Norbert MüllerDIE LINKE - Familienpolitik – Kinder
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für die Klarstellung gerade.
Die AfD unternimmt heute den Versuch, mit einer Vielzahl von Anträgen uns ihre Familienpolitik zu beschreiben. Dabei lässt sich die Haltung dieser Fraktion kurz zusammenfassen: Hilfe, wir sterben aus! – Die AfD sorgt sich um den – Zitat aus diesen Anträgen – „Erhalt des deutschen Volkes“ und um die fehlende Kinderfreundlichkeit. Mit Kinderfreundlichkeit ist bei der AfD – das haben wir gerade gehört – nur die Freundlichkeit gegenüber deutschen Kindern gemeint, was immer das in den Augen dieser rassistischen Partei nun so genau ist. Auf nichtdeutsche Kinder wollen Vertreterinnen und Vertreter der AfD – das ist bekannt – an der Grenze ja schließlich schießen lassen, und das ist nun nicht allgemein kinderfreundlich.
(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Ihr habt immer reichlich geschossen!)
Die Annahme, dass Deutschland bald entvölkert sei, ist ja auch ganz offensichtlicher Unsinn. Versuchen Sie mal, in einer größeren Stadt einen Kitaplatz zu ergattern, einen Platz in einer Musikschulgruppe oder ihr Kind neu bei einem Kinderarzt anzumelden. Oder fragen Sie zum Beispiel in meiner Heimatstadt Potsdam nach, was die Landeshauptstadt Potsdam in den letzten Jahren allein für Kita- und Schulneubauten ausgegeben hat. Da reden wir über eine halbe Milliarde Euro für eine Stadt mit 180 000 Einwohnern, vermutlich, weil die Deutschen gerade aussterben.
In Wahrheit ist die Geburtenziffer, also die durchschnittliche Zahl von Geburten je Frau, im Alter von 15 bis 49 Jahren so hoch wie seit den frühen 70er-Jahren nicht mehr. In Brandenburg ist sie zuletzt 1988 so hoch gewesen, und sie ist doppelt so hoch wie in Ostdeutschland Anfang der 90er-Jahre. Das kann man ja vielleicht auch einfach mal zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Im Familienausschuss hat die AfD vor einem Jahr beantragt, dass der Ausschuss eine Reise nach Ungarn unternehmen solle, weil die Familienpolitik der Orban-Regierung dort so interessant sei. Ich habe daraufhin im Ausschuss, während das vorgetragen wurde, die Stichworte „Familienpolitik Ungarn“ gegoogelt und bin auch sogleich fündig geworden. Erster Treffer bei Google – oder auch einer anderen Suchmaschine; probieren Sie es aus – ist ein Artikel aus der „Welt“ vom 22. Mai 2019 mit der Überschrift „Orbans Familienpolitik erinnert an die NS-Zeit“. Schnell zusammengefasst: Die ungarische Regierung hat Sorge, dass die Ungarn aussterben, weswegen sie Ehestandsdarlehen einführen – so was Ähnliches wollen Sie auch –, die abgekindert werden, und sie geht repressiv gegen Schwangerschaftsabbrüche vor. Einen unabhängigen öffentlichen Rundfunk in Ungarn gibt es übrigens auch nicht mehr. Wie der Zufall es so will, beantragen Sie all das genau heute auch. Vielleicht haben Sie diese Reise ja eigenständig durchgeführt.
Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen Sie einmal mehr zum Propaganda-Rundfunk umbauen, der Kinderlosigkeit als etwas Negatives darstellen und den Wunsch nach Kindern wecken soll. Offenbar halten Sie die Menschen für ziemlich dumm und manipulierbar. Gefährlich wird es dann, wenn Sie den Öffentlichen ernsthaft mit Ihren Anträgen untersagen wollen, Sexualaufklärung zu betreiben. Informationen über Verhütungsmittel und Familienplanung wollen Sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbieten. Das ist völlig absurd, und das ist auch absolut unverantwortlich.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ingrid Pahlmann [CDU/CSU])
Wer drei Kinder bekommt, soll mit 10 000 Euro für das erste oder sogar für jedes Kind – das steht nicht ganz genau in Ihrem Antrag – belohnt werden. Nicht zuletzt wollen Sie die Mehrwertsteuer für Windeln senken, um Kinderarmut zu bekämpfen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Und das Mutterkreuz verleihen!)
Letzteres ist bemerkenswert, weil die AfD ja bisher im Bundestag mit ihrem Redner Thomas Ehrhorn mehrfach bestritten hat, dass es Kinderarmut überhaupt gibt. Jetzt wollen Sie sie bekämpfen? Sie haben sich dabei zieltreffend das untauglichste und wirkungsloseste Mittel ausgesucht: den Mehrwertsteuersatz auf Babywindeln.
(Martin Reichardt [AfD]: Wir haben schon eine Mehrwertsteuersenkung auf alle Kinderprodukte gefordert! Die haben Sie abgelehnt! Aber Ihre Tampon Tax, die haben Sie als großen Sieg verkauft!)
Ich war gestern selber Windeln kaufen und habe das direkt mal an der Kasse überschlagen: Würde dieser Mehrwertsteuersatz von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden, ergäbe es pro gewickeltem Kind und Jahr round about 25 Euro. Sie würden also pro Kind und Jahr jeder Familie ungefähr 25 Euro wiedergeben. Da ist selbst die Koalition mit ihrer Kindergelderhöhung zehnmal mutiger. Das muss man erst mal schaffen, bei der Bekämpfung von Armut zehnmal weniger mutig zu sein als Angela Merkel.
(Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt [AfD]: Das ist doch alles Unsinn, was Sie da sagen!)
Sinnvoller zur Bekämpfung der Kinderarmut wäre dagegen eine Kindergrundsicherung. Die lehnen Sie natürlich ab. Natürlich wäre auch ein höherer Mindestlohn sinnvoll. Den wollen Sie auch nicht. Kampfstarke Gewerkschaften, die hohe Tarifabschlüsse durchsetzen können? Der blanke Horror im Weltbild der AfD.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein, ich möchte keine Zwischenfrage; vielen Dank. – Die AfD findet nicht nur die Familienpolitik von Viktor Orban und den Nazis klasse, sondern auch sonst manch anderes aus dieser Zeit. Dass dabei ihre Anträge in sich unschlüssig und widersprüchlich sind, überrascht wohl hier im Hause niemanden mehr.
Ich will Ihnen nur ein Beispiel geben. Sie fordern – Zitat –, „der Stigmatisierung … von Mehrkindfamilien … entgegenzutreten“. Jetzt weiß ich nicht genau, an welche Stigmata Sie denken. Vielleicht haben Sie einfach zu viel Thilo Sarrazin gelesen.
(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Martin Reichardt [AfD]: Das hätten Sie auch mal lesen sollen! Das hätte Sie wirklich gebildet!)
Leider führen Sie das auch nicht genau aus.
Jedenfalls fordern Sie zwei Absätze später, dass insbesondere Akademikerinnen bitte mehr als zwei Kinder bekommen sollen. Dieser Logik nach hätten also alle Nichtakademikerinnen drei oder mehr Kinder. Merken Sie was? Sie selbst stigmatisieren Mehrkindfamilien als mehr oder minder bildungsfern. Das ist nämlich der logische Schluss aus Ihrem Antrag. Als Vater von drei Kindern sage ich Ihnen: Herzlichen Dank dafür!
So bleibt mir, zum Ende nur zu sagen: Ich habe eine schlechte Nachricht für die AfD.
(Martin Reichardt [AfD]: Von Ihnen kommen immer nur schlechte Nachrichten!)
Sie haben hier nicht zu entscheiden, wer wie viele Kinder bekommt.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Und Sie haben auch überhaupt nicht zu entscheiden, wie diese Kinder sind, und haben darüber auch kein Werturteil zu fällen.
Unsere Kinder werden mal wie wir. Und selbst wenn Sie bei den Sozis oder – Gott bewahre – bei FDP und Union landen – Menschen machen ja Fehler –, dann wüsste ich wenigstens, dass ich mit denen hinterher noch vernünftig reden kann.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das steht Ihnen aber auch nicht zu, zu sagen, wie Ihre Kinder mal werden! Das wäre ja noch schöner!)
– Hören Sie zu, Herr Grosse-Brömer. Wir können ja auch miteinander vernünftig reden. – Bei Ihnen von der AfD habe ich diese Hoffnung schon lange aufgegeben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7486430 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 195 |
Tagesordnungspunkt | Familienpolitik – Kinder |