27.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 196 / Tagesordnungspunkt 29

Hagen ReinholdFDP - Innenstädte, Gewerbemieten

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Erste, was mir einfiel, als ich mir die Anträge durchgelesen habe, war: Etikettenschwindel. Da wir von den im Gleichklang rechts Marschierenden hier drüben nichts anderes gewohnt sind, hat es mich jetzt gar nicht gewundert, dass sie staatliche Kundenumerziehungsmaßnahmen organisieren wollen. Sie sind die Ersten, die aufschreien, wenn es um Planwirtschaft und Sozialismus geht. Wenn man sich den Antrag mal anschaut und guckt, wie Sie staatlich verordnet Innenstädte organisieren wollen, dann wird einem schon schlecht; denn mehr Planwirtschaft geht eigentlich gar nicht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Dann lese ich weiter und finde was über Sauberkeit und innere Ordnung. Da habe ich eigentlich nur noch darauf gewartet, dass ein Fahnengebot für Häuser in der Einkaufszone kommt. Das hätte das Ganze perfekt gemacht.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich war entsetzt, ehrlich gesagt. Und dass jetzt Händler langfristig angesiedelt sein müssen, damit sie überhaupt in den Genuss der Förderprogramme kommen: Na ja, egal.

Aber wie oldschool die AfD ist, zeigt sich eigentlich an einem anderen Punkt. Nun habe ich überhaupt nichts gegen Bibliotheken. Aber Einkaufszentren ersetzen wir jetzt durch Bibliotheken? Ich bin mir nicht sicher, wie lange Bibliotheken in der jetzigen Struktur noch bestehen werden; aber ob das das Konzept der Zukunft ist, das wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der FDP)

Gleiches ist mir aber, ehrlich gesagt, auch bei den Grünen aufgefallen. Sie sind die Ersten, die schreien: Wenn „gesund“ oder „Kirsche“ draufsteht, dann muss auch gesund oder Kirsche drin sein. – Das kann ich nachvollziehen. Aber wer in seinen Antrag schreibt, dass für kleinere und mittlere Unternehmen der § 313 BGB geändert werden soll, der muss auch die ganze Wahrheit sagen und darf nicht Etikettenschwindel betreiben. Das gilt dann natürlich auch für die großen Filialisten und für all diejenigen, die im März/April ratzfatz ihre Mieten gesenkt haben. Das gilt dann nicht nur für kleine und mittlere Unternehmen; in einem Rechtsstaat – es sei denn, Sie wollen ihn umgestalten; dann müssen Sie das mal ehrlich sagen – gilt das Recht immer noch für alle.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, § 313 BGB ist extra so global gestaltet, damit er eine Vielfältigkeit abbilden kann. Ihr Vorschlag würde kein Problem lösen. Selbst wenn Sie festschreiben: „Corona ist eine außergewöhnliche Situation; es muss reagiert werden“, wer sagt denn dann, wie viel Prozent der Miete demnächst erlassen werden können? Das ist doch viel zu individuell. Entweder gehen Vermieter und Mieter aufeinander zu und einigen sich, wie es deutschlandweit tausendfach in der Coronakrise schon geschehen ist und auch aktuell geschieht, oder sie landen vor Gericht, weil sie sich nicht einigen können, wie hoch die Miete überhaupt ist. Den Gang vor Gericht ersparen Sie dadurch keinem. Schnellere Justizprozesse, das wäre das Richtige.

(Beifall bei der FDP)

Eine Justiz, die viel zu ausgedünnt ist, kann Rechtsstaatlichkeit nicht umsetzen. Das sollten wir jetzt angehen, mehr aber nicht.

Wenn wir etwas für den Handel in den Innenstädten tun wollen, könnten wir im Bereich der Baunutzungsverordnung so einiges machen. Solange wir Städte segmentiert in Wohnen, Arbeiten, Industrie und Handel aufteilen, ist keine Stadt der Zukunft in Sicht, sondern eine Stadt der Vergangenheit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Innenstädte belebt sein sollen, wenn Arbeit zurück in die Städte kommen soll, brauchen wir eine Änderung. Das ist doch logisch. Auch bei den Quadratmeterzahlen können wir etwas machen; denn die Aufteilung in Groß- und Einzelhandel funktioniert überhaupt nicht mehr; dazwischen liegen so viele Schritte. Die Baunutzungsverordnung kann angepackt werden. Los geht’s! Da ist eine ganze Menge Luft nach oben.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir alles – Gewerbe, Arbeiten, Wohnen – zurück in die Stadt holen wollen, müssen wir sehen, dass die TA Lärm das behindert. Eine Experimentierklausel wäre hilfreich. Sie könnte uns helfen, die Innenstädte zu beleben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Digitalisieren Sie die Innenstädte. Tun Sie was, damit wir Waffengleichheit zwischen Online- und Offlinehandel haben. Wenn Sie digitalisieren, dann werden die Leute, die durch die Städte laufen, über Apps auf Geschäfte und Angebote aufmerksam gemacht und können beim Gang durch die Innenstadt bestellen. So retten Sie den Handel vor Ort, wenn Sie das wirklich wollen. Waffengleichheit zwischen Online- und Offlinehandel, das ist das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der FDP)

Setzen Sie die Umsatzsteuer überall im Internet durch. Erste Schritte wurden gemacht; das reicht aber noch nicht. Nur so sichern wir den Handel in Deutschland in Zukunft. Es gibt noch eine ganze Menge, was wir selber machen können. Das wäre richtig.

Solange die B-Pläne in Deutschland acht Jahre brauchen, nutzt das schönste Gesetz, das im Bundestag beschlossen wird, nichts, weil sich der Handel vor Ort dann gar nicht so schnell ändern kann.

(Beifall bei der FDP)

Kollege Reinhold, auch wenn Sie schon vermeiden, Luft zu holen, müssen Sie jetzt trotzdem Schluss machen.

(Heiterkeit bei der FDP)

Das wollte ich gerade. – Ich wollte noch allen einen schönen Nachmittag wünschen. Das mache ich jetzt trotzdem, in der gegebenen Ruhe: Ich wünsche allen einen schönen Nachmittag und danke für die Redezeit.

(Beifall bei der FDP)

Manchmal macht man sich hier vorne auch Sorgen.

(Hagen Reinhold [FDP]: Um meine Atmung? Das habe ich extra trainiert!)

Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7487041
Wahlperiode 19
Sitzung 196
Tagesordnungspunkt Innenstädte, Gewerbemieten
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