27.11.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 196 / Tagesordnungspunkt 30

Fabio Valeriano Lanfranco De MasiDIE LINKE - Reform der Wirtschaftsprüfung

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Hier auf der Medienwand stand vor Kurzem übrigens noch „Reform der Wirtschaftsplanung“. Ich bin zwar von der Linken, aber es geht um die Reform der Wirtschaftsprüfung.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht jetzt richtig da!)

Der Wirecard-Skandal ist der größte Finanz- und Bilanzskandal der jüngeren deutschen Geschichte, der so eindrucksvoll in diesem Buch, das ich in der Hand halte, beschrieben ist. Wir wissen: Zahlen, Daten sind wichtig. Sie sind nicht nur wichtig in einer Pandemie, um Politik beurteilen zu können, sondern sie sind auch wichtig für Entscheidungen im Wirtschaftsleben. Deswegen sind Bilanzen ein öffentliches Gut.

Bei Wirecard haben Wirtschaftsprüfer wie EY sträflich versagt. Es sind Strafverfahren gegen Mitarbeiter von EY anhängig. 1,9 Milliarden Euro fehlen auf Treuhandkonten dieses Konzerns. Ich sage hier für meine Fraktion: Es gibt viele Prüfer, die einen guten Job machen; aber wir müssen die Macht der Big Four, der großen Wirtschaftsprüfungskonzerne, brechen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn es ist nicht nur EY, das von Interessenkonflikten geprägt ist. Wir haben gelernt, dass beispielsweise auch KMPG den ominösen Mauritius-Fonds, der wahrscheinlich dem flüchtigen Wirecard-Manager Jan Marsalek zugeschrieben werden kann, beraten hat, aber gleichzeitig auch Prüfungshandlungen bei Wirecard vorgenommen hat. Meine Fraktion möchte daher zentrale Reformen im Bereich der Wirtschaftsprüfung anstoßen:

Erstens. Der zentrale Interessenkonflikt ist, dass jene Unternehmen, die geprüft werden sollen, auch die Prüfer bezahlen. Deswegen wollen wir ein Poolsystem, ein Umlagesystem, aus dem die Prüfer bezahlt werden, damit sie unabhängiger werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens brauchen wir eine strikte Trennung von Prüfung und Beratung. Die Prüfung ist gar nicht das Geschäft, mit dem sich das große Geld verdienen lässt, sondern die Beratungsaufträge sind lukrativ. Häufig wird nicht so genau hingeschaut in der Hoffnung auf zukünftige Beratungsaufträge.

Ich will hier einmal ansprechen, dass auch Abgeordnete der Großen Koalition in den vergangenen Tagen gesagt haben, man müsse doch darüber nachdenken, ob man EY zukünftig von öffentlichen Aufträgen ausschließen will. Ich will nur darauf hinweisen, dass zum Beispiel das Gesundheitsministerium beim Maskenchaos während der Coronapandemie freihändig Aufträge, auch über sehr lange Zeiträume, an EY ohne Ausschreibung vergeben hat. Ich denke, es wäre an der Zeit, dass wir uns hier ehrlich machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens brauchen wir dringend ein Vieraugenprinzip, also Joint Audits, in der Wirtschaftsprüfung, damit auch mittelständische Prüfer beteiligt werden. Denn ein Argument ist ja immer: Diese großen Konzerne können nur durch große Prüfungsunternehmen begutachtet werden. – Aber die kleinen können auch eine Rolle in speziellen Bereichen spielen; die sollten mit ins Boot genommen werden. Denn eine alte Weisheit sagt: Vier Augen sehen mehr als zwei.

(Beifall bei der LINKEN)

Weiterhin müssen wir endlich über das Prinzip der Haftung sprechen; denn es ist ja so, dass EY zum Beispiel jetzt nur für Schäden über 4 Millionen Euro haftet, wenn ihnen Vorsatz nachgewiesen werden kann, dass sie also vorsätzlich falsche Testate abgegeben haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingt, ist jetzt durch die anhängigen Strafverfahren gestiegen. Aber der Nachweis des Vorsatzes ist eben sehr schwierig. Deswegen sagen wir: Was für Architekten oder Ärzte oder andere Berufsgruppen gilt, muss auch hier gelten; das Haftungsprivileg muss weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist natürlich keinem geholfen, wenn wir durch den Entzug des Haftungsprivilegs dann morgen statt Big Four auf einmal Big Three und noch mehr Konzentration im Markt haben.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Genau so ist es!)

Deswegen muss das natürlich mit weiteren Reformen einhergehen.

Ich sage hier auch noch einmal für meine Fraktion: Wichtig ist natürlich auch, dass die deutsche Finanzaufsicht, die BaFin, selbst in der Lage ist, Bilanzen zu prüfen. Sie muss natürlich nicht die Bilanzen von zig Unternehmen prüfen. Aber wenn die Polizei ein Tempo-30-Schild an den Ortseingang stellt, dann muss sie eben auch bereit sein, jemanden, der mit 200 Sachen über die Kreuzung brettert, aus dem Verkehr zu ziehen,

(Beifall bei der LINKEN)

und die BaFin ist dazu heute überhaupt nicht in der Lage. Ich hoffe, dass wir mit dieser Debatte einen wichtigen Anstoß geben können.

Wir warten auch weiterhin gespannt auf die Debatte zum Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz.

Wir freuen uns. Wir sehen, dass es Zeit ist, zu handeln. Denn der Wirecard-Skandal zeigt: Kein Stein darf auf dem anderen bleiben.

(Dr. Jürgen Martens [FDP]: Ah! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Sehr schnell beurteilt!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Dr. Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7487050
Wahlperiode 19
Sitzung 196
Tagesordnungspunkt Reform der Wirtschaftsprüfung
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