27.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 196 / Tagesordnungspunkt 28

Sylvia LehmannSPD - Bürgerinitiative "Minority SafePack"

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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich habe meine Rede ganz bewusst als Fachvortrag vorbereitet, eigens und extra für die AfD. Ich hoffe, dass insbesondere Frau von Storch jetzt gut zuhört.

Ich beginne aber mit einem Zitat:

Sage mir, wie die Minderheiten in deinem Land behandelt werden, und ich werde Dir sagen können, in was für einem Staat du lebst.

Das ist ein Zitat des ehemaligen dänischen Parlamentspräsidenten Ivar Hansen.

In der Europäischen Union leben über 50 Millionen Angehörige nationaler Minderheiten. Jeder achte EU-Bürger gehört entweder einer Minderheit an oder spricht eine Minderheitensprache. Neben 24 Amtssprachen gibt es rund 60 Regional- und Minderheitensprachen. Der Europarat mit 47 europäischen und benachbarten Staaten spricht von 230 indigenen Sprachen und Sprachgruppen. Da laut UNESCO die Hälfte der über 6 000 Sprachen weltweit vom Aussterben bedroht ist, kommt dem Erhalt von Vielfalt eine besondere Bedeutung zu.

(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Wahrung und die Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt, ein wirksamer Schutz der Rechte nationaler Minderheiten sowie ihre gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe sind leider auch innerhalb der Europäischen Union nicht selbstverständlich, obwohl die Wahrung der Rechte der Angehörigen von Minderheiten in Artikel 2 als Grundwert der europäischen Verfassung definiert ist, obwohl Artikel 3 die EU zum Schutz und zur Entwicklung des kulturellen Erbes sowie zur Wahrung ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt verpflichtet, obwohl der Europäische Gerichtshof nach einer Klage entschied, dass Vielfalt sowohl die Vielfalt zwischen als auch die Vielfalt innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten beinhaltet. Daraus folgt: Die Europäische Union darf und muss bei Minderheitenfragen tätig werden, natürlich ohne in die Kompetenz ihrer Mitgliedstaaten einzugreifen.

Die FUEN – sie ist heute bei uns; ich darf sie herzlich begrüßen –, also die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten, als hauptverantwortliche Dachorganisation der autochthonen Minderheiten schreibt mit der Minority-SafePack-Initiative inzwischen Erfolgsgeschichte. Die MSPI ist die fünfte europäische Bürgerinitiative überhaupt. Sie hat somit immer noch Pioniercharakter und schon bei der Registrierung hohe Anforderungen erfüllt. Der FUEN ist es zudem gelungen, in kürzester Zeit über 1 Million Unterschriften zu sammeln. Nach Beschlüssen der Landesparlamente in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg beschäftigen sich – wir erleben es heute – der Bundestag und später dann das Europäische Parlament mit ihr.

(Beifall bei der SPD)

Was ist nun die Minority-SafePack-Initiative? Sie fordert die Förderung und den Schutz der nationalen Minderheiten auf europäischer Ebene und schlägt hierfür ein Maßnahmenpaket vor. Darin geht es unter anderem um kulturellen und sprachlichen Schutz inklusive Förderung, um Gleichstellung von staatenlosen nationalen Minderheiten wie der Sinti und Roma – sie bilden mit 12 Millionen bis 14 Millionen Menschen die größte Gruppe der autochthonen Minderheiten –, aber es geht auch um die Entwicklung eines europäischen Sprachenzentrums und die Entwicklung von Förderprogrammen für kleine Sprachgemeinschaften sowie um die Einbindung von Minderheiten in den europäischen Regionalentwicklungsfonds.

Seit die MSPI mit überwiegend positivem Feedback vor dem EU-Parlament und der Kommission präsentiert wurde, tickt, liebe Kolleginnen und Kollegen, im wahrsten Sinne des Wortes die Uhr; denn bei europäischen Bürgerinitiativen beginnt mit der Präsentation eine Dreimonatsfrist. Die EU-Kommission hat nun bis zum 15. Januar nächsten Jahres die Möglichkeit, zu reagieren – oder die Initiative verstreicht. Just in diesem Moment bereiten unsere Kollegen in Analogie zu diesem Antrag eine fraktionsübergreifende Resolution des Europäischen Parlaments vor. Sie wird Mitte Dezember diskutiert und aller Voraussicht nach beschlossen, um ein eindeutiges Signal an die Kommission zu senden.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns heute Vorreiter sein. Stimmen Sie diesem Antrag zu! Denn wir sind verpflichtet, prekäre Lebenssituationen zu verbessern. Wir sind auch verpflichtet, Doppelstandards endlich abzuschaffen und das hohe Niveau zum Schutz von Minderheiten nicht nur von den Staaten zu fordern, die der EU beitreten wollen, sondern auch von jenen, die bereits Mitglied sind.

(Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ganz besonders!)

Es ist höchste Eisenbahn, dass Staaten wie Frankreich, Belgien oder Griechenland die Sprachen- und Minderheitencharta des Europarates endlich ratifizieren; denn die Umsetzung der MSPI kann auch Nachzügler zu solch überfälligen Schritten motivieren. Und bitte tun Sie es mir gleich: Fordern Sie die Europaabgeordneten Ihrer Fraktionen auf, der geplanten EU-Resolution zuzustimmen!

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

Alle Beteiligten wissen, wie hürdenreich der Weg bis hierher gewesen ist. Deshalb Dank an Petra Nicolaisen und Astrid Damerow von der CDU/CSU und an die Opposition für die regelmäßigen Kleinen Anfragen. Ich danke Herrn Bundesbeauftragten a. D. Hartmut Koschyk für die vorbehaltlose Unterstützung. Ich danke auch den Minderheitenverbänden wie der Domowina, dem Bund Lausitzer Sorben und vor allem der FUEN für die gute Zusammenarbeit.

Ich habe meine Rede mit einem Zitat begonnen, und ich möchte sie mit einem Zitat des Wissenschaftlers Martin Henry Fischer beenden: „Minderheiten sind die Sterne des Firmaments; Mehrheiten sind das Dunkel, in dem sie fließen.“

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen doch noch mal darauf hinweisen: Selbst ein Handy am Ohr befreit nicht von der Pflicht zum Tragen der Maske. Es ist mir schon wieder aufgefallen, dass zwei Kolleginnen und Kollegen den Saal mit einem Handy am Ohr verlassen haben, ohne die Maske zu tragen. Ich werde durchgreifen – in allem Ernst.

(Beatrix von Storch [AfD]: Essen und Trinken?)

– Am Platz können Sie machen, was Sie wollen, Frau von Storch;

(Simone Barrientos [DIE LINKE]: Bitte nicht!)

essen und trinken im Plenarsaal eigentlich auch nicht; aber das ist wahrscheinlich nicht ordnungsruffähig. Mit dem Tragen der Masken meinen wir es aber wirklich ernst.

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sandra Bubendorfer-Licht, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7487030
Wahlperiode 19
Sitzung 196
Tagesordnungspunkt Bürgerinitiative "Minority SafePack"
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