08.12.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 197 / Tagesordnungspunkt I.5

Heidrun BluhmDIE LINKE - Wirtschaft und Energie

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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Die wirtschaftliche Entwicklung erfüllt viele Menschen gegenwärtig mit Sorge, wobei sich die Befürchtungen aber ungleich verteilen. Die Regierung fürchtet die einbrechende Konjunktur, die Großkonzerne fürchten geschmälerte Renditen, kleine und mittelständische Betriebe rückläufige bis existenzbedrohende Auftragslagen, und die arbeitende Bevölkerung fürchtet schlicht das Wegfallen von Arbeitsplätzen und Einkommen.

Wir haben in diesem Jahr schon zwei Nachtragshaushalte erlebt, die vor allem Abfederungsmaßnahmen auf Schuldenbasis beinhalten. Weitere werden wahrscheinlich folgen müssen, wenn die Coronakrise weiter anhält. Spätestens jetzt wäre es aber an der Zeit, die Haushaltspolitik so auszurichten, dass mittel- und langfristig der notwendige sozialökologische Umbau der Gesellschaft in Angriff genommen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wäre auch Zeit zum Umdenken in der Frage, wie wir menschliches Leben im Verhältnis zu den sogenannten Systembedürfnissen eines globalisierten Kapitalismus bewerten. Es wäre auch an der Zeit, darüber nachzudenken, ob nicht ein Herunterschrauben des ökonomischen Harakiri-Wachstums für die Klimafrage von erholsamer Bedeutung wäre.

Meine Damen und Herren, ich habe mich in den letzten Monaten zuweilen gefragt, wie die Regierung die derzeitige finanzielle Situation in Zukunft abbilden bzw. strategisch bewältigen will. Dafür gibt es ja eigentlich nur drei Wege: Schuldenabbau durch Abbau von Sozialleistungen für die Bürgerinnen und Bürger, Inflation bei der Gemeinschaftswährung europaweit oder Schuldenstreichung durch Abschreiben. Wie Sie wissen, sind bei dem hohen Produktivitätsniveau in der Euro-Zone alle drei Wege gangbar. Es lässt sich aber aus meiner Sicht unschwer erkennen, welche der Möglichkeiten die richtige wäre, nämlich die der Abschreibung.

Statt das Ganze aber mit einem strategischen Gesamtplan für die Wiederbelebung und Aufrechterhaltung wirtschaftspolitischer Kernbereiche zu verbinden oder nachhaltige Entwicklungen großflächig zu fördern, rennt das Wirtschaftsministerium den Problemen hinterher. Dies wird auch mit diesem Etat noch mal deutlich.

Aber wen wundert es, nachdem auch Minister Altmaier noch Mitte Oktober davon ausging, dass es keinen zweiten Lockdown geben wird, und er damals in der Haushaltsberatung ausdrückte, dass wir bereits glimpflich aus der Krise gekommen wären. Genauso realitätsfremd sieht auch dieser Einzelplan 09 aus: Fortschreibungen hier, Anpassungen da, keine Innovation und letztlich auch keine Ansätze für eine nachhaltige Wirtschaftssteuerung. Das Merkwürdige ist, dass der gesamte Haushalt für 2021 so tut, als ob es Corona gar nicht gäbe.

Man hätte erwarten müssen, dass sich notwendige Umverteilungen jetzt schon in den Einzelplänen niederschlagen. Aber das wollen Sie, meine Damen und Herren, offensichtlich in die nächste Regierung verschieben. Meine Großmutter hat immer gesagt: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. – Diesen Spruch kennt dieses Ministerium offensichtlich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Missverhältnis im Etat für Wirtschaft und Energie ist vielfältig, und ich möchte drei kleine Punkte herausgreifen:

Erstens. Es ist für meine Fraktion völlig unverständlich, warum bei Förderprojekten für die KMU nicht vorsorglich bedeutend mehr Mittel eingesetzt werden, um zukünftige Produktions- und Lieferengpässe frühzeitig abzufangen, während den großen Energiekonzernen für den Ausstieg aus der Kohleverstromung Entschädigungsgelder in Milliardenhöhe gezahlt werden. Für 2020 und 2021 sind das insgesamt 1,2 Milliarden Euro, die den Haushalt belasten. Dieses Geld brauchen wir woanders. Im Verhältnis zu Coronageschädigten in den Bereichen Soloselbstständige und Kleinbetriebe ist das nicht nur ungerecht, sondern auch wirtschaftspolitisch haltlos; denn für die Liquidität der Konzerne kann auch ohne Entschädigung auf einen soliden Kapitalstock zurückgegriffen werden,

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)

während Selbstständige und KMU oft von der Hand in den Mund leben. Die Linke fordert, dass die Entschädigungszahlungen gestoppt und die Mittel schneller in die Strukturförderung umgeleitet werden, zum Beispiel in ländliche Räume und in Industrieansiedlungen in den ostdeutschen Bundesländern, zum Beispiel in der Lausitz.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens ist vonseiten der gesamtwirtschaftlichen Ertragslage aus ernsthaft zu überlegen, ob Deutschland weiterhin beträchtliche Summen in die Luft- und Raumfahrt investieren will, ohne dass wir hier in den letzten Jahren sichtbare Erfolge erzielt hätten. In der Luft- und Raumfahrttechnologie geben weiterhin Russland, die USA und nunmehr auch vermehrt China den Ton an, und diese vergrößern die Konkurrenzabstände zu den ESA-Unternehmungen immer weiter. Wir füttern faktisch die staatsnahen Monopolisten auf Pump durch den Staat und sehen uns dann Ergebnissen gegenüber, die weit davon entfernt sind, irgendwie konkurrenzfähig zu sein. Wenn diese Staatsmonopolisten selbst von ihrer Leistung überzeugt wären, könnten sie auch Banken überzeugen, um dafür eigene Kredite aufzunehmen, genau so wie das auch jeder kleine Unternehmer tun muss. Dieses Geld ist aus unserer Sicht falsch angelegt.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Es gibt mittlerweile auch eine Schieflage im Föderalismus. Wenn der Finanzbericht des BMF schon klarmacht, dass die Länder seit 2020 mehr Geld einnehmen als der Bund, dann dürften die Länder – auch wenn sie im Föderalismus bestimmen, wo es langgeht – am Ende nicht das Geld vom Bund haben wollen.

Die Linke muss also feststellen, dass der Haushalt des Wirtschaftsministeriums für das Jahr 2021 all das, was wir als Linke fordern, nicht leistet. Deswegen wird unsere Fraktion diesem Haushalt nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zu Zusatzpunkt 1. Die Zeit für die namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP ist jetzt gleich vorbei. Ich darf fragen: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7488387
Wahlperiode 19
Sitzung 197
Tagesordnungspunkt Wirtschaft und Energie
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