Thomas SattelbergerFDP - Förderung der Gender-Forschung
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die AfD ist Genderforschung keine Wissenschaft. Ich möchte den Antragstellern erläutern, warum sie irren.
1935 hat der Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck die Entstehung einer Disziplin skizziert: Die Uridee entwickelt sich zum Gedankenbrei, der sich evolutionär zur Wissenschaft präzisiert. Im Umkehrschluss: Irriges ist der Zwilling von Uridee. Wer Skurriles, unsinnig Erscheinendes von vorneherein ausschließt, negiert vor allem sich evolutionär entwickelnde Forschung.
Bei Geistes- wie bei Naturwissenschaften mendelt sich Irriges und Absurdes heraus, auch bei der Genderforschung. Dummes verschwindet – wie ein identitätspolitischer Privilegiencheck oder Männer und Frauen als optische Täuschung.
Präziser als Deutsch ist manchmal das Englische. „ Sex“ steht hier für das biologische Geschlecht, „Gender“ für das soziale.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ – Simone de Beauvoir, 1949.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Hartmut Ebbing [FDP] und Nicole Gohlke [DIE LINKE] und Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aus dieser spannenden These entstand eine Wissenschaft. Gut so!
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Viele Fragen sind offen: Wie wirkt sich Geschlecht auf Privilegien und auf Diskriminierung aus? Wie viel Impact haben „Sex“ und „Gender“ bei klinischen Studien, bei Crashtests, bei künstlicher Intelligenz? Welchen Einfluss hat die Religion auf die Rollen von Frauen und von Männern? Welche Rolle spielt Mixed Leadership bei unternehmerischem Erfolg und bei Innovation? Hochgradig politikrelevant für die Frage, wie Deutschland Vielfalt fördert und Barrieren beseitigt!
Spiegelbildlich auch bei der Beseitigung von Benachteiligung von Männern. Ist es zum Beispiel richtig, wenn Familiengerichte im Streitfall das Sorgerecht viermal häufiger den Müttern zusprechen?
Herr Jongen, Ihr Doktorvater Peter Sloterdijk
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh mein Gott!)
billigt Ihnen ja eine gewisse philosophische Bildung zu – allerdings mit falschen Zitaten, wie er sagt. Diese Bildung endet offenkundig bei Erkenntnissen über Wissenschaftsevolution.
„Ich bitte um keine Gefälligkeiten für mein Geschlecht“, hat die jüngst verstorbene US-Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg 1973 gesagt. Und: „Alles, was ich von unseren Brüdern verlange, ist, dass sie ihre Stiefel aus unseren Nacken nehmen.“
(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Jongen, möge die AfD mit ihren Stiefeln nicht nur der Genderforschung, sondern keiner einzigen Wissenschaft jemals zu nahe treten können.
Frohe Weihnacht!
(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Götz Frömming [AfD]: Oh, oh! Jetzt können Sie den Stahlhelm wieder absetzen! – Martin Hohmann [AfD]: Das war eine angsterfüllte Rede, Herr Sattelberger! – Gegenruf des Abg. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Ach, Angst!)
Vielen Dank, Herr Dr. Sattelberger. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Wiebke Esdar, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7491025 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 202 |
Tagesordnungspunkt | Förderung der Gender-Forschung |