Stephan ThomaeFDP - Aktuelle Stunde zur Umsetzung der Nationalen Impfstrategie COVID-19
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit Monaten warnt die Regierung vor der zweiten Welle, vor dem zweiten Lockdown, stellt uns aber auch jetzt zum Jahresende – und das ist eine sehr gute Nachricht – den Beginn der Coronaimpfungen in Aussicht. In der Tat eine entscheidende Wegmarke in der Pandemiebekämpfung; denn den Menschen werden jetzt wichtige Grundrechte in vollem Umfang zurückgegeben werden können: Bewegungsfreiheit und Reisefreiheit, Berufsfreiheit, Gewerbefreiheit, Versammlungsfreiheit und das Recht auf die freie Ausübung der Religion.
Nicht zuletzt aber kann die Frage, wer wann geimpft wird, auch eine Frage von Leben und Tod sein. Deshalb ist die Frage der Impfstrategie für uns Freie Demokraten eine Grundrechtsfrage, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP)
Da verwundert es doch sehr, dass die Regierung offenbar plant, die Impfstrategie im Hauruckverfahren auf dem Verordnungsweg zu erlassen: ohne Beratung im Parlament, ohne öffentliche Debatte, ohne förmliches Gesetz.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Dittmar [SPD]: Quatsch!)
Eine solche Übergehung des Parlaments halten wir politisch für inakzeptabel und verfassungsrechtlich für höchst bedenklich, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der FDP – Zurufe des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])
Die Impfstrategie ist ja nicht nur eine technische Frage. Es geht dabei nicht nur um Verfahrensfragen, um Fragen der Zuständigkeit oder um die Kostenübernahme. Es geht um die Festlegung der Reihenfolge, in der Menschen geimpft werden. Das ist eine wesentliche Entscheidung über Grundrechte von Menschen, wie ich soeben ausgeführt habe. Und das Grundgesetz sagt sehr, sehr klar: Über wesentliche Fragen von Grundrechtsrang muss das Parlament entscheiden. – Das steckt hinter dem Parlamentsvorbehalt.
(Beifall bei der FDP)
Die Festlegung der Impfstrategie ist eine wesentliche, grundrechtsempfindliche Entscheidung. Deshalb sagen wir Freie Demokraten: Hier greift der Wesentlichkeitsgrundsatz. Hier greift der Parlamentsvorbehalt. Solche Fragen gehören ins Parlament, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der FDP)
Sie sahen sich heute genötigt, diese Aktuelle Stunde zu beantragen, weil die FDP ein Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst eingeholt hat
(Zuruf der Abg. Sabine Dittmar [SPD])
und morgen – vorgetragen von Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus – ein Impfgesetz in den Deutschen Bundestag einbringen wird, was eigentlich, Frau Kollegin Maag und Herr Kollege Dobrindt, die Aufgabe Ihrer Regierung gewesen wäre.
(Beifall bei der FDP – Karin Maag [CDU/CSU]: Wir waren halt schneller, Herr Kollege!)
Ganz grundsätzlich täten die Regierungsfraktionen besser daran, die vielen weitreichenden Entscheidungen der Pandemiebekämpfung in dieses Parlament hineinzutragen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Dass Koalitionsfraktionen ein Grundvertrauen in das Regierungshandeln haben, das hat etwas mit der funktionellen Rollenverteilung im Bundestag zu tun. Aber bei dieser Rollenverteilung kommen auch der Opposition und der Öffentlichkeit eine nicht zu unterschätzende Aufgabe und Rolle zu;
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Richtig! So ist es!)
denn hier kreuzen Meinung und Gegenmeinung die Klingen, hier prallen Argument und Gegenargument aufeinander.
(Beifall bei der FDP)
Und viele Unsicherheiten in der Bevölkerung und Gerüchte über Impfpflicht und Impfzwang, über die Sie, Frau Kollegin, schon gesprochen haben, entstehen gar nicht aus sachlichen Gründen. Sie entstehen, weil Aushandlungsprozesse für die Menschen undurchsichtig und intransparent sind. Wenn Menschen auch nur das Gefühl haben, etwas wird in Hinterzimmern entschieden, in Selbstgesprächen der Regierung oder in einer Art Nebenregierung namens Ministerpräsidentenkonferenz, dann ist für die Menschen nicht mehr erkennbar, an welcher Stelle ihre Interessen eigentlich vorkommen und in den Aushandlungsprozess einbezogen werden. Deshalb sollten auch Sie ein ureigenes Interesse daran haben, die Geländegängigkeit ihrer Argumente hier auf offener Bühne in der parlamentarischen Beratung zu erproben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Franziska Gminder [AfD])
Eine Richtigkeitsgarantie haben auch Parlamentsgesetze nicht. Der Fortschritt der Wissenschaft schreitet voran, aber Änderungen im Gesetz, Frau Kollegin Maag, können wir hier genauso vornehmen wie die Regierung Änderungen in der Verordnung. Da gibt es keinen Unterschied. Wir sind es doch, die vor Ort verantworten müssen, was in Gesetzen steht. Wir als Abgeordnete bekommen doch die Briefe aus dem Wahlkreis von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmern und Arbeitnehmern. Die Regierung ist manchmal ganz weit weg. Wir Abgeordnete werden vor Ort angesprochen, angerufen und angeschrieben. Wir sitzen dann im Wahlkampf auf dem Podium. Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehören diese Debatten in dieses Parlament.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Stephan Thomae. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7490595 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 201 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Umsetzung der Nationalen Impfstrategie COVID-19 |