20.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 193 / Tagesordnungspunkt 25

Karl-Heinz BrunnerSPD - Bundeswehr

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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich bin am heutigen Tage schon verwundert, dass wir im 65. Jahr der Bundeswehr, nach 65 Jahren Erfolgsgeschichte Bundeswehr, über zwei solche Anträge diskutieren müssen, wie sie heute vorliegen.

Zum Antrag auf Reaktivierung der Wehrpflicht wird sich mein Kollege Fritz Felgentreu umfangreich äußern. Ich darf an dieser Stelle sagen: Ich kann die Aussage unserer Wehrbeauftragten, die ich als kleiner Mann nur auf Zehenspitzen dort hinten sehen kann, voll und ganz unterstreichen.

Ich möchte mich auf die Erfolgsgeschichte Bundeswehr beziehen, die 65 Jahre das Dienst- und Treueverhältnis beinhaltet. Das Herauspicken eines einzelnen Bereichs, „Breacher Brain“, zeigt nicht die Erfolgsgeschichte des Dienst- und Treueverhältnisses auf.

Beim Dienst- und Treueverhältnis geht es nicht darum, wie der erste Redner in dieser Debatte gesagt hat, sich als Konservativer an Regeln zu halten. Ich halte mich immer an Regeln; ich müsste also ein Urkonservativer sein. Der Redner hingegen kann offensichtlich keiner sein; denn am vergangenen Mittwoch hat man sich ja wohl nicht an Regeln gehalten. Bitte bewerten Sie es nicht über, wenn jemand meint, er müsse Konservatismus mit dem Einhalten von Regeln gleichsetzen.

Aber unsere Bundeswehr hat in diesen 65 Jahren etwas geleistet, was, glaube ich, keine Parlamentsarmee, keine Armee dieser Welt geleistet hat, nämlich sich fortzuentwickeln, Fehler einzugestehen, aus Fehlern zu lernen und im Sinne des Dienst- und Treueverhältnisses zu guten und vernünftigen Lösungen zu kommen.

(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Drei Beispiele, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich dazu anführen.

Eine Geschichte, die uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier und die Bundeswehr schon länger beschäftigt und zeigt, wie die Bundeswehr in der Lage ist, sich zu ändern, zu reflektieren und im Sinne des Dienst- und Treueverhältnisses für Soldatinnen und Soldaten die richtige Lösung zu finden: Radargeschädigte. Der eine oder andere, gerade unter den älteren Menschen, erinnert sich noch, dass die Schädigungen von an Radargeräten arbeitenden Soldaten – es waren damals eigentlich nur Männer – über lange Jahre belächelt und nicht wissenschaftlich ergründet, nicht entsprechend der Fürsorgepflicht nach § 31 Soldatengesetz betrachtet wurden. Bis zum heutigen Zeitpunkt liegen die Anerkennungsquoten, zum Teil auch bei Mitgliedern des Bundes zur Unterstützung Radarstrahlengeschädigter, immer noch bei unter 20 Prozent. Wir haben Verfahrenszeiten von 37 Jahren und länger gehabt. Beispielsweise ist in einem noch laufenden Verfahren der Antragsteller bereits im Jahr 2019 verstorben. Die Verwaltung hat hier in Eigendynamik zwar rechtlich absolut korrekt gearbeitet, aber das Wort „Fürsorge“ noch nicht verinnerlicht.

Unser Parlament, genauer: der Verteidigungsausschuss, hat gemeinsam mit der Bundeswehr einen Weg gefunden durch die Forderung nach einem runden Tisch mit Institutionen und Verbänden und die klare Aussage, dass wir eine sofortige Entschädigung für diese Menschen wollen; denn Fürsorge ist nicht nur während des Dienstes, sondern insbesondere nach dem Dienst erforderlich. Ich bin zuversichtlich, dass wir dies gemeinsam, Parlament und Bundeswehr, auf den Weg bekommen, so wie wir in der ersten Phase nach Feststellung der Schädigungen von Radargeschädigten damals die bundesunmittelbare Deutsche Härtefallstiftung auf den Weg gebracht haben, die sich heute als rechtsfähige Stiftung zum Beispiel auch mit den Folgen von „Breacher Brain“ beschäftigt. Sie kann soziale und finanzielle Hilfen über Jahre hinaus ermöglichen. Ich zitiere, Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis aus dem Bericht des Wehrbeauftragten 2019:

In besonders gelagerten Problemfällen kann auch die Deutsche Härtefallstiftung schnell Abhilfe schaffen. Sie übernimmt Aufgaben und Leistungen, die der Dienstherr teilweise aus rechtlichen Gründen nicht erbringen kann.

In der 49. Sitzung des Vergabeausschusses in dieser Woche sind nunmehr 721 abgeschlossene Fälle, 466 positive Entscheidungen festgestellt worden, die Entschädigungen in einer Größenordnung von 10 Millionen Euro ermöglicht haben. Dies ist eine Erfolgsgeschichte unserer Bundeswehr. Dieses Gemeinschaftsprojekt, in dessen Rahmen jetzt auch mit der Katholischen Familienstiftung für Soldaten das Thema „Angst, Depressionen, Suizid und Einsatzfolgen“ wissenschaftlich bearbeitet wird und für das ich mit der Kollegin Gisela Manderla die Schirmherrschaft übernommen habe, zeigt dies noch einmal in besonderer Weise.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich als Letztes sagen: Der Umgang mit den homosexuellen Soldaten in der Bundeswehr während vieler Jahre ist in meinen Augen ein exzellentes Beispiel, um zu zeigen, wie die Bundeswehr mit dem eigenen Verhalten – manchmal gesellschaftstypisches Verhalten, später Fehlverhalten – in der Lage ist umzugehen. Seit dem 3. Juli 2000, dem formellen Ende der Diskriminierung von homosexuellen Soldaten in der Bundeswehr durch Aufhebung des Erlasses, hat es noch eine Zeit gedauert. Aber eine gute Studie, die Studie „Tabu und Toleranz“, die vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften erarbeitet und am 17. September 2020 vorgestellt wurde, hat den Umgang der Bundeswehr von 1955 bis zur Jahrtausendwende in den Mittelpunkt gestellt.

Ein guter und überfälliger Gesetzentwurf, der nunmehr im November im Kabinett beraten und im Frühjahr 2021 in den Bundestag eingebracht werden wird, zeigt, dass die Möglichkeit besteht, diese Geschichte mit einem guten Ende abzuschließen.

(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Die symbolische Entschädigung folgt dem Gedanken, dass die Benachteiligung und deren Folgen aus heutiger Sicht grundgesetzwidrig sind und waren.

(Beifall der Abg. Yasmin Fahimi [SPD])

65 Jahre Bundeswehr brachten große Veränderungen mit sich.

Kollege Brunner, das wäre jetzt der Punkt gewesen.

Ich komme zum Ende. – Ich darf mich für die Integration der Bundeswehr in der NATO, der Europäischen Union und vor allen Dingen in diesem Parlament recht herzlich bedanken und hätte mir gewünscht, dass wir diese Debatte heute zum Anlass nehmen, mehr zu feiern.

Sie können weitermachen, aber dann auf Kosten des Kollegen Felgentreu.

Das mache ich nicht, liebe Frau Präsidentin. – Deshalb sage ich: Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Danke, Karl-Heinz!)

Das Wort hat der Kollege Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7485312
Wahlperiode 19
Sitzung 193
Tagesordnungspunkt Bundeswehr
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