17.12.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 202 / Tagesordnungspunkt 11

Helge LindhSPD - Europäische Flüchtlingspolitik

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Die Herren Präsidenten, gerade beim Schichtwechsel! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Umgang mit Grenzen sagt sehr viel darüber, wer wir sind und wie wir uns begreifen. Es scheint mir auch die zentrale Frage in Bezug auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem der Zukunft zu sein. Und da kann eine Antwort gewiss nicht lauten – zudem rassistisch motiviert –, eine komplette Politik der Abschottung zu fahren und zu verfolgen. Aber auch die wesentlich zivileren Varianten – und wir haben es eben live in der Diskussion erleben können – führen uns nicht weiter, weder ein Ansatz, der rein sicherheitspolitisch argumentiert, noch ein sicher gutgemeinter Ansatz, der aber mit einem moralischen Absolutismus Grenzöffnungen verficht und letztlich Dilemmata und Konflikte, die es gibt, einfach ausblendet. Beides erscheint mir nicht sinnvoll.

Deshalb rege ich an, dass wir uns sieben mögliche Säulen eines künftigen europäischen Asylsystems angucken:

Erstens. Wir müssen Solidarität als etwas begreifen, das alle, die an dem System teilhaben, betrifft, wie es in Sozialsystemen nun mal ist.

Zweitens. Wir sollten uns in unserem Auftreten gegenüber Griechenland, Italien, Malta und Spanien möglichst damit zurückhalten, bevormundend, belehrend und paternalistisch aufzutreten. Allein schon die deutsch-griechische Geschichte lehrt uns, da Demut zu üben und pragmatisch zu denken.

Drittens. Angesichts der jetzigen, hinreichend beschriebenen Situation auf den griechischen Inseln und auch der ungelösten Frage der Seenotrettung müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten beweisen, dass humanitäre Lager und Aufnahmesituationen möglich sind. Sonst ist jede Idee großer Aufnahmezentren ziemlich zynisch und ziemlich absurd.

Viertens. Wir brauchen auch Perspektiven für Drittstaaten, in denen gegenwärtig Hunderttausende, ja Millionen von Geflüchteten sind. Diese Frage ist oft unterbeleuchtet.

Fünftens. Wir müssen uns darum kümmern, dass wir mehr auf das Instrument von Resettlement, von Neuansiedlungen, setzen. Kanada gibt ein Beispiel.

Sechstens – ein ganz wichtiger Punkt –: die Frage der schnellen Asylverfahren und unserer Lebenslügen. Es muss uns darum gehen, rechtssichere, schnelle Verfahren zu haben. Das bedeutet dann auch, dass es irgendwann einen Entscheid gibt, und er bedeutet in der Konsequenz auch, dass es – und das ist kein angenehmer Punkt – auch Abschiebungen und Rückführungen gibt. Wenn es keinen Unterschied macht, wie der Entscheid ausfällt, brauchen wir kein Asylsystem.

Zu den Illusionen gehört aber auch, dass wir die Zahl der Abschiebungen immer maximal steigern können. Wir wissen genau, dass das nicht der Fall ist. Und zu den Lebenslügen gehört auch, dass wir auf Systeme der Ordnung und Steuerung stolz sind, aber ganz viele von uns regelmäßig mit ihren Einzelfällen zum BAMF, zum BMI oder zum AA laufen. – All das ist, glaube ich, kein Weg der Perspektive. Deshalb brauchen wir zusätzliche legale Wege der Migration, wir brauchen Rückführungsabkommen, und wir brauchen da eine pragmatische, rationale, humanitäre Politik.

Siebtens. Wir brauchen vielleicht auch mal Fantasie und Kreativität und sollten nicht immer nur, weil die Fronten ja so sind, wie wir sie eben hier auch erlebt haben, auf das Übliche, das ideologisch Verkarstete setzen, sondern gucken, dass wir konstruktive Kräfte einbinden – die Zivilgesellschaft, Kommunen, die handlungsfähig und handlungswillig sind – und nicht diejenigen bestrafen, die nicht mitmachen, sondern diejenigen belohnen, die aufnehmen wollen und unterstützen.

Das scheint mir ein sinnvoller Weg zu sein, vor Weihnachten und auch nach Weihnachten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Kuffer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7490968
Wahlperiode 19
Sitzung 202
Tagesordnungspunkt Europäische Flüchtlingspolitik
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