27.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 196 / Tagesordnungspunkt 27

Dirk WieseSPD - Bekämpfung von Rassismus

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in die alten Dokumente, in die Entwürfe von Herrenchiemsee reinschaut, die die Grundlage für die Beratungen im Parlamentarischen Rat 1948/1949 gewesen sind, dann stellt man erst einmal erstaunt fest, dass im Ursprungsentwurf das Wort „Rasse“ noch gar nicht enthalten gewesen ist. Es ist erst in der sechsten Sitzung des Grundsatzausschusses am 5. Oktober 1948 eingeführt worden.

Daran hat sich eine Diskussion angeschlossen, die im Licht der damaligen Zeit geführt wurde und die richtig gewesen ist. Es ging nämlich um die klare Abgrenzung zum Rassebegriff der Nationalsozialisten, welcher geprägt war vom völkischen Prinzip, die Überlegenheit einer nordisch-arischen Herrenrasse postulierte und andere Menschen zu lebensunwertem Leben oder Untermenschen degradierte. Das führte dazu, dass die Begriffe „Auslese“ und „Ausmerzungen“ Leitbegriffe dieses Rassenwahns gewesen sind.

In dieser Sitzung am 5. Oktober 1948 war die Formulierung, dass alle Menschen gleich sind, fortschrittlich, und zwar als Gegenentwurf zu der Unrechtszeit der Nazis. Und es war damals richtig, diesen Begriff aufzunehmen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, was damals fortschrittlich war, kann heute berechtigte und richtige Diskussionen auslösen. Denn wir wissen, dass es keine Rassen gibt; wir haben das gerade gehört. Und diejenigen, die doch daran glauben, sind ehrlicherweise meist diejenigen, die den Entwurf der Mütter und Väter des Grundgesetzes sicherlich damals abgelehnt hätten und auch heute nicht auf dem Boden dieses Grundgesetzes stehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darum ist die Beschäftigung mit dem Thema Rassismus wichtig: weil sie uns immer wieder Althergebrachtes, bestimmte eingespielte Verhaltensweisen, auch Symbole hinterfragen lässt. Denn leider – und das gehört zur Wahrheit dazu – ist Rassismus immer noch allgegenwärtig. Und darum ist es richtig und gut, dass sich die Regierungskoalition darauf verständigt hat, eine Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen. Es ist wichtig, dass wir hier gemeinsam diesen Punkt angehen. Aber ich will auch deutlich sagen: Das anzugehen und voranzubringen, wird nicht einfach.

Die Beschlüsse des Kabinettsausschusses vom Mittwoch zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus – sie sind angesprochen worden – sind richtig. Wir haben in den vergangenen Wochen hier im Bundestag auch zu Fragen der Kolonialzeit Debatten geführt. Dabei haben wir angesprochen, dass Straßenschilder mit kolonialem Bezug lange einfach so bei uns im Land standen. Wir sind an ihnen vorbeigelaufen, wir sind unter ihnen hergelaufen. Teilweise waren sie mit Namen von Tätern versehen, von Menschen, die aus rassistischen Motiven gemordet haben.

Auch darum ist es richtig, dass der Kabinettsausschuss jetzt noch einmal bestätigt hat, dass wir die Ersetzung des Begriffs „Rasse“ vornehmen sollen. Ich will aber auch daran erinnern, dass es bereits kurz zuvor eine Einigung der Minister Olaf Scholz und Horst Seehofer gegeben hat; sie hatten sich bereits darauf verständigt.

Ich will heute sagen, dass ich den vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen richtig und wichtig finde. Ich glaube, unsere gemeinsame Herausforderung im Lichte der Beschlüsse vom Mittwoch wird jetzt allerdings sein, dass wir den Begriff „Rasse“ ersetzen, ohne – da hat Thorsten Frei völlig recht – das bestehende Schutzniveau zu senken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Herausforderung – das will ich auch all denjenigen sagen, die jetzt schnell einen anderen Begriff zur Hand haben – wird juristisch nicht ganz einfach werden. Wir sollten uns gemeinsam die Zeit nehmen und uns fraktionsübergreifend dieser Aufgabe stellen – nicht nur vor dem Hintergrund, dass es zur Änderung des Grundgesetzes einer Zweidrittelmehrheit bedarf, sondern auch, weil diese wichtige Änderung sowieso von einer großen Mehrheit angegangen werden sollte. Da bin ich in großen Teilen bei dem Gesetzentwurf der Grünen und halte ihn für richtig. Ich kann allerdings heute – das möchte ich auch offen zugeben – noch keine Formulierung auf den Punkt bringen, mit der letztendlich rechtssicher das aktuelle Schutzniveau erhalten bleibt. Eine solche Formulierung zu finden, ist die Herausforderung, vor der wir in den nächsten Wochen stehen. Ich glaube jedoch, wir werden das übergreifend, aber auch getragen von der Regierungskoalition mit Elan und Engagement angehen; denn es ist richtig.

Ich will auch noch mal sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Regierungskoalition hat hier am Mittwoch geliefert. Die 89 Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sind wichtig. Es sind übrigens auch wichtige Punkte zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Kolonialgeschichte und Kolonialismus“ drin; das will ich noch mal unterstreichen. Es soll ebenfalls zur Einsetzung eines Bundesbeauftragten gegen Rassismus kommen. Entscheidend ist auch: Wir werden gleichzeitig Richtern mit der Schließung von Lücken bei der Strafbarkeit von verhetzenden, antisemitischen, aber auch rassistischen Beleidigungen ein besseres Handwerkszeug in die Hand geben.

Von daher glaube ich: Es ist ein wichtiger Punkt, dass wir auch im Dialog mit einer breiten Zivilgesellschaft letztendlich diese Maßnahmen auf den Weg gebracht haben. Und ich kann nur sagen: Gehen wir gemeinsam dieses wichtige Verfahren an, gehen wir gemeinsam diese Grundgesetzänderung an.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vielen Dank, Herr Kollege Wiese. – Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Stephan Thomae, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7487015
Wahlperiode 19
Sitzung 196
Tagesordnungspunkt Bekämpfung von Rassismus
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