphemieparagraf – so wird er genannt – in Deutschland immer noch besteht, der § 166 StGB. Er kommt aber nicht zur Anwendung. Schon alleine deswegen unterscheidet er sich diametral von entsprechenden Gesetzen beispielsweise in Pakistan. Aber Deutschland hat Vorbildfunktion. Wenn ich mit dem ägyptischen Botschafter spreche, hält er mir das entgegen und nutzt es zur Argumentation, warum Ägypten nach wie vor die Todesstrafe oder Blasphemiegesetze beibehalten kann.
(Beifall bei der FDP)
Ich glaube, genau da liegt ein Punkt, wo wir eine wichtige Position einnehmen könnten, wenn wir den Paragrafen abschaffen,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
wie es beispielsweise auch unsere Nachbarn in den Niederlanden oder in Dänemark gemacht haben.
Doch nicht nur der Staat, meine Damen und Herren, schränkt Religionsfreiheit ein; auch die Gesellschaft kann de facto diesen Raum einschränken. Das passiert, wenn Rechte und Rassisten auch hier im Bundestag gegen Muslime hetzen, Islamismus mit dem Islam gleichsetzen und dadurch den Nährboden für Hass und Gewaltbereitschaft schaffen. Es passiert, wenn Juden sich nicht mehr trauen, in die Synagoge zu gehen, die Kippa zu tragen, weil in unseren Straßen Antisemiten lauern. Das passiert Geflüchteten, die bei uns Schutz suchen, weil sie in ihrer Heimat verfolgt werden, obwohl sie dort nur dem Glauben abgeschworen haben oder christlichen Glaubens sind oder konvertiert haben, und dann hier in Deutschland verfolgt werden.
All dem können wir natürlich nicht mit der Abschaffung von Paragrafen begegnen. Aber es erfordert eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung, zum Beispiel den interreligiösen Dialog – das „House of One“ ist ja nur ein sehr, sehr gutes Beispiel hier aus Berlin –
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
– ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin –, damit wir hier und weltweit unseren Glauben frei leben können: den Glauben an einen Gott, an mehrere Götter, an gar keinen oder an einen anderen als noch heute.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank, Gyde Jensen. – Die nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Christine Buchholz.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7481999 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit |