Gero Clemens HockerFDP - Ernährung und Landwirtschaft
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde weniger über Tattoos sprechen, sondern eher auf die Rede der Ministerin von eben Bezug nehmen; das erwarten Sie wahrscheinlich auch schon, Frau Ministerin. Denn Sie haben erklärt, dass die FDP in den Haushaltsberatungen beantragt habe, dass die Zuschüsse für die soziale Sicherung der Landwirte abgeschafft werden sollen. Ich sage Ihnen: Das ist die Unwahrheit! Ich kann die Forderung von Frau Ihnen nur wiederholen, dass Sie uns bitte bis zum Freitag, wenn die Abschlussabstimmung stattfindet, diesen Antrag einmal vorlegen. Er existiert nicht, und deswegen werden Sie damit nicht erfolgreich sein.
Wahr ist aber, Frau Ministerin, dass Sie selber im Thüringer Landtagswahlkampf im Herbst 2019 angedroht haben, dass etwaige Strafzahlungen bei Nichteinhaltung der Düngeverordnung mit den freiwilligen Leistungen zur Rentenversicherung der Landwirte verrechnet werden könnten. Das ist Ihr Fehler gewesen, verehrte Frau Ministerin, und Sie wollen einfach von sich auf andere ablenken.
(Beifall bei der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor einem Jahr haben in Deutschland die größten Bauernproteste stattgefunden, die es in unserem Land seit 1949 jemals gegeben hat. Die Hoffnungen damals sind groß gewesen, dass sich in den kommenden zwölf Monaten die Situation der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland tatsächlich verbessern würde. Es hat viele runde Tische gegeben; es hat viele Diskussionsprozesse und Dialogprozesse gegeben, die angestrebt wurden. Es gab damals und es gibt heute eine große Geschlossenheit innerhalb der Branche. Es hat viele Beteuerungen der Politik gegeben, und es hat eine Zeit der EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland gegeben. Das alles hat Hoffnungen genährt.
Zwölf Monate später, meine sehr verehrten Damen und Herren, demonstrieren Landwirte wieder, oder lassen Sie mich sagen: immer noch, und zwar aus einem einzigen Grunde: weil sie das Gefühl haben, dass in den letzten zwölf Monaten nichts, aber auch wirklich gar nichts von den Forderungen, die damals formuliert wurden, in konkrete Gesetzesinitiativen umgesetzt wurde, und das machen wir Ihnen zum Vorwurf, verehrte Frau Ministerin.
(Beifall bei der FDP)
Wenn andere Branchen, wenn einzelne Betriebe zur Zeit von Corona oder auch bei anderen Anlässen in Schieflage geraten, in prekäre Verhältnisse abdriften, dann gibt es, sagen wir mal, häufig ähnliche Reflexe von der Politik. Da wird erst Verständnis und Betroffenheit zum Ausdruck gebracht, und danach werden häufig umfängliche Millionen- und Milliardenprogramme auf den Weg gebracht. Bei den Landwirten wurde vor knapp einem Jahr eine Bauernmilliarde ins Spiel gebracht, die sie besänftigen sollte, und jetzt lockt der Lebensmitteleinzelhandel mit 50 Millionen Euro, um Landwirte zu besänftigen.
Man kann stolz sein auf die Landwirte in Deutschland, die sich davon eben nicht besänftigen lassen, weil sie als Unternehmer wissen, dass es nichts hilft, ihnen einmalig ein paar Scheine in die Hemdtasche zu stecken, sondern dass es darauf ankommt, dass selbstständige Unternehmer in der Situation sind, faire Rahmenbedingungen vorzufinden, damit sie ihre Betriebe tatsächlich fortführen können. Das ist unsere verdammte Aufgabe, das ist die Aufgabe von Politik, endlich dafür zu sorgen, statt irgendwelche Almosen zu verteilen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Verehrte Frau Ministerin, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft läuft in wenigen Tagen aus. Sie wäre die ideale Gelegenheit gewesen, für etwas zu kämpfen, was wirklich dazu beigetragen hätte, dass Boden, Luft, Wasser und auch das Tierwohl, und zwar europaweit, geschützt werden würden, indem Sie nämlich innerhalb dieser Amtszeit dafür gerungen, gekämpft, gestritten hätten, dass es zumindest innerhalb Europas endlich eine Angleichung von Wettbewerbsstandards gibt.
Denn was wir gegenwärtig erleben, ist, dass es diese einheitlichen Wettbewerbsstandards in einem europäischen Binnenmarkt eben nicht gibt. Ganz im Gegenteil: Der süd- oder der osteuropäische Berufskollege des deutschen Landwirts produziert zu niedrigeren Standards, und das führt dazu, dass auf den Tellern von Verbrauchern in diesem Binnenmarkt und in Deutschland Produkte landen, die zu Standards erzeugt wurden, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die man einem deutschen Landwirt niemals zugestehen würde. Damit erweist man dem Tierwohl und der Wasser-, Boden- und Luftqualität in Europa einen Bärendienst, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Sie haben ausführlich über Fairness gesprochen, die man Landwirten entgegenbringen müsste, Frau Ministerin. Zu Fairness würde dazugehören, dass hier in diesem Hohen Hause Politiker tatsächlich auch mal den Rücken gerade machen und auch zu unpopulären Botschaften stehen. Eine dieser unpopulären Botschaften ist, dass es nicht sein kann, dass Verbraucher, wenn am Sonntagmorgen ein Umfrageinstitut anruft, zu 90 Prozent erklären, sie wären ja gerne bereit, einen höheren Preis für Lebensmittel zu bezahlen, wenn denn auch hohe Standards bei der Produktion eingehalten werden, es gleichzeitig aber nur 10 Prozent der Menschen sind, die tatsächlich zu höherpreisigen Lebensmitteln greifen.
Da ist es auch Aufgabe der Politik, unpopuläre Botschaften zu verkünden und auch den Verbraucher mit in die Pflicht zu nehmen, nämlich dass diese Bigotterie nicht funktioniert. Wer hohe Standards fordert, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der muss auch bereit sein, dafür einen angemessenen Preis zu bezahlen. Und ganz offenbar bedarf es einer kleineren Fraktion in diesem Hohen Hause, die diese unpopulären Botschaften tatsächlich auch formuliert, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Unpopulär ist auch, dass Sie jetzt sofort zum Schluss kommen müssen.
Das ist mein letzter Satz, verehrte Frau Präsidentin. – Ich bin der festen Überzeugung, dass es Landwirten darüber hinaus besser gehen würde, wenn Politik etwas, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste, wieder mehr Raum verschafft, nämlich dass politische Entscheidungen auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen zustande kommen. Wenn ich sehe, wie fadenscheinig und wie lückenhaft die Anfrage, die wir ans Umweltministerium formuliert haben, –
Herr Kollege.
– beantwortet wurde, dann habe ich meinen Zweifel, dass diese Bundesregierung tatsächlich nach wissenschaftlichen Grundlagen entscheidet.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Herr Kollege, Sie reden über Fairness. Dann müssen Sie jetzt wirklich aufhören.
Ich bin fertig, Frau Präsidentin.
Ja, gut; aber so nicht. – Danke schön. Das war Dr. Hocker.
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Artur Auernhammer – aus Bayern.
(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Protschka [AfD]: Ist ein Franke!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7488440 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 197 |
Tagesordnungspunkt | Ernährung und Landwirtschaft |