Frank JungeSPD - Aktuelle Stunde - Der Fall Haribo - Niedergang des ostdeutschen Arbeitsmarktes
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn noch mal ausdrücklich unterstreichen: Der ostdeutsche Arbeitsmarkt ist nicht im Niedergang begriffen. Ich sage das so ausdrücklich, weil Sie, liebe Fraktion Die Linke, im Titel der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde – „Niedergang des ostdeutschen Arbeitsmarktes stoppen“ – bewusst den Eindruck vermitteln wollen, dass das so sei. Das ist nicht so,
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist das Jammern, Herr Höhn!)
und das will ich auch noch mal an einigen Zahlen deutlich machen.
Die Wirtschaftskraft und das Pro-Kopf-Einkommen haben sich seit der Wende verdoppelt. Das BIP liegt gegenwärtig bei 75 Prozent Westniveau. Die Arbeitslosigkeit lag vor Corona bei 6,4 Prozent, auf einem historischen Tiefststand. Wenn man auch noch mal darauf schaut, dass die Arbeitslosenquote 2005 im Vergleich zum Westen 10 Prozent auseinandergelegen hat, und wenn man sieht, dass das 2020 nur noch 2 Prozent waren, dann kann hier keiner behaupten, im Osten wäre am Arbeitsmarkt der Teufel los. Vielmehr zeigt sich: Hier sind richtige Entscheidungen getroffen worden, und diese Entscheidungen sind in die richtige Richtung entwickelt worden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich sage das so ausdrücklich deshalb, weil Sie offenbar das Kalkül haben, das Thema „Haribo“ zu benutzen, um den Eindruck zu vermitteln, im Osten sei alles verloren. Dagegen können wir uns zu Recht wehren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Dennoch bin ich weit davon entfernt – das will ich hier ebenfalls ausdrücklich sagen –, die Geschehnisse um Haribo schönzureden oder nicht ernst zu nehmen. Ich will damit auch zum Ausdruck bringen, dass wir hier zwar exemplarisch über Haribo reden, aber wir auch über Majorel, über MAN, über Mahle, über Continental und über Stena Line sprechen.
(Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ach!)
Das alles sind Beispiele von Unternehmen, die die Gelegenheit nutzen, sich aufgrund fragwürdiger Entscheidungen, wie ich finde, aus dem Osten zu verabschieden,
(Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ach!)
obwohl über Jahre hinweg dort Wertschöpfung betrieben worden ist und an Unternehmensgewinnen mitgearbeitet wurde. Das ist aus meiner Sicht verantwortungslos, sozialpolitisch untragbar und gesellschaftspolitisch äußerst fahrlässig.
(Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ach, guck mal an!)
Denn es spielt denen in die Hände, die dieses Thema bewusst politisch nutzen wollen, um es gegen die Menschen zu verwenden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es offenbart auch – das will ich ganz klar sagen – eine unternehmerische Rücksichtslosigkeit, auf dem Rücken der Beschäftigten solche Entscheidungen zu treffen und damit auch die Kommunen vor Ort mit den fatalen Kettenreaktionen im Stich zu lassen. Das hat aus meiner Sicht nichts mit verantwortungsbewusstem Unternehmerhandeln zu tun. Gleichzeitig will ich hier aber auch sagen, dass das Einzelfälle sind und dass damit nicht eine Gesamtsituation im Osten belegt werden kann. Diese Einzelfälle sind dennoch stark zu kritisieren.
Was können wir tun? Das will ich hier auch ganz klar sagen:
Wir können uns – erstens – an die Seite der Beschäftigten stellen, uns mit ihnen solidarisieren und all die Möglichkeiten, die wir als MdBs vor Ort haben, nutzen, um das Problem öffentlich zu machen.
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
Diesen öffentlichen Druck dürfen wir nicht unterschätzen; er ist unbedingt nötig.
(Beifall bei der SPD)
Zweitens – das will ich auch ganz klar sagen – müssen wir im Rahmen einer guten Wirtschaftsförderung, einer guten Strukturpolitik alles dafür tun, nach wie vor ähnlich gut zu arbeiten, wie wir das bisher gemacht haben. Aus Kulissen, liebe Claudia Müller, wie dem ERP-Sondervermögen oder der GRW sind seit 1990 fast 100 Milliarden Euro in die Förderung des Ostens geflossen. Ohne diese Mittel wäre der Osten lange nicht dort, wo er jetzt ist. Unser Bemühen muss dahin gehen, diese Mittel weiter zu verstetigen, damit die entsprechenden Strukturschwächen weiter abgebaut werden können.
Drittens – das erscheint mir an dieser Stelle mit der wichtigste Punkt –: Das wichtigste Instrument, solchen fragwürdigen Unternehmensentscheidungen wirksam entgegenzutreten und damit auch für die Interessen der Ostdeutschen einzutreten, sind starke Gewerkschaften und Betriebsräte.
(Beifall bei der SPD)
Ich unterstreiche das ausdrücklich. Wo immer solche Arbeitnehmervertretungen den Arbeitskampf führen können, sind die Aussichten auf Erfolg wesentlich höher.
Das beste Beispiel ist Görlitz – ich sage auch das ausdrücklich –; denn dort konnte der Schließung des Siemens-Dampfturbinenwerks auch durch den massiven Widerstand der Gewerkschaften Einhalt geboten werden. Das ist ein Punkt, den wir an der Stelle zur Kenntnis nehmen müssen.
(Beifall bei der SPD)
Ich will zum Abschluss sagen: Wo immer wir Möglichkeiten haben, Gewerkschaften zu stärken, fängt das bei uns selbst an. Damit will ich auch einen frommen Wunsch zu Weihnachten verbinden: Neben einem besinnlichen Fest und dem Wunsch, dass Sie alle gesund bleiben, wünsche ich mir, dass Sie alle überprüfen, ob Sie schon in einer Gewerkschaft sind.
(Mechthild Rawert [SPD]: Länger als in der SPD!)
Wenn nicht, überlegen Sie mal, ob das nicht gut wäre.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Junge. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Jana Schimke, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7491004 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 202 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Der Fall Haribo - Niedergang des ostdeutschen Arbeitsmarktes |