19.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 192 / Zusatzpunkt 7

René RöspelSPD - Gentechnikstandort Deutschland

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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben gerade, wenn ich das richtig mitbekommen habe, gesagt, welche Möglichkeiten die Biotechnologie für die Gesellschaft künftig haben werde, sei noch ziemlich offen. Ich will ausdrücklich sagen – wenn ich das so richtig verstanden habe –: Das ist längst beantwortet. Ich glaube, dass Biotechnologie große Chancen hat, und zwar schon seit Jahrzehnten und Jahrhunderten. Ich trinke gerne Bier, und Bierbrauen ist Biotechnologie. Wir brauchen Zitronensäure; die wird in einem biotechnologischen Verfahren hergestellt. Es gibt ganz viel Biotechnologie bis hin zu BioNTech mit dem Übergang zur Gentechnologie, und das ist aus meiner Sicht sogar unumstritten. Bei uns in der Fraktion jedenfalls gibt es damit keine Probleme.

(Beifall bei der SPD)

Was tatsächlich ein Problem darstellen kann, ist die Verwendung von Gentechnologie. Das ist nämlich ein Unterschied. Es heißt ja heute in der Tagesordnung „Gentechnikstandort Deutschland“ und nicht „Biotechnologiedebatte“.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!)

Gentechnologie wird in einigen Bereichen – da, wo Gene verändert werden – von uns kritisch gesehen. Überall da, wo es um sogenannte Rote Gentechnologie, also Gentechnologie am Menschen, geht, gibt es Bereiche, wo entweder ethische Grenzen überschritten werden oder tatsächlich eine Gefährdung des Individuums vorliegen kann. Dagegen ist gegen somatische Gentherapie zum Beispiel nichts einzuwenden, wenn sie denn sicher für den Patienten ist.

Wo wir tatsächlich Probleme sehen, ist im Bereich der sogenannten Grünen Gentechnik oder Agrogentechnik, da nämlich, wo Organismen verändert und ausgebracht werden, also in Verkehr gebracht werden, und wir nicht wissen können, ob das reversibel ist. Einer der Grundsätze, die ich jedenfalls mit ins Parlament genommen habe, ist, Entscheidungen zu treffen, die reversibel sind. Die Rente mit 67 oder was auch immer kann die nächste Generation zurücknehmen, aber hier geht es um die Entscheidung – möglicherweise fahrlässig getroffen oder nicht ausdrücklich oder nur einem Innovationsprinzip folgend –, gentechnisch veränderte Pflanzen auszubringen – man sieht ja viele Beispiele weltweit –, ohne zu wissen, wie man das vielleicht in 20 Jahren wieder rückgängig machen kann, wenn eben Nachteile entstehen oder sichtbar werden. Das ist für uns eine Entscheidung, die wohlüberlegt sein muss. Es ist aus unserer Sicht gerechtfertigt, das Vorsorgeprinzip, also genau zu schauen und Risiken abzuwägen, weiter gelten zu lassen und nicht durch ein Innovationsprinzip, das ja leider auch in Teilen der Bundesregierung vertreten wird, verwässern zu lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Worum geht es denn? Diese neuen Genscheren oder die neuen gentechnischen Technologien sind in der Lage, präziser als alles, was wir bislang kannten, aber eben auch nicht zu 100,00 Prozent präzise und sensitiv, Gene oder Genome zu verändern. Wir glauben, von einigen Pflanzen oder Organismen die Gensequenzen zu kennen – das ist relativ einfach – und sie zu verstehen. Von den meisten wissen wir relativ wenig oder gar nichts. Da sehen wir nur eine Reihenfolge von Buchstaben.

Ich habe von Herrn Professor Fehse mal ein schönes Beispiel gelernt. Er ist nämlich auf eine Canstein-Bibel von 1731 gestoßen, eine Bibel mit mehreren Hundert Seiten, Tausenden von Wörtern und Zehntausenden von Buchstaben. Das haben die Mönche brav abgeschrieben oder, genauer gesagt, gedruckt, aber tatsächlich fehlt ein Wort. Da steht nämlich drin: „Du sollst ehebrechen“, weil das „nicht“ vergessen worden ist. Nun, das kann für einen eine Handlungsanleitung sein, gibt aber zu Hause Ärger.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Kommt drauf an!)

Wer diese Bibel liest und den Text im Kontext versteht, wird vielleicht merken, dass das „nicht“ fehlt – vielleicht sind andere Stellen auch interessanter –, und sich sagen: Okay, ich verstehe den Kontext und weiß, dass diese Aussage „Du sollst ehebrechen“ falsch ist, weil gemeint ist: „Du sollst nicht ehebrechen“. Wer nur Deutsch kann, ohne Kontexte zu verstehen – ein Kind zum Beispiel, das zum ersten Mal liest „Du sollst ehebrechen“ –, wird das als Information und als Handlungsanweisung wahrnehmen, versteht also tatsächlich nicht den Sinn.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann aber noch nicht heiraten!)

Wer vor dieser Bibel steht und nur die Reihenfolge von Buchstaben sieht, der wird weder den Kontext noch den Inhalt verstehen. Und das ist genau der Punkt: Wenn wir vor einem Genom mit ganz vielen Buchstaben stehen und glauben, den einen oder anderen ersetzen zu können und zu wissen, was passiert, handeln wir so wie derjenige, der die Canstein-Bibel von 1731 zum ersten Mal liest. Und ich finde, das ist ein sehr bemerkenswerter Punkt.

Wir haben eine Verantwortung auch gegenüber künftigen Generationen, nicht leichtfertig mit solchen Technologien umzugehen, überall da, wo der Umgang damit nicht in geschlossenen Systemen stattfindet, sondern wo es um Freisetzung geht. Wir jedenfalls halten es für wichtig, eine solche Verfahrensweise an den Tag zu legen. Deswegen halten wir es auch für richtig, was der Europäische Gerichtshof zu diesen neuen Methoden entschieden hat.

Übrigens, Emmanuelle Charpentier, die Erfinderin unter anderem von CRISPR/Cas9, hat uns gesagt, sie arbeitet und forscht gerne in Deutschland. Das heißt, die Bedingungen können so schlecht gar nicht sein. Vieles ist möglich im Bereich der Gentechnik; bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen allerdings sind wir nach wie vor sehr zurückhaltend.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7484714
Wahlperiode 19
Sitzung 192
Tagesordnungspunkt Gentechnikstandort Deutschland
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