09.12.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 198 / Tagesordnungspunkt I.12

Sascha RaabeSPD - wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte schon bei der Einbringung des Haushalts gesagt: Für mich persönlich ist es heute ein besonderer, ein bewegender Moment; denn es ist mein letzter Haushalt, den ich mitbeschließen darf.

Als ich 2002 anfing, lag der Einzelplan 23 bei 3,7 Milliarden Euro, die ODA-Quote bei 0,27 Prozent. Es erfüllt mich schon mit Freude und Stolz, dass wir heute einen Haushalt beschließen – sozusagen mein Abschiedsgeschenk – mit einem Volumen von 12,4 Milliarden Euro – über dreimal so viel wie damals – und dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich endlich eine ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen.

Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker – alle bis auf die von rechts außen – haben hier in den ganzen Jahren oft sehr gut zusammengehalten.

Der Entwicklungshaushalt hat einen Unterschied zu den Haushaltsplänen aus anderen Häusern;

(Zuruf des Abg. Markus Frohnmaier [AfD])

denn der Entwicklungshaushalt wird – anders als der Verkehrshaushalt und andere Haushalte – in der Finanzplanung immer gesenkt. Das heißt, wir sind der einzige Haushalt, der jedes Jahr fast bei null anfängt, der neu um seine Mittel kämpfen muss.

Ich erinnere daran – ich sehe hier zum Beispiel Gabi Weber –, dass wir im Jahr 2014 mal wieder eine Delle in der Planung hatten und ich aus Protest als entwicklungspolitischer Sprecher zurückgetreten bin. Da haben Gabi Weber und ich hier gesessen und gegen die Fraktion offen den Einzelplan 23 abgelehnt – nicht zur Freude unserer eigenen Fraktionsspitze. Aber wir Entwicklungspolitiker haben nie resigniert – wir machen das ja nicht, um den Kopf in den Sand zu stecken –, sondern wir haben weitergekämpft.

Wir haben es geschafft, dass sich von 2015 bis heute das Volumen des Haushalts verdoppelt hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Sonja, unsere Haushälterin, hat kräftig mit dafür gesorgt. Unser Entwicklungsminister hat gekämpft. Wir können jetzt sagen, dass wir in diesem Jahr das sechste Mal in Folge über 1 Milliarde Euro mehr an ODA-Mitteln beschließen werden. Ich glaube, wir alle gemeinsam können stolz darauf sein, dass uns das gelungen ist

(Zurufe des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

und dass wir mit den 0,7 Prozent ein Ziel erreichen, das wir schon 1970 als Bundesrepublik Deutschland ausgegeben haben. Jetzt, im Jahr 2020, erreichen wir es endlich. Ich denke, das tut gut, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich weiß, dass die Opposition wieder sagen wird: Die Finanzplanung geht runter. – Ich kann dazu nur sagen: „Es ist so“, und kann Sie nur ermutigen, genauso weiterzukämpfen; denn aus unserer Arbeitsgruppe hört bis auf Florian Post fast jeder von der SPD auf. Wir liegen jetzt 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung, die eigentlich 8,6 Milliarden Euro vorgesehen hatte. Grüne, Linke und andere können gerne beweisen, dass sie es auch hinbekommen, in den nächsten Jahren mindestens 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung zu liegen.

(Zuruf des Abg. Johannes Selle [CDU/CSU])

Aber ich sage auch und habe hier immer gesagt: Geld ist nicht alles. Wir brauchen Rahmenbedingungen, wir brauchen fairen Handel, damit Menschen von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können. Wir haben hier in einem sehr kritischen Bereich etwas verbindlich hinbekommen, nämlich bei den Konfliktmineralien. Dort müssen Menschen unter brutalsten Bedingungen – gerade im Kongo – Mineralien abbauen. Zum Januar nächsten Jahres wird erstmals ein Gesetz in Kraft treten, das in diesem Teilbereich der Wirtschaft dafür sorgt, dass künftig die deutschen und europäischen Unternehmen verpflichtet werden, nachzuweisen, dass die Mineralien aus sauberen Minen kommen,

(Zuruf des Abg. Markus Frohnmaier [AfD])

dass keine Zwangsarbeit vorliegt, dass keine Kinderarbeit vorhanden ist und dass die Einnahmen nicht zur Finanzierung von Kriegen dienen.

(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Das ist ein erster guter Schritt.

Auch da können gerade wir als SPD-Fraktion – ich habe meinen Teil dazu beigetragen – mit Stolz sagen: Dieses Gesetz wäre ohne die Sozialdemokraten und ohne dass wir das damals mit unserem Wirtschaftsminister in Brüssel durchgesetzt haben, nicht gekommen.

(Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE])

Auch das, glaube ich, gilt es festzuhalten.

(Beifall bei der SPD)

– Ja, da kann man ruhig mal klatschen. Ich denke, das ist berechtigt.

Aber es ist nur ein Teilbereich. Wir haben natürlich immer noch Minen in anderen Ländern mit anderen Mineralien. Sonja Steffen hat in einer hervorragenden Rede heute Vormittag Beispiele genannt – ich habe es in Madagaskar gesehen –, wo Kinder in einen Eimer gesetzt werden, in eine Mine runtergelassen werden und dann stundenlang Diamanten klopfen müssen; wenn sie Glück haben, sind sie noch am Leben, wenn sie wieder nach oben kommen.

Herr Körber, Sie haben zu Recht gesagt, dass wir Impfstoffe gegen Corona auch für die Entwicklungsländer zur Verfügung stellen sollen. Bundeskanzlerin Merkel sagt auch, dass dafür Mittel bereitgestellt werden sollen, der Entwicklungsminister sowieso. Dann fordere ich, dass die Bundeskanzlerin ihrem Wirtschaftsminister auch mal sagen muss, dass er endlich aufhören soll, ein Lieferkettengesetz zu blockieren,

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

das nämlich garantiert, dass Kinder nicht mehr unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssen, Näherinnen nicht mehr in Fabriken verbrennen. Denn ich kann ja schlecht einem Kind sagen: Du, übrigens, tolle Nachrichten: Im nächsten Jahr wirst du gegen Corona geimpft. Dann stirbst du nicht an Corona, sondern weil du in einer Mine verschüttet wirst. – Das wäre doch zynisch.

Gerade die Diskussion um Corona zeigt doch, dass Gesundheit und Menschenwürde vor wirtschaftlichem Profit gehen sollen. Da, finde ich, muss es doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir endlich dafür sorgen, dass wir bei Produkten, die wir täglich kaufen – vom T-Shirt bis zum Kaffee und Kakao; jetzt in der Weihnachtszeit verschenken wir wieder viel Schokolade, aber fast 2 Millionen Kinder müssen auf Kakao- und Kaffeeplantagen schuften –, mit einem Lieferkettengesetz menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen und so Kinder aus Hunger, Armut und Elend erlösen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen: Ja, der Haushalt ist ein starkes Signal. Aber ich bitte Sie alle, jetzt auch dafür zu sorgen, dass wir ernst machen mit fairem Handel. Dazu gehören auch die Handelsverträge der Europäischen Union. Auch das Mercosur-Abkommen muss nachgeschärft werden. Die Minister Hubertus Heil und Gerd Müller sind bei dem Thema eng beieinander und kämpfen sehr gut für fairen Handel. Auch unsere SPD-Minister haben gesagt, dass sie einem Abkommen wie Mercosur nur dann zustimmen werden, wenn noch substanzielle Verbesserungen erfolgen und auch Verstöße gegen Menschen- und Arbeitnehmerrechte und gegen das Verbot der Rodung des Regenwaldes sanktioniert werden können.

Darum geht es jetzt. Wir dürfen uns nicht auf diesem tollen Entwicklungshaushalt ausruhen, sondern wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir fairen Handel bekommen, damit wir es endlich schaffen, was wir uns in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt haben, nämlich dass bis 2030 Hunger und extreme Armut endlich abgeschafft sind.

Dann, hoffe ich – das ist mein Abschiedsappell –, brauchen wir irgendwann gar keinen Entwicklungsausschuss mehr im Deutschen Bundestag. Denn wir sind der Ausschuss, bei dem ich wirklich hoffe, dass er sich irgendwann einmal durch erfolgreiches Handeln erledigen wird und wir keinen Hunger und keine Armut mehr auf der Welt haben werden.

Vielen Dank für die Unterstützung in all den Jahren. Danke.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der nächste Redner ist der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7489102
Wahlperiode 19
Sitzung 198
Tagesordnungspunkt wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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