Helge LindhSPD - Bekämpfung von Rassismus
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist Dieter Nuhr ein Rassist? Ich überlasse es Ihnen, zu überlegen und zu entscheiden. Aber dieser aktuelle Fall sagt sehr viel darüber aus, wie wir in diesem Land mit Rassismus umgehen.
Ähnlich viel sagt darüber das Sprechen und Schreiben der AfD zu den Begriffen „Rassismus“, „Rasse“ und „Kultur“ aus. Aber noch viel mehr offenbart darüber das tagtägliche Erleben von Opfern von Rassismus, von schwarzen Menschen, von Musliminnen und Muslimen, von Roma, die tagtäglich buchstäblich Rassismus erfahren und das eben nicht abschütteln können.
Die AfD plädiert, um ihren Antrag zusammenzufassen, gegen das Konzept „Rassismus ohne Rassen“, das auf einen Begriff von Stuart Hall und Balibar Bezug nimmt, und auch gegen den „Kulturrassismus“. Letztlich plädieren Sie für einen Rassismus mit Rassen. Sie plädieren letztlich für Rassenlehre, und das muss klar so benannt werden. Dafür braucht es nicht siebenseitige Elogen. Sie hätten das in einem Satz machen können; Sie haben es eben vorgeführt.
Herr Kollege Lindh, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Jongen aus der AfD-Fraktion?
Ich erlaube gerne eine Zwischenfrage von Herrn Jongen, weil die Beantwortung immer ein sehr lehrreiches Erlebnis für ihn ist.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Lindh, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich glaube, es wird vor allen Dingen ein lehrreiches Erlebnis für die Zuschauer unserer Debatte sein.
Sie haben gerade behauptet, wir würden hier für einen „Rassismus mit Rassen“ plädieren. Sie haben uns quasi unterstellt, Rassisten zu sein. Aus meiner Rede werden Sie das nicht ableiten können;
(Simone Barrientos [DIE LINKE]: Doch! Doch! Ganz einfach sogar!)
aber das steht Ihnen natürlich sozusagen frei. Solche Unterstellungen sind wir ja gewohnt.
Ich möchte jetzt aber auf Ihren Rassismusbegriff zu sprechen kommen und Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass es in den USA – ich zitiere hier aus einer englischen Wikipedia-Seite, die darüber berichtet – „five racial categories“ gibt, nämlich „White American, Black or African American, Native American, Alaska Native, Asian American, Native Hawaiian, and Other Pacific Islander“? Das ist also offizielle US-Politik. Was man daraus ableiten kann: Die USA sehen hier sozusagen naturgegebene Unterschiede zwischen den Menschengruppen. Sie nennen sie „Rassen“, wir können sie anders nennen.
(Jörg Cezanne [DIE LINKE]: Das ist ein dummes Zeug! Beschäftigen Sie sich mal mit der Frage, wie das in den USA definiert wird! Das hat damit überhaupt nichts zu tun!)
Darum geht es nicht; es geht nicht um die Benennung. Es geht darum, die naturgegebenen Unterschiede zwischen den Menschen anzuerkennen und dann den Anspruch zurückzuweisen, dass eine Gruppe sich über die andere erhebt und sozusagen einen Unterdrückungsanspruch aus diesen Unterschieden ableitet. Das wäre ein vernünftiger Begriff von Rassismus.
Stimmen Sie dem zu, oder teilen Sie sozusagen die konstruktivistische, tendenziell linksradikale Meinung,
(Simone Barrientos [DIE LINKE]: So viel Dummheit auf einem Haufen! Mann, Mann, Mann!)
dass es so was wie naturgegebene Unterschiede gar nicht gibt, dass das alles nur unsere gesellschaftliche Konstruktion sei?
Ich bin erst mal aus dem Grund dankbar für die Frage, dass ich jetzt das Thema noch breiter aufgreifen kann,
(Grigorios Aggelidis [FDP]: Nein! Quatsch bleibt Quatsch, auch wenn man länger darüber redet!)
obwohl Sie gerade selbst den Beweis geführt haben, dass Sie rassistischem Denken anhängen, wie Sie es gerade deutlich gemacht haben. Gleichwohl nutze ich die Gelegenheit zu einer Einführung, ohne Hoffnung auf Verständnis und Empathie bei Ihnen.
Jawohl, jeder mit einigermaßen Verstand sollte heutzutage, im Jahre 2020, begriffen haben, dass Rassen ein soziales Konstrukt darstellen. Man nennt das den „Prozess der Rassifizierung“. Nicht Rassen konstituieren Rassismus, sondern Rassismus konstituiert Rassen, was Sie ja in Ihrem Antrag und Ihren Ausführungen gerade bestmöglich demonstriert haben,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
was Sie mit Ihren Ausführungen, mit Ihrer Stimmungsmache, mit Ihrem siebenseitigen Sichabarbeiten am IKG, an dem Begriff „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, am Begriff „Rassismus ohne Rassen“ beweisen. Sie haben es ja noch weiter bewiesen: Sie haben eben fünf Kategorien aufgeführt, mit denen Sie genau zeigen wollten, dass es angeblich doch biologisch motivierte Rassen gebe.
Noch etwas. Ich höre Ihnen immer gut zu. Das ist Ihr Problem; denn Sie hören mir nicht genau zu, aber Sie sollten das. Sie zitierten am Anfang sinngemäß Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab“, und haben das bewusst gesetzt.
(Volker Münz [AfD]: Sarrazin hat er nicht zitiert!)
Auch das ist letztlich ein biologistisch-rassistisches Modell, in dessen Tradition Sie sich stellen.
Sie haben im Übrigen – erlauben Sie mir diese Zwischenbemerkung – so lange Ausführungen gemacht, dass es für Ihre Fans schwierig sein wird, das zu schneiden. Aber das ist nur eine Randbemerkung, und das war wahrscheinlich auch in der Sprachform etwas abgehoben.
Nichtsdestotrotz haben Sie selbst eben in Ihren Ausführungen, in Ihrer Rede noch einen weiteren Beleg geliefert, indem Sie – das machen Sie übrigens regelmäßig – darauf hinwiesen, dass der französisch-jüdische Philosoph Finkielkraut das und das sage. Wozu erwähnen Sie da „jüdisch“? Sie weisen in Ihren ganzen Ausführungen auch extra darauf hin, dass Jüdinnen und Juden durch Migrantinnen und Migranten besonders gefährdet würden.
(Nicole Höchst [AfD]: Weil es so ist!)
Das ist ein zutiefst rassistischer Ansatz, weil Sie auf diese billige Weise den Antisemitismus zu instrumentalisieren versuchen
(Lachen der Abg. Nicole Höchst [AfD])
und Jüdinnen und Juden gegen Menschen, die aus anderen Gründen rassistisch verfolgt werden, in Stellung zu bringen versuchen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege.
Aber auf diese Masche fällt niemand herein, der mit Verstand ausgestattet ist.
Herr Kollege, ist das noch Teil Ihrer Antwort, oder ist das schon Ihre fortführende Rede?
Das war noch Antwort.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bitte darum, dass niemand mehr den Kollegen Lindh fragt, weil er jetzt vier Minuten auf eine Frage geantwortet hat.
Aber es gilt das Äquivalenzprinzip, und diese Frage oder Scheinfrage war auch vier Minuten lang.
Ich komme aber jetzt zurück zu meinem eigentlichen Thema. Ich hatte nicht nur auf die AfD bewusst verwiesen, sondern auch auf den Fall Nuhr, weil man aus diesem Fall sehr viel lernen kann. Da hat sich der Kabarettist über den Titel „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ des Buches von Alice Hasters aufgeregt. Er nannte ihn „reißerisch“ und „rassistisch“. In seinen weiter gehenden Erläuterungen betont er auch noch, dass er keineswegs Rassist sei; er tat das sehr leidend, selbstmitleidig und larmoyant und kritisierte übrigens, wie Sie auch, den Begriff eines „strukturellen Rassismus“. Wie muss sich eine solche Ausführung, eine solche Darlegung in den Ohren eines Menschen anhören, der erlebt, was es bedeutet, als Schwarzer hier aufzuwachsen? Wie fühlt es sich an für eine Frau mit Hidschab, die tagtäglich erlebt, dass man sie nach ihren Deutschkenntnissen fragt und ob sie selbstbestimmt lebe? Wie fühlt es sich für einen Marokkaner an, der permanent Kontrollen und rassistische Blicke erlebt?
(Grigorios Aggelidis [FDP]: Nennen sie jetzt alle Staatsangehörigkeiten?)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es hier eigentlich? Menschen, die rassistisch verfolgt werden, müssen sich tagtäglich erklären, beweisen, mehr Leistung bringen, rechtfertigen. Und wenn sie es dann einmal wagen, wütend zu sein und zu widersprechen und Rassismus kenntlich zu machen, passiert dasselbe wieder: Sie müssen sich dafür rechtfertigen, erklären, beweisen. Dann kommt noch ein Nuhr oder die Nuhrs dieser Welt – das sind ganz viele; ich schließe mich ein – mehr oder weniger jeden Tag und sagen: Wie könnt ihr uns „rassistisch“ nennen? Dafür müssen sie sich dann auch noch entschuldigen.
All die Maßnahmen, die wir jetzt planen, ein Demokratiefördergesetz, eine Rassismusbeauftragte, ein Ministerium – so hoffe ich –, das sich um Diversität, Gleichstellung kümmern wird, und flächendeckende Meldestellen für Diskriminierungserfahrungen machen doch nur Sinn vor dem Hintergrund folgender Erkenntnis: Beim Kampf gegen Rassismus geht es doch verdammt noch mal nicht um die Befindlichkeiten und Bedürfnisse und Empfindlichkeiten von weißen Menschen. Begreifen Sie das nicht? Es geht um die Erfahrungen, die Befindlichkeiten und die Bedürfnisse der Opfer von Rassismus, der schwarzen Menschen, der Musliminnen und Muslime, der Roma und Romnija. Sie gehören in den Mittelpunkt!
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Wir brauchen keine AfD. Aber wir brauchen ein Bekenntnis zur Diversität: nicht als Gutmenschenaktion, nicht als Utopie oder Hoffnung, sondern als Anerkennung der Realität einer diversen Gesellschaft.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Lindh, Sie hatten heute die absolut längste Redezeit.
(Grigorios Aggelidis [FDP]: Das wird von seiner nächsten Rede abgezogen!)
Nächster und letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Martin Patzelt, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7487024 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 196 |
Tagesordnungspunkt | Bekämpfung von Rassismus |