17.12.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 202 / Tagesordnungspunkt 23

Helge LindhSPD - Christenverfolgung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Wir sind keine christliche Partei. Wir sind eine deutsche Partei, die sich bemüht, deutsche Interessen wahrzunehmen.“ Das sagte Alexander Gauland in „Christ & Welt“ 2016. Recht hatte er; die AfD ist wahrhaftig keine christliche Partei.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Auch keine patriotische!)

Angesichts dieser richtigen Feststellung ist die Dreistigkeit, ausgerechnet heute, gezielt kurz vor Weihnachten, einen Bundesbeauftragten zur Bekämpfung von Christenfeindlichkeit zu beantragen, die maximal mögliche Verhöhnung und Verspottung von Musliminnen und Muslimen, Jüdinnen und Juden in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nicht nur das: Sie ist auch noch eine Verspottung aller Christinnen und Christen, die Sie für Ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen und auf deren Rücken Sie Anschluss aus Verzweiflung über mangelnde Unterstützung suchen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur dies sagte Herr Gauland; 2019 wies er im ARD-Sommerinterview auch noch darauf hin, dass die AfD dagegen wäre, dass die Kirchen – und nach meinem Verständnis haben Kirchen normalerweise etwas mit Christentum zu tun – sich in die Politik einmischen und politische Antworten geben. Jetzt stelle ich Ihnen die Frage: Wieso mischen Sie sich denn in religiöse Fragen ein und behaupten, christliche Antworten geben zu können? Ich sehe da eine gewisse Inkonsistenz.

Aber wir sind kurz vor Weihnachten, wir sind geprägt auch von christlichen wie humanistischen Werten, und einer ist die Feindes- und Nächstenliebe. Im Sinne dieser Feindesliebe möchte ich auch der AfD meine Wertschätzung ausdrücken,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

meine Wertschätzung für Ihre Transparenz und Durchschaubarkeit; denn die Motive Ihrer Anträge sind maximal durchschaubar.

Sie interessieren sich genau dann für Terror, wenn sich damit Stimmung machen lässt gegen Islam und Musliminnen und Muslime. Sie interessieren sich genau dann – und nur dann – für die Rechte von Frauen, wenn sich damit Stimmung machen lässt gegen Musliminnen und Muslime. Sie interessieren sich genau dann für Antisemitismus, wenn dies zur Stimmungsmache gegen Geflüchtete und Musliminnen und Muslime geeignet ist.

Und nicht nur das; Sie steigern das Ganze auch noch. Wenn es antisemitische Vorfälle und Muster in Ihren eigenen Reihen gibt, schweigen Sie; aber Sie stellen Anträge zur Bekämpfung des Antisemitismus. Wenn in Ihren eigenen Reihen gegen Bischöfe, gegen Repräsentanten der Kirche gewettert wird: kein Wort. Aber Sie stellen Anträge zur Bekämpfung von Christenfeindlichkeit.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: So ist es! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Und – auch das ist heute in Ihren Anträgen wunderbar passend vorgeführt – Sie klagen an, dass dieses Land zu leiden hätte unter Hunderttausenden von Geflüchteten. Und dann paktieren Sie mit Assad, stellen ihn als einen Wahrer von Menschenrechten und Religionsfreiheit dar, obwohl Assad einer der Hauptgründe ist, warum sich Hunderttausende von Syrerinnen und Syrern auf die Flucht begeben haben.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Und sich vorher versteckt haben, vor dem Krieg! – Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Um es kurz zu sagen: Sie paktieren mit Fluchtursachen, und Fluchtursachenbekämpfung ist AfD-Bekämpfung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir wollen ja über christliche Botschaften reden, daher möchte ich in diesem Moment an ein paar Widersprüche erinnern. Die christliche Botschaft spricht von Nächsten- und Feindesliebe; ich erwähnte das. Was Sie praktizieren, sind Hass und Missgunst.

(Enrico Komning [AfD]: Ach Sie! Werfen uns Hass und Hetze vor!)

Ergo: Die AfD ist eine christenfeindliche, antichristliche Partei.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Deshalb sind die auch fast alle konfessionslos!)

Das Christentum – Stichwort „Bergpredigt“ – verbreitet Toleranz. Sie stehen für Intoleranz. Die AfD ist eine antichristliche Partei.

(Beatrix von Storch [AfD]: So viel dummes Zeug in einer Rede haben noch nicht mal Sie bisher gebracht! – Gegenruf des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Christliche Sanftmütigkeit ist nicht Ihr Thema!)

– Lesen Sie lieber mal die Bergpredigt; ich würde es Ihnen empfehlen.

Das Christentum sagt unter anderem: Warum siehst du den Splitter nur im Auge deines Bruders, aber nicht den Balken in deinem eigenen? – In Ihren Augen sind 500 Balken, und ich würde Ihnen dringend raten, erst mal die Balken zu sehen und nicht immer die Splitter bei den anderen zu suchen. Und auch das ist eine christliche Botschaft. Sie haben sich aber leider nie mit dem Christentum ernsthaft auseinandergesetzt; das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Christentum bedeutet – heutzutage erst recht – Anerkennung von Religionsfreiheit. Was Sie tun, ist Missachtung von Religionsfreiheit. Christentum steht für Milde und Gelassenheit.

(Jürgen Braun [AfD]: Gerade Sie stehen für Ruhe und Gelassenheit!)

Sie stehen – Frau von Storch, Sie haben es eben wieder vorgeführt – für Hysterie, Daueraufgeregtheit und Hetze.

(Enrico Komning [AfD]: Wer hetzt denn hier? Sie hetzen die ganze Zeit! – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das stimmt! Frau von Storch steht nicht für christliche Sanftmütigkeit!)

Die AfD ist eine christenfeindliche und antichristliche Partei.

(Beifall bei der SPD)

Das Christentum steht für Empathie, steht dafür, mit den Schwachen und Verfolgten zu stehen, sie zu unterstützen. Sie leben davon, immer neu Schwache, Verfolgte und Arme auszuweisen und Schwache und Schwächere gegeneinander auszuspielen. Die AfD ist eine antichristliche, christenfeindliche Partei.

(Beatrix von Storch [AfD]: Bla, bla, bla!)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?

Als Weihnachtsgeschenk: Selbstverständlich.

(Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Oh! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen wir uns noch mehr von denen anhören!)

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Lindh, danke, dass Sie meine Frage zulassen. – Ich merke gerade, wie ich Puls bekomme.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Endlich! Er lebt! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie raus und beruhigen sich!)

Ich liebe Jesus Christus, und ich würde behaupten, dass ich ein liebender Christ bin. Ich bin aber kein Mitglied mehr der Kirche; das mal dazu. Aber ich bin ein Christ, ein liebender Christ, so wie meine ganze Familie.

Herr Lindh, erste Frage: Lieben Sie Jesus Christus? Die zweite Frage ist: Wollen Sie ernsthaft bestreiten, dass der ideologisch geprägte Islamismus die Christen als Feinde beschreibt und auch bekämpfen möchte? Wollen Sie das allen Ernstes in diesem Raum sagen? Wollen Sie allen Ernstes bezweifeln, dass in Afrika Christen getötet werden? Nigeria ist wieder ein Beispiel. Wollen Sie das hier ernsthaft bezweifeln? Das ist meine Frage.

Und eines sage ich Ihnen: Wir sind ein christliches Abendland. Das sind unsere Werte, unsere Kultur und unser Glaube.

(Husten des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])

Ich stehe dazu. Sie überhaupt nicht; das stelle ich hier fest.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist ein aufgeklärtes Land hier!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie Puls haben, zeigt, dass ich was richtig gemacht habe; insofern werte ich das als Kompliment. Die Frage – habe ich das richtig verstanden? –, ob ich Jesus Christus liebe, ist eine sehr merkwürdige politische Frage. Die werde ich selbstverständlich hier nicht beantworten,

(Lachen bei der AfD – Beatrix von Storch [AfD]: Jawoll!)

weil das völlig irrelevant ist in diesem Parlament. Ich kann nur eines sagen:

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Religion ist Privatsache!)

Ich bin mir immer unsicher; denn zum Glauben – aber Sie haben ja wenig mit Glauben zu tun und sehr viel mit Gottlosigkeit – gehört ja immer der Zweifel. Zweifel ist Ihnen fremd.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist lachhaft!)

Was ich sagen kann: In Ihrem praktischen Handeln beweisen Sie, dass Sie offensichtlich Jesus Christus nicht lieben. Das kann ich in der Beurteilung nur so wahrnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu Ihrer Logik. Das ist eigentlich immer wunderbar; denn die AfD hat die Kunst der unfreiwilligen Selbstentlarvung auf die Spitze getrieben.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Sie weisen ja darauf hin, es gebe islamistische Verfolgung von Christen. Die gibt es, oh ja; wurde auch schon alles hier ausgeführt. Sie weisen aber nie auf die Verfolgung von den Uiguren und den Rohingya hin. Sie weisen nicht darauf hin, dass sich die Herren Gültekin, Özen, Abu El Hosna in Wien schützend vor ihre christlichen Brüder und Schwestern gestellt haben, was Sie, glaube ich, nie tun. Sie schleusen nur rechte Blogger hier in den Bundestag ein. Das ist Ihre Art von Mut, sprich: Feigheit.

(Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an Gott, Herr Lindh?)

Sie haben sich nie damit auseinandergesetzt, wie sich in Indonesien, in Frankreich, in Kenia, in Jordanien nachweislich viele muslimische Organisationen schützend vor ihre christlichen Schwestern und Brüder gestellt haben. All das erzählen Sie nicht. Auslassen ist auch eine Form des Lügens.

(Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an Gott, Herr Lindh?)

Da wir heute ja so christlich sind und ich Ihnen auch einen Einstieg ins Christentum gebe, komme ich nun zum Dekalog, den Zehn Geboten:

(Dietmar Friedhoff [AfD]: Lieben Sie Jesus Christus, Herr Lindh?)

„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Was Sie permanent machen, ist falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

(Beatrix von Storch [AfD]: Geben Sie mal Zeugnis ab!)

Herr Kollege.

Sie haben die Lüge auf die Spitze getrieben.

Herr Kollege.

Sie sind per definitionem eine antichristliche, unchristliche Partei.

(Zurufe von der AfD)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten. Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Schluss. – Fassen wir es zusammen: Ihre Kernkompetenz ist mitnichten Christentum und Kirche.

(Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an Gott, Herr Lindh?)

Ihre Kernkompetenz ist Hass und Hetze. Lesen Sie bitte in Ihrem eigenen Antrag; da warnen Sie unter anderem auch vor rechtsextremistisch motiviertem Hass gegen Christen. Nehmen Sie sich ein Beispiel.

Herr Kollege, ich muss Sie bitten, jetzt Ihre Rede zu beenden.

(Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an Gott?)

Schaffen Sie diesen Beauftragten an! Als Erstes hat er sich mit Ihnen selbst zu beschäftigen; denn Sie sind das größte Problem der Christenfeindlichkeit in diesem Land.

(Beifall bei der SPD – Dr. Anton Friesen [AfD]: Kein einziger Satz zum Thema! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Christine Buchholz, Die Linke, ist die nächste Rednerin.

(Beifall bei der LINKEN)

Moment, Frau Kollegin Buchholz, ich bitte um Entschuldigung. – Ich sollte darauf hinweisen, dass in einer Minute die Urnen für die namentliche Abstimmung geschlossen werden. Am Ende Ihrer Redezeit werde ich sie schließen. – Bitte sehr, Sie haben das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7490701
Wahlperiode 19
Sitzung 202
Tagesordnungspunkt Christenverfolgung
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