20.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 193 / Zusatzpunkt 17

Dirk WieseSPD - Aktuelle Stunde - Bedrängung von Abgeordneten verurteilen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Parlamentarismus, die Debatte hier im Parlament, sie leben vom Austausch der Argumente. Diese Debatte ist intensiv. Sie ist manchmal auch hitzig. Ja, manchmal ist sie auch durchaus nicht einfach bei manchen Punkten. Aber – das hat diesen Deutschen Bundestag ausgezeichnet, und das hat bisher auch die Fraktionen hier im Deutschen Bundestag in den vergangenen Jahren immer wieder ausgezeichnet – sie war immer getragen von Respekt, von Anerkennung des Arguments des anderen. Sie war geprägt davon, dass man zugehört hat.

Zu dem, was wir allerdings in dieser Woche am Mittwoch erlebt haben, muss ich sagen: Das war kein Einzelfall, der zufällig passiert ist, weil man unachtsam gewesen ist bei der Überprüfung derjenigen, die man als Gäste mit in den Deutschen Bundestag genommen hat. Ich muss schon sagen: Diese Rechtfertigung, die ich gerade hier an diesem Pult von Herrn Gauland gehört habe, die ist scheinheilig.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das, was hier am Mittwoch stattgefunden hat, passte in das System, wie die AfD hier im Deutschen Bundestag auftritt. Es war wieder einmal eine bewusste Grenzüberschreitung in voller Absicht, und Ihre Rechtfertigung gerade, Herr Gauland, die kann ich Ihnen nicht abnehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will etwas zum Vergleich zu Weimar sagen; mein Kollege Grosse-Brömer hat es gerade angesprochen. Kurt Sontheimer hat einmal gesagt: Weimar „war eine Demokratie, in der es weithin keine demokratische Gesinnung gab“. Sie war von Verfassungsfeinden durchsetzt. – Wir leben aber heute in einer anderen Zeit. Darum ist es nicht vergleichbar. Unsere heutige Demokratie ist wehrhaft. Wir wissen, wie wir uns zur Wehr setzen können. Wir wissen, wie wir mit Verfassungsfeinden umgehen können. Die große Anzahl der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, hier in diesem Haus steht auf dem Boden des Grundgesetzes, verteidigt diese Verfassung und will sie nicht in den Parlamenten angreifen und aufheben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle auch meinen großen Dank sagen an die Polizistinnen und Polizisten, die dafür gesorgt haben, dass das Verfassungsorgan Bundestag seiner Arbeit nachgehen konnte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin allerdings erschüttert, dass die Polizei am Mittwoch auch das Haus der Bundespressekonferenz schützen musste, weil auch unsere vierte Gewalt mit Attacken rechnen musste. Das ist etwas, was aus meiner Sicht uns alle auffordert, aufzustehen, dagegenzuhalten, die Stimme zu erheben.

Ich muss angesichts der Schilder einiger Protestierenden eines sagen: Wir leben hier in keiner Diktatur. Wer eine Diktatur sehen will, der muss nach Belarus gucken, aber nicht in die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ganz ehrlich, wer den Vergleich anstellt – auch aus Ihrer Fraktion wurde dies gemacht –, dass es sich hier am Mittwoch um ein Ermächtigungsgesetz handeln würde, der handelt geschichtsvergessen. Das Ermächtigungsgesetz von 1933 bedeutete die Aufhebung der Gewaltenteilung, die Verschmelzung von Legislative und Exekutive. Sozialdemokraten haben am Rednerpult gestanden – nicht hier, ein bisschen entfernt –, und sie haben dagegengestimmt, obwohl sie wussten, dass sie, wenn sie das tun, in die Konzentrationslager kommen und mit Folter und Tod bedroht werden. Da muss man sagen: Wer diesen Vergleich zieht, der ist geschichtsvergessen, der hat keine Ahnung und der lügt bewusst über das, was 1933 passiert ist.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig, dass der Ältestenrat und damit auch der Deutsche Bundestag beschlossen hat, diese Vorfälle jetzt zu prüfen, strafrechtlich und ordnungsrechtlich. Ich kann nur sagen: Wir müssen aufpassen. Wehren wir diesen Anfängen. Kurt Schumacher, ein großer Sozialdemokrat, hat einmal gesagt:

Nur ein Deutschland, getragen von einem staatsbürgerlichen Bewusstsein und sozialer Gerechtigkeit, kann erfolgreich in der Abwehr totalitärer Tendenzen sein.

(Zuruf von der AfD)

Da, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir alle gefordert.

Lieber Herr Gauland,

(Ulli Nissen [SPD]: „Lieber“?)

Sie haben hier im Deutschen Bundestag am Mittwoch eine Plakataktion gemacht und sich dabei auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland berufen. Dazu kann ich nur eines sagen – und da will ich Carlo Schmid zitieren; übrigens nicht Carl Schmitt, den Sie, glaube ich, zu häufig gelesen haben –: Artikel 1 des Grundgesetzes ist „der eigentliche Schlüssel für das Ganze“. Artikel 1 des Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – haben Sie bis zum heutigen Tage nicht verstanden.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das merkt man in jeder Ihrer Reden hier im Deutschen Bundestag.

Von daher: Ja, diese Coronazeit ist eine herausfordernde Situation für uns alle. Aber mit Respekt, Solidarität und Gemeinschaftssinn werden wir diese schwierige Zeit für die Bundesrepublik, für Europa überstehen. Da müssen wir gemeinsam ansetzen, mit Respekt und mit Toleranz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marco Buschmann, FDP.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7485278
Wahlperiode 19
Sitzung 193
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Bedrängung von Abgeordneten verurteilen
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