Pascal KoberFDP - Minijobs in Sozialversicherungspflicht
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minijobs sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)
Wir freuen uns am Morgen alle über die Zeitung in unserem Briefkasten. Wir freuen uns, wenn die Regale in den Supermärkten auch in Stoßzeiten voll sind, wenn sich die Schlangen vor den Kassen auflösen, weil eine neue Kasse öffnen kann. Wir freuen uns, wenn die Sonne scheint und die Biergärten und die Straßencafés spontan öffnen können. Viele Familien und Singles freuen sich über Unterstützung in ihrem Haushalt durch haushaltsnahe Dienstleistungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Minijobs sind ein Erfolgsmodell, und wenn wir sie nicht hätten, müssten wir sie erfinden.
(Beifall bei der FDP)
Das gilt auch für Kunst und Kultur, die wir in der Freizeit genießen. Vom Kartenabreißer bis zur Unterstützung im Bereich der Technik und der Sicherheitsdienste: Das sind häufig Minijobs, die uns allen den Alltag verschönern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, und was will Die Linke? Sie möchte dieses Erfolgsmodell beerdigen.
(Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das ist kein Erfolgsmodell!)
Aber was würde es denn für die Arbeit der Vollzeitbeschäftigten, der Vollsozialversicherungspflichtigen in den Branchen der Hotellerie, der Gastronomie, der Kunst und Kultur bedeuten, wenn sie keine Unterstützung mehr hätten?
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht Vollzeit! Das ist der Unterschied!)
Herr Kober, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung oder eine Zwischenfrage von Herrn Straetmanns?
Weil er es ist.
Herzlichen Dank, Herr Kober, dass Sie meine Anmerkung zulassen. – Ich schätze Sie als Mensch sehr, aber ich kann das, was Sie hier in Ihrer Rede zu Ihrem Antrag als soziales Potpourri des Lebens in Deutschland vor uns entfalten, so nicht unkommentiert stehenlassen.
Sie haben Ihren Redebeitrag mit der Feststellung begonnen, dass sich jeder über die Tageszeitung freut. Wissen Sie, das kann man vielleicht vertreten, wenn man in einer Partei ist, deren Mitglieder keine Minijobber sind. Ich bin in einer Partei Mitglied, in der es den Altersrentner gibt, der einen Minijob zum Aufstocken ausüben muss und der sich morgens aus dem Bett quält. Ich habe in meinem Kreisverband Mitglieder, die auch aus anderen Gründen auf den Minijob angewiesen sind und nicht aufstocken können.
Deshalb möchte ich das Ganze vielleicht noch mal mit einem anderen Punkt garnieren: Der Minijob, wenn er denn sozialversicherungspflichtig wäre, würde ja den Betroffenen helfen, die Rentenvoraussetzung für bestimmte Altersrenten zu erfüllen. Bei einigen Altersrentenarten haben wir 35 Jahre Wartezeit als Voraussetzung. Um diese Dinge bringen Sie die Menschen. In Ihrem Antrag entfalten Sie für mich ein Bild einer Gesellschaft, die ich komplett ablehne und die nicht das ist, was ich mir unter einem Sozialstaat vorstelle. Das ist das eine.
Und jetzt stelle ich eine Frage: Haben Sie die Studie des DIW vom 4. November 2020 eigentlich gelesen, in der diese soziale Wirklichkeit beschrieben wird?
Herr Kober, bitte.
(Frank Sitta [FDP]: Aber kurz muss es sein! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zwei Minuten sind erlaubt, das waren 1 Minute und 24 Sekunden! Ich habe alles im Griff!)
Lieber, geschätzter Kollege Straetmanns, vielen Dank für Ihre Frage. – Es ist unstrittig, dass ein Minijob kein Ersatz für eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sein kann. Es muss unser Ziel sein, dass die Menschen über einen langen Zeitraum ihres Erwerbslebens voll sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Das ist überhaupt gar keine Frage, und das ist nicht strittig.
Aber schauen wir uns doch mal die Lebenswirklichkeit an. Wir haben Minijobber, die Studierende sind. Die steigen dann in das Berufsleben ein. Die finanzieren sich einen Teil ihres Studiums.
Schauen Sie sich die Wirklichkeit an. Es gibt Menschen, die in Haushalten oder in der Industrie arbeiten, zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Das sind nicht alles Menschen, die in ihrem Hauptjob schlecht verdienen, sondern auch Menschen, die sich etwas hinzuverdienen wollen; das ist statistisch belegt. Man muss sich konkret anschauen, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Motivation Menschen einen Minijob haben, und dann dort ansetzen, wo wir Probleme erkennen.
Gleichzeitig muss man betonen: Wir leben in einer freien Gesellschaft. Jeder ist ein Stück weit mitverantwortlich dafür, sich in seinem Berufsleben möglichst so zu positionieren, dass es für ihn am Ende passt.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schräg! – Kerstin Tack [SPD]: Ganz schräge Haltung! Jeder ist seines Glückes Schmied!)
Unsere Aufgabe ist es, ihn dabei zu unterstützen. Dafür macht die FDP hinreichend gute Vorschläge, die hier leider keine Mehrheit finden. Aber sehr wichtig wäre beispielsweise, dass wir die Zuverdienstmöglichkeiten bei den Minijobs verbessern, nicht nur, indem wir die Minijobgrenze erhöhen, wie wir das in unserem Antrag fordern, sondern auch, indem wir die Zuverdienstgrenzen ausweiten. Wir müssen das Transfer- und Steuersystem insgesamt so verändern, dass die Minijobfalle gar nicht erst entsteht.
(Beifall bei der FDP)
So, jetzt haben Sie ausführlich geantwortet. Danke schön. – Jetzt geht es weiter in Ihrer Rede.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sähe die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hotellerie und Gastronomie aus, wenn sie zu Stoß- und Randzeiten nicht die Unterstützung von Minijobberinnen und Minijobbern hätten?
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie würden ganz normal angestellt werden!)
Das würde mehr Stress und mehr Arbeitsbelastung erzeugen, und das wäre nicht richtig.
Ich habe es in der Antwort auf die Frage von Herrn Straetmanns gesagt: Natürlich ist der Minijob kein Ersatz für ein voll sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis; aber das wissen die Menschen. Diejenigen, die Schwierigkeiten haben, einen voll sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu finden, haben vonseiten der FDP die volle Unterstützung. Wir haben entsprechende Vorschläge vorgelegt, wie man sie besser in den Arbeitsmarkt integrieren kann. Aber richtig ist auch, dass sich die Chance eines Arbeitsuchenden, in ein voll sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu kommen, um 40 Prozent verbessert, wenn er zuvor einen Minijob hatte. Diese Chance eines gleitenden Einstiegs und Aufstiegs in den Arbeitsmarkt sollten wir den Menschen nicht nehmen.
(Beifall bei der FDP)
Auch bei den Frauen ist es so, dass fast die Hälfe nach Ausübung eines Minijobs in eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Umfang von mindestens 20 Stunden wechselt. Auch hier ist der Minijob die Chance für einen Einstieg oder Wiedereinstieg in das Berufsleben. Viele Rentnerinnen und Rentner arbeiten deshalb in einem Minijob, weil sie Schritt für Schritt aus der Beschäftigung ausgleiten wollen,
(Gabriele Katzmarek [SPD]: Ich dachte, weil sie zu wenig Rente bekommen! Da lag ich wohl falsch!)
und nicht, weil sie dringend auf das Einkommen angewiesen sind. Es gibt viele Menschen, die sich über den Minijob ein zusätzliches Hobby leisten können. Es gibt die Studierenden, die sich ihr Studium finanzieren. Wir als Gesellschaft haben sehr viel zusätzlichen Reichtum durch das Angebot, Minijobs machen zu können.
(Beifall des Abg. Frank Sitta [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre dringend notwendig, dass wir die seit 2013 festgemauerte Minijobgrenze von 450 Euro deutlich erhöhen. Wir schlagen eine Erhöhung auf das 60-Fache des Mindestlohns vor, damit bei jeder Erhöhung des Mindestlohns die Einkommensmöglichkeiten der Menschen in Minijobs künftig steigen. Das wäre sinnvoll. Dazu gehört eine Verbesserung bei den Zuverdienstgrenzen; denn für diejenigen, die aufstocken, sind derzeit nur 170 Euro der 450 Euro anrechnungsfrei. Das ist ungerecht, und das ist leistungsfeindlich. Das muss nicht sein.
(Beifall des Abg. Frank Sitta [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie sich einen Ruck! Erhöhen Sie die Minijobgrenze, und lassen Sie den Minijob als ein zusätzliches Instrument am Arbeitsmarkt bestehen!
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Pascal Kober. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Beate Müller-Gemmeke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7485344 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Minijobs in Sozialversicherungspflicht |