Johannes VogelFDP - Beschäftigungssicherung - COVID-19
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Wort zu Herrn Sichert von der AfD: Am Anfang dieser Krise war einer der gefährlichsten freiheitsfeindlichen Mythen, was Menschen wie Xi Jinping und Wladimir Putin behauptet haben: Die Solidarität in der EU sei doch nur ein schönes Märchen. Dass Sie allen Ernstes hier in der Krise beantragen, dass man Nationalismus so auslebt, dass man die Menschen in Europa gegeneinander ausspielt, indem Sie jetzt allen Ernstes die Zuschüsse zur EU reduzieren wollen, das lässt tief blicken. Gott sei Dank macht die EU das ganz anders, und Gott sei Dank haben Sie in diesem Land nichts zu melden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber zur Regierung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde auch, Kurzarbeitergeld ist ein erfolgreiches Kriseninstrument, und es ist stark, wie es international anerkannt wird. Ich glaube deshalb, es ist richtig, dass wir hier im parteiübergreifenden Konsens am Anfang der Krise Kurzarbeitergeld in den Krisenregelungen möglich gemacht haben. Wir haben es damit geschafft, gemeinsam einen gewaltigen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern.
Gleichzeitig sind über eine halbe Million Menschen mehr arbeitslos als vor einem Jahr. Das zeigt, dass Beschäftigungssicherung wichtig ist; aber Beschäftigungssicherung ist in Wahrheit nur die halbe Miete, weil wir gleichzeitig auch Einstellungsdynamik brauchen, weil wir gleichzeitig auch wirtschaftliches Wachstum brauchen. Deshalb ist Kurzarbeitergeld gut, aber Sie müssten mehr für die Rahmenbedingungen tun, sodass auch neue Jobs geschaffen werden: Entlastung bei Investitionen, Entlastung der Unternehmen,
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Lohnnebenkosten runter!)
zum Beispiel durch eine großzügigere Steuerrückerstattung bei den Verlusten dieses Jahres. Das wären Maßnahmen, mit denen wir auch dafür sorgen würden, dass neue Jobs entstehen.
(Beifall bei der FDP)
Da sind Sie wirtschaftspolitisch leider ziemlich einfallslos.
Gleichzeitig verlängern Sie das Kurzarbeitergeld anders als in der letzten Krise nicht schrittweise, sondern jetzt direkt bis nach der Bundestagswahl. Deshalb werden wir uns bei diesem Gesetz auch nur enthalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Langfristiges Wachstum entsteht aber durch Innovation. Was sind Treiber von Innovation? Kreativer Input von innen, durch Aufstieg, kreativer Input von außen, durch Einwanderung, und natürlich Unternehmertum und Gründermut. Deshalb will ich noch etwas dazu sagen, wie Sie in dieser Krise mit den Menschen umgehen, die unternehmerisches Denken jeden Tag beweisen: den Selbstständigen in diesem Land. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da finde ich, dass das Nichthandeln dieser Koalition und das Handeln dieser Koalition in den letzten Tagen wirklich skandalös sind.
Diese Woche ist internationale Gründerwoche, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und was tun Sie ausgerechnet in dieser Gründerwoche? Sie verlängern die Sonderregelung für Angestellte bis nach der nächsten Bundestagswahl, und gleichzeitig drücken Sie den Selbstständigen ohne Angestellte in diesem Land im größten Sturm jetzt ein kleines Cocktailschirmchen in die Hand, nachdem Sie sie ein halbes Jahr im Regen stehen gelassen haben. Das ist skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, und das reicht einfach nicht.
(Beifall bei der FDP)
Machen wir es mal konkret. Wir müssen uns das Problem des sogenannten Unternehmerlohns kurz vor Augen führen. Es ist ja lange bekannt, dass in einer Wissensgesellschaft auch Lebenshaltungskosten abgedeckt werden müssen. Seit März haben wir hier im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen – ich ganz persönlich, aber auch Kolleginnen und Kollegen von anderen Oppositionsfraktionen. Es kamen parteiübergreifende Bittbriefe aus den Bundesländern, permanente Nachfragen hier im Deutschen Bundestag.
Und was haben Sie getan? Für die Beschäftigten gab es erhöhtes Kurzarbeitergeld, und die Selbstständigen haben Sie als Erwerbstätige zweiter Klasse behandelt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das ist skandalös, und das geht so nicht.
(Beifall bei der FDP)
Letzte Woche haben Sie endlich einen Vorschlag präsentiert. Den muss man sich aber mal genauer anschauen: Sie haben eine Neustarthilfe aus dem Hut gezaubert wie ein Kaninchen. Kaninchen sind oft mager; Ihr Kaninchen ist aber halbverhungert; denn das Geld, das Sie jetzt den Selbstständigen angedeihen lassen wollen, ist geringer als die Grundsicherung.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist zusätzlich!)
Ihre Antwort lautet, wenn man Ihnen das vorwirft: Ja, die Grundsicherung kommt ja noch obendrauf. – Die Grundsicherung können die meisten Selbstständigen gar nicht nutzen, wegen der Altersvorsorge, weil sie vielleicht in einer Partnerschaft leben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist zu wenig für die Selbstständigen in diesem Land, die Innovationstreiber in unserem Land sind.
(Beifall bei der FDP – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: 8 000 Euro im Monat!)
Kommen Sie mir nicht damit, dass die nicht eingezahlt haben. Erstens haben sie Steuern gezahlt. Zweitens leben wir ja in einer Ausnahmesituation, in der die Politik – zwar aus guten gesundheitspolitischen Gründen, aber dennoch ist es so – Menschen das Geschäft verbietet. Dann muss sie auch für Entschädigung sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und da tun Sie für die Selbstständigen in diesem Land zu wenig. Das muss sich endlich ändern.
(Beifall bei der FDP)
Sie trampeln damit auf dem zarten Pflänzchen von Selbstständigkeit und Unternehmertum in diesem Land herum. Wir brauchen nicht nur in der Krise, sondern wir brauchen gerade auch nach dieser Krise Innovativität.
Herr Kollege Vogel.
Ich komme zum letzten Satz; ich komme zum Schluss. – Wir brauchen gerade auch nach dieser Krise die Innovativität und Schaffenskraft der Selbstständigen, der Künstler, der Coaches und der vielen Freiberufler in diesem Land. Dafür tun Sie zu wenig, und das geht so nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Sabine Zimmermann, Die Linke, erhält jetzt das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7485294 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Beschäftigungssicherung - COVID-19 |