Bärbel BasSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass bei manchen Redebeiträgen ignoriert wird, dass heute erneut 590 Menschen verstorben sind an einem Virus oder mit einem Virus; man kann es definieren, wie man möchte. Aber es sind zwischenzeitlich fast jeden Tag über eine Woche über 400 Menschen. Diese Fakten zu ignorieren und Wortbeiträge hier zu haben, die von Kungelrunden und verlogener Politik sprechen, ist für mich mittlerweile unfassbar.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Widerlich ist das! – Und jetzt grinsen die auch noch!)
Der Punkt ist einfach. Herr Münzenmaier hat vorhin gesagt: Kriegen Sie eigentlich noch was mit? – Die Frage würde ich Ihnen gerne stellen: Kriegen Sie eigentlich noch was mit?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben mit Gastronomen und Taxifahrern geredet; das tun wir auch. Aber vielleicht reden Sie auch mal mit Intensivmedizinern.
(Zuruf von der SPD: Genau!)
Vielleicht reden Sie mal mit Pflegefachkräften darüber, wie die sich gerade fühlen, was die gerade leisten. Ich möchte nicht prognostizieren, welche Zahlen wir jetzt hätten, wenn wir diesen Lockdown light nicht gehabt hätten, den übrigens die FDP so, wie er jetzt ist, auch nicht wollte. Dann wären die Krankenhäuser schon weit über ihrem Limit. Wenn jemand sagt, wir hätten die Zeit nicht genutzt, um zu investieren: Ich glaube, dass dieser Haushalt deutlich zeigt, dass wir sehr wohl investiert haben und die Zeit genutzt haben.
Ich will nur erinnern, weil das viele vergessen: Wir haben im Frühjahr Kapazitäten an Beatmungsgeräten und Intensivbetten aufgebaut.
(Karsten Hilse [AfD]: Und dann abgebaut!)
Nicht dass ich mir gewünscht hätte, dass wir sie brauchen, auf keinen Fall; das will ich noch mal ganz deutlich sagen. Aber hätten wir das nicht gemacht, hätten wir schon jetzt nicht mehr die Kapazitäten, um diese zweite Welle zu überstehen. Wir Sozialdemokraten haben aber schon damals gesagt: Das Bett und das Gerät sind das eine. Wir kommen aber beim Personal ans Limit. – Das war auch abzusehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber reden. Das haben wir immer wieder in die Debatten eingebracht.
Es ist bitter, dass es ein solches Gezänk und Gezerre um den Coronabonus gab und dass es so lange gedauert hat, bis überhaupt die ersten Boni gezahlt wurden. Und es stimmt: Noch nicht alle haben diese Prämie bekommen. Das ist bitter, und das müssen wir konstatieren. Das ist uns nicht gelungen. Dennoch müssen wir jetzt den Menschen helfen, die trotzdem an der Bekämpfung der Pandemie arbeiten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang das ansprechen, was Herr Lindner vorhin zum RKI gesagt hat. Man kann den Zeitungen einfach entnehmen: Es wurden 68 IT-Stellen gefordert, aber nur vier genehmigt. – Die Wahrheit ist aber: Der Personalhaushalt des RKI ist um 50 Prozent aufgestockt worden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!)
Wenn das RKI selber seinen Schwerpunkt auf 101 Stellen bei der künstlichen Intelligenz legt, dann ist das die Sache dieses Instituts; das kann es so machen. Dass jede Behörde zig Stellen fordert – das muss ich keinem Haushaltspolitiker sagen – und nicht alle genehmigt bekommt, ist auch klar.
(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Aber doch dort, wo sie erforderlich sind!)
Aber zu verschweigen, dass 133 Stellen beim RKI im Laufe der Zeit aufgebaut worden sind, ist nicht in Ordnung. Das ist eine Realität, die man auch wahrnehmen muss. Natürlich unterstützen wir das Robert-Koch-Institut.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?
Gerne.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Der Fricke redet diese Woche viermal! Jetzt redet er noch mal!)
Nein, ich kann dich beruhigen: Ich rede diese Woche – anders als du – nicht viermal, lieber Fraktionsvorsitzender.
Frau Kollegin Bas, gerade weil dieses Thema so viele Leute beunruhigt hat, sollten wir einfach für Klarheit sorgen, ohne dass es da um Schuldige geht. Sie hatten auf die Haushälter verwiesen. Dem Haushaltsausschuss lag ein entsprechender Antrag des RKI ja überhaupt nicht vor.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja eben!)
Deswegen weise ich darauf hin, dass das nicht eine Frage war, die an das Parlament herangetragen worden ist, sondern doch wohl eine Frage war innerhalb der Regierung.
Zweitens. Frau Bas, ich bitte Sie, mir zu sagen, ob aus Sicht der SPD-Fraktion die Stellen, die das RKI jetzt hat – ich gebe Ihnen vollkommen recht, es sind die Stellen, die Sie genannt haben, auch dabei –, ausreichen oder nicht.
Das beantworte ich gerne. Aber, wie gesagt, die Entscheidung, wie das Personal eingesetzt wird, fällt im Innern der Behörde. Wenn sie 101 Stellen für die künstliche Intelligenz nutzt – die müssen erst besetzt werden –, dann nutzt sie diesen Bereich auch für die moderne Aufstellung des RKI. Ob die in Rede stehenden vier IT-Stellen reichen? Da würde ich von mir aus sagen: Es mag sein, dass sie nicht reichen. Aber das RKI kann auch sagen: Wir können bestimmte Programmierungen zukaufen. So etwas im eigenen Haus aufzubauen, würde zweifelsfrei Jahre dauern. – Sie sind doch die digitale Partei, die immer wieder sagt: Man kann sich Expertise einkaufen
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Antworten Sie!)
– das ist meine Antwort; die müssen Sie mir schon zugestehen –,
(Otto Fricke [FDP]: Aber aus dem Haushalt!)
gerade wenn es um Digitalisierung und Programmierung geht. Ich glaube, das tut dem RKI keinen Abbruch.
(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Davon steht nichts im Haushalt!)
Wir stärken jedenfalls das RKI. Man kann sicherlich auch im nächsten Jahr noch mal schauen, ob das ausreichend ist.
(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Im nächsten Jahr? Da freuen sich aber die Gesundheitsämter!)
Aber noch mal: Die Gesundheitsämter – weil Sie das Stichwort gerade liefern – sind ein anderer Punkt. Da haben wir jetzt 4 Milliarden Euro investiert; auch das sagen Sie nicht. 4 Milliarden Euro für die Gesundheitsämter, die wir jetzt aufwenden!
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])
Auch das wird verschwiegen; auch hier haben wir investiert. Aber das alles wird ignoriert.
Das Gleiche gilt für die Testkapazitäten. Es wurde hier gerade unterstellt, wir hätten da nicht viel gearbeitet. Die Schnelltests, die nun zur Verfügung stehen, sind aber auch erst im Laufe der Zeit entwickelt worden.
Frau Baerbock hat gesagt: Wir haben nicht genug Masken. – Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass wir eine nationale Reserve aufbauen. Auch das haben wir jetzt geleistet. Das alles kann man ignorieren. Aber das ist auch ein Element in diesem Haushalt. Dafür haben wir uns sehr stark eingesetzt.
Was ich auch kritisiere und wo ich bei denen bin, die das kritisieren: Ja, wir brauchen weitere Präventionskonzepte. Die Menschen erwarten von uns klare Maßnahmen; das stimmt. Deswegen will ich auf meinen Beginn noch mal zurückkommen. Wenn die Zahlen nach wie vor steigen, kann ich den Appell der Kanzlerin nur unterstützen. Eigentlich sind mir Maßnahmen nach Weihnachten zu spät; das will ich auch ganz deutlich sagen. Wir müssten schon heute damit beginnen, stärkere Maßnahmen zu ergreifen, um die Kontakte zu beschränken, auch an den Feiertagen. Wir haben jetzt die Chance, weil um Weihnachten herum sowieso viel geschlossen ist, weil viele Betriebe in die Ferien gehen. Wir haben jetzt die Chance, diese Feiertage zu nutzen, unser öffentliches Leben ein bisschen herunterzufahren. Diese Chance sollten wir jetzt nutzen.
Die Kanzlerin hat das in ihrer Rede angesprochen: Wir haben jetzt schon wieder einen Anstieg der Infektionszahlen von 3 000. – Diese infizierten Menschen werden in 14 Tagen – wir müssen bis Weihnachten weiterdenken – in den Krankenhäusern landen; nicht alle, Gott sei Dank, weil der Krankheitsverlauf nicht bei allen schwer ist. Deshalb ist es mir fast zu spät, dass die Länder erst nach Weihnachten mit ihren Maßnahmen beginnen. Ich bin sehr stark bei denen, die sagen: Wir müssen eigentlich schon heute damit beginnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU])
Ich bin auch bei den 80, 90 Prozent der Menschen, die quasi darum bitten, klare, strukturierte Maßnahmen zu generieren.
Ich will auch deutlich sagen: Ich betrachte die bei den Länderzusammenkünften getroffenen Maßnahmen nicht als Hinterzimmermaßnahmen. Vielmehr müssen wir lernen, dass in erster Linie die Länder für den Infektionsschutz in ihren eigenen Ländern zuständig sind und dort die Verantwortung tragen. Aber die Länder müssen auch anerkennen, dass die Menschen draußen sich bundeseinheitliche Maßnahmen wünschen, ob uns das gefällt oder nicht.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Das glaube ich nicht!)
Und daran haben wir alle zu arbeiten. Da müssen wir alle die Verantwortung tragen und vor allen Dingen alle dazu beitragen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort geht an Frau Anke Domscheit-Berg von der Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Bitte nicht zu schnell!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7489039 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 198 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt |