Eva Högl - Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wir debattieren heute in zweiter Lesung den Jahresbericht 2019 – in diesem Fall des Wehrbeauftragten; denn dieser Bericht stammt noch von meinem Vorgänger Dr. Bartels, dem ich an dieser Stelle danke, nicht nur für diesen Bericht, sondern vor allem für seine engagierte Wahrnehmung des Amtes in den vergangenen fünf Jahren.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Franziska Gminder [AfD])
Mittlerweile bin ich fast sechs Monate im Amt, und ich bin sehr froh, dass ich den Sommer gut genutzt habe für viele Truppenbesuche und zahlreiche Gespräche mit Soldatinnen und Soldaten; denn leider können wegen Corona viele Begegnungen nicht stattfinden. Besonders schade ist, dass ich bisher noch nicht in die Einsatzgebiete im Ausland reisen konnte. Videoschalten ermöglichen zwar einen Austausch, ersetzen aber nicht das persönliche Gespräch und den Eindruck vor Ort.
Wie unsere gesamte Gesellschaft, so beschäftigt und belastet die Pandemie natürlich auch die Bundeswehr. Ausbildung, Übung und Einsatz sind stark beeinträchtigt durch die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen. Ausbildung wird verschoben oder verkürzt, Lehrgänge können nicht stattfinden, und eine ausreichende Unterbringung ist noch schwieriger als ohnehin schon. Der Ausfall der Auswahlkonferenz für Feldwebel hat Unverständnis hervorgerufen und zu viel Unruhe in der Truppe geführt. Aber die in der Bundeswehr im Vergleich noch immer niedrigen Infektionszahlen im Inland und im Ausland zeigen, dass das strenge und konsequente Hygienekonzept des Sanitätsdienstes genau richtig ist. Auch wenn die Quarantäne unangenehm ist und mich dazu zahlreiche Eingaben erreicht haben: Es geht nicht anders.
Sehr geehrte Abgeordnete, bei meinen Truppenbesuchen habe ich festgestellt, dass überall dort die schwierige Lage gut bewältigt wird und tragbare Lösungen gefunden werden, wo vor Ort, am Standort und im Verband, verantwortungsvoll entschieden und gehandelt wird. Kreativität, Flexibilität und vor allen Dingen gute Kommunikation sind maßgeblich, auch für hohe Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen.
An dieser Stelle danke ich sehr, sehr herzlich den vielen Soldatinnen und Soldaten, die seit Ausbruch der Coronapandemie Amtshilfe zur Eindämmung des Virus leisten, für ihre großartige Unterstützung.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Sie helfen in Gesundheitsämtern beim Testen und bei der Nachverfolgung von Infektionsketten, bei der Logistik, in der Altenpflege und sogar mit der Militärmusik unter dem Motto „Musik gegen Einsamkeit“ in Seniorenheimen. Über 7 700 Soldatinnen und Soldaten sind im Einsatz; täglich werden es mehr. 15 000 sind in Bereitschaft, weitere 18 000 im Sanitätsdienst. Über 1 000 Amtshilfeersuchen wurden gebilligt, fast 700 bereits erledigt. Auch wenn das nicht der Kernauftrag unserer Bundeswehr ist, zeigt sich, was die Truppe kann, und darauf können wir sehr stolz sein. Dafür gebührt den Soldatinnen und Soldaten unser Dank, unsere Anerkennung und unser Respekt.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Danken möchte ich ebenso den Soldatinnen und Soldaten, die trotz Corona im Inland wie in den zahlreichen Auslandseinsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen ihren Auftrag erfüllen und ihren Dienst leisten für Frieden, Freiheit und unsere Sicherheit. Aktuell besorgt uns der angekündigte Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Es ist gut, dass die Bundeswehr bereits Vorbereitungen für einen geordneten Rückzug getroffen hat. Oberstes Gebot ist die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten.
Der Jahresbericht 2019 beschreibt die bekannten, seit Jahren bestehenden und leider weiterhin aktuellen Probleme der Bundeswehr: zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie. Soldatinnen und Soldaten brauchen in Ausbildung, Übung und Einsatz gute Ausrüstungen. Dass dies nicht immer und überall gewährleistet ist, ist inakzeptabel. Es wäre gut, Frau Ministerin, wenn wir nicht erst 2031, sondern deutlich davor feststellen könnten, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bestens ausgestattet sind. Das muss absolute Priorität haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ehrlich gesagt, sehr geehrte Abgeordnete, das muss bei einem Verteidigungshaushalt von rund 50 Milliarden Euro auch möglich sein. Ich begrüße daher, Frau Ministerin, dass Sie vorgestern gesagt haben, dass die Grundausstattung und die Mittel des täglichen Betriebs in Zukunft Vorrang haben sollen. Das ist der richtige Weg.
Die materielle Einsatzbereitschaft von derzeit etwas über 70 Prozent muss auch deutlich erhöht werden. Hier gab es leider im Jahr 2019 kaum Fortschritte. Fehlende oder nicht einsatzfähige Fahrzeuge, Hubschrauber oder Schiffe, fehlendes Werkzeug, unzureichende Ausrüstung, das ist leider häufig der Grund für die berechtigte Unzufriedenheit von Soldatinnen und Soldaten. Es ist absolut unverständlich, dass es nicht gelingt, selbst die Beschaffung von kleinen Ausrüstungsgegenständen wie Schutzwesten, Gehörschutz oder Rucksäcken deutlich zu beschleunigen. Die Strukturen und Prozesse müssen dringend verändert werden. Das zeigen leider auch die gerade erst gescheiterten Vergabeverfahren beim Schweren Transporthubschrauber und dem neuen Sturmgewehr. Ich hoffe deshalb, dass die „Initiative Einsatzbereitschaft“ in den nächsten Jahren wirksam wird und die Verfahren einfacher und schneller werden. Wir brauchen auch hier mehr Flexibilität, mehr Verantwortungsbewusstsein und klarere Entscheidungsstrukturen. Diejenigen, sehr geehrte Abgeordnete, die für die militärische Auftragserfüllung verantwortlich sind, die müssen wieder mehr Kompetenzen und Ressourcenverantwortung bekommen.
Sehr geehrte Abgeordnete, die klare Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten leistet jeden Tag verantwortungsvoll ihren Dienst für unser Land, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. Deswegen sagen wir ganz klar: Rechtsextremismus hat in der Bundeswehr keinen Platz; er widerspricht Ehre und Kameradschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Jeder einzelne Fall ist einer zu viel und muss zügig und gleichzeitig gründlich aufgeklärt werden – das gilt auch für jedes Kennverhältnis und jede Chatgruppe –, damit deutlich wird, welche Verbindungen es gibt, ob Netzwerke entstehen oder ob Netzwerke bereits bestehen. Aufklärung ist unerlässlich.
Der Zwischenbericht zu den Reformen beim KSK zeigt – das ist jedenfalls mein Eindruck –, dass die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen auf einem guten Weg ist. Ich war bisher zweimal beim KSK, habe Gespräche mit zahlreichen Soldatinnen und Soldaten geführt und mir beim Potenzialfeststellungsverfahren einen Eindruck verschafft. Ende November, Anfang Dezember reise ich ein drittes Mal. Ich denke, dass das KSK eine gute Zukunft hat, wenn es so weitergeht.
Auch beim BAMAD sind weitere Anstrengungen erforderlich, insbesondere bei den Sicherheitsüberprüfungen und bei den Reservistinnen und Reservisten.
Sehr geehrte Abgeordnete, gestatten Sie mir eine Anmerkung zur Wehrpflicht, weil ich mich Anfang Juli dazu geäußert hatte und weil morgen hier Anträge dazu diskutiert werden. Selbstverständlich habe ich nie die Rückkehr zur alten Wehrpflicht gefordert. Dennoch erlaube ich mir, zu sagen, dass es 2011 trotz der damaligen Schwierigkeiten mit der Wehrpflicht und vor allen Dingen wegen der Wehrgerechtigkeit und vor dem Hintergrund der damals veränderten Weltlage eine falsche Entscheidung war, die Wehrpflicht auszusetzen, zumal ohne Konzept. Ich würde mir wünschen – und es würde mich freuen, wenn das auch hier im Bundestag unterstützt würde –, dass wir im nächsten Jahr, zehn Jahre nach Aussetzung der Wehrpflicht, ganz ruhig und sachlich darüber diskutieren,
(Stephan Brandner [AfD]: Warum nicht morgen schon?)
wo wir heute stehen und ob wir mit den bisherigen Konzepten genügend junge Leute und einen ausreichenden Querschnitt unserer Gesellschaft für die Bundeswehr begeistern.
Genau vor einer Woche haben wir 65 Jahre Bundeswehr gefeiert. Wir können stolz sein auf unsere Soldatinnen und Soldaten. Sie stehen ein mit ihrem Leben für unsere Freiheit, Sicherheit, Demokratie und für unseren Rechtsstaat. Sie verdienen Dank, Anerkennung, Wertschätzung und Respekt. Der Bundespräsident, sehr geehrte Abgeordnete, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es keine Distanz geben darf zwischen Bundeswehr, Gesellschaft und Politik.
(Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und Grundgesetz!)
Das ist ein Auftrag hier an uns alle. Das bedeutet und erfordert auch, dass die seit Jahren bestehenden Mängel endlich für die Truppe spürbar behoben werden müssen. Das darf die Truppe von Parlament und Regierung erwarten.
Der Jahresbericht beschreibt ganz genau, wo die Mängel, die Fehler und Versäumnisse liegen und wo es dringenden Verbesserungsbedarf gibt. Damit verbunden ist die klare Erwartung und Forderung an das Ministerium, an die militärische und politische Führung, diesen Bericht als Grundlage zu nehmen für Reformen, für Lösungen und für Verbesserungen zum Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten.
Ich habe mir vorgenommen, während meiner Amtszeit immer auch das Positive zu betonen, das, worauf wir stolz sein können, das, was jeden Tag geleistet wird, und das, was auf einem guten Weg ist.
Abschließend möchte ich sehr, sehr herzlich allen danken, die zu diesem Jahresbericht beigetragen haben, natürlich noch einmal meinem Vorgänger, Herrn Dr. Bartels, und ganz besonders allen Soldatinnen und Soldaten sowie den Kolleginnen und Kollegen im Amt der Wehrbeauftragten.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 192 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019 |