Matthias W. BirkwaldDIE LINKE - Rentenüberleitung (DDR-Altübersiedelnde)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Mauerfall hat die Bundesrepublik Deutschland die Ostdeutschen in die gesetzliche Rentenversicherung integriert. Die Rentenüberleitung war eine große Aufgabe; es gab Licht und Schatten.
Um ein Problem geht es dabei in unserer Großen Anfrage. Menschen, die schon Jahre oder Jahrzehnte vor dem Mauerfall unter großen Entbehrungen und nach vielen Demütigungen und oft auch unter Einsatz ihres Lebens aus der DDR in den Westen geflohen oder ausgereist waren, wurden rückwirkend und heimlich in die Rentenüberleitung einbezogen. Diesen DDR-Flüchtlingen hatten alle westdeutschen Regierungen vor 1989 versprochen, dass sie rentenrechtlich so behandelt werden würden, als hätten sie ihr komplettes Arbeitsleben im Westen verbracht.
Dieses Versprechen stand so im „Wegweiser für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR“, herausgegeben vom Bundesminister des Innern im Jahre 1980 und danach. Gut und richtig; denn ihre Ansprüche gegenüber der DDR-Sozialversicherung waren ihnen ja auch storniert, aberkannt und gestrichen worden. Das wurde ihnen nicht nur versprochen, sondern es wurde auch im Fremdrentengesetz juristisch eindeutig so verankert. Sie erhielten ein FRG-Rentenkonto; ihre DDR-Vergangenheit spielte sozialrechtlich keine Rolle mehr. Alles gut.
Aber ab den 90er-Jahren erhielten die DDR-Altübersiedlerinnen und ‑Altübersiedler dann plötzlich ohne jede diesbezügliche Information Rentenbescheide mit einem anderen Kürzel zugeschickt. Wo früher im Versicherungsverlauf „FRG“ für „Fremdrentengesetz“ stand, war plötzlich „SVA“ für „beitragspflichtiger Verdienst zur Sozialpflichtversicherung im Beitrittsgebiet“ eingetragen worden. Damit waren die Entgeltpunkte zusammengeschmolzen. Ihre bisherigen Rentenansprüche wurden gelöscht, und diese wurden plötzlich von der Rentenversicherung als DDR-Zeiten bewertet – das alles ohne vorherige nachvollziehbare Debatte im Bundestag, ohne eine vernünftige Begründung in irgendeinem der vielen Nachwendegesetze und ohne eine direkte Information der Betroffenen. So wurden Flüchtlinge über Nacht wieder zu DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürgern gemacht, und das ist völlig inakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundesregierung behauptet, das alles stünde im Renten-Überleitungsgesetz. Das stimmt nicht; denn das war eindeutig an die damaligen Versicherten im Beitrittsgebiet adressiert. Liebe Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, bitte zeigen Sie mir die Stelle im Gesetz, wo das stehen soll.
(Daniela Kolbe [SPD]: Antworten des Bundesministeriums!)
Die Betroffenen empfinden das bis heute als Diskriminierung und als Rechtsbruch. Ich kann das verstehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen allen einen Blick auf die Webseite der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge e. V.; die Adresse lautet www.flucht-und-ausreise.info. Der Vereinsvorsitzende, Herr Dr. Jürgen Holdefleiß, hat Sie in den vergangenen Tagen angeschrieben und Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linken kritisch kommentiert. Bitte antworten Sie in Ihren Erwiderungen nicht mir, sondern antworten Sie bitte den Betroffenen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Altübersiedlerinnen und Altübersiedler haben jahrzehntelang auf das Rentenrecht vertraut, und sie haben fleißig gearbeitet. Sie haben sich im Westen ein neues Leben aufgebaut, und dann wurden sie durch die Wiedervereinigung, die sie mehr als viele andere Menschen in diesem Land herbeigesehnt hatten, schwer benachteiligt. Das ist doch absurd!
(Beifall bei der LINKEN)
Verehrte Bundesregierung – ich sehe jetzt weder die Staatssekretärin noch den Minister –,
(Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)
Herr Weiß, die Geflüchteten wollen im Jahr 31 nach dem Mauerfall kein Bedauern. Sie wollen auch keine Entschuldigung. Nein, sie fordern den echten Willen, dieses Unrecht endlich aufzuarbeiten und Konsequenzen daraus zu ziehen. Wir Linken unterstützen das.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, zum Schluss. Wir waren schon mal weiter. Wir hatten im Petitionsausschuss bereits 2013 einen vollständigen überparteilichen Konsens. Es gab das Gutachten von Professor Heinz-Dietrich Steinmeyer. Er sagte: Es ist gezeigt worden, dass eine Lösung möglich ist, wenn bestimmte Rahmenbedingungen beachtet werden. – Und genau das erwarten wir Linken vom Ministerium für Arbeit und Soziales und von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich habe auch eine Erwartung an Sie.
Ich bin auch sofort bereit, Ihrer Erwartung nachzugeben, und sage: Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Danke schön.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: So schnell geht’s selten!)
– Tja, das nennt man Autorität. – Vielen Dank, Matthias W. Birkwald.
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Frank Heinrich.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7484291 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 191 |
Tagesordnungspunkt | Rentenüberleitung (DDR-Altübersiedelnde) |