17.12.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 202 / Tagesordnungspunkt 14

Wiebke EsdarSPD - Förderung der Gender-Forschung

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Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es mag vielleicht Zufall sein, dass in der Debatte über Geschlechterforschung, die wir gerade führen, erst an vierter Stelle die erste Frau redet. Dass in den Reihen der AfD nicht eine einzige Frau derzeit zu finden ist,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Woher wissen Sie denn das?)

ist, glaube ich, kein Zufall, sondern auch schon der erste Offenbarungseid über das Problem, das die AfD mit Frauen hat.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der Antrag, der uns heute vorliegt, ist aber, wenn man ihn genau liest, ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Ich will da gerne meinen Kollegen René Röspel, der das in einer der vorherigen Debatten bereits ausgeführt hat, noch mal konkretisieren. Denn Sie legen die Axt an die Wissenschaftsfreiheit, indem Sie die Genderforschung abschaffen wollen.

Der erste Schritt, den Sie hier ganz präzise beschreiben, ist der Schritt, dass Sie die finanzielle Förderung abschaffen wollen. Aber der Blick in die anderen europäischen Länder und auf das, was Ihre Brüder im Geiste, andere rechtsextreme Parteien, dort durchführen, lässt offenbar werden, was das einzige Ziel ist, nämlich mittelfristig die Geschlechterforschung ganz zu verbieten.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Genau darum geht es! – Dr.  Götz Frömming [AfD]: Und was ist mit Norwegen? Kein Wort zu Norwegen!)

Der Blick dazu nach Ungarn zeigt ganz konkret, wie die Regierung Einfluss genommen hat auf Wissenschaftsfreiheit und alle Studiengänge zur Geschlechterforschung verboten hat. Die Folgen für Ungarn sind verheerend, weil viele junge, gut ausgebildete Ungarinnen und Ungarn deswegen das Land verlassen, aber vor allem, weil viele junge Menschen oder auch Menschen jeden Alters enorm in der Ausgestaltung ihres Lebens eingeschränkt werden. Ihre Forderung hat zum Ziel, Frauen zu missbrauchen, sie an den Herd zu drängen, sie auf die Rolle der Frau und Mutter zu reduzieren. Für uns als SPD ist ganz klar: Das ist mit uns nicht zu machen. Wir stehen für die Gleichberechtigung aller Lebensentwürfe.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Hohmann [AfD]: Völliger Quatsch!)

Warum ist Geschlechterforschung wichtig? Die Geschlechterforschung hilft, zu erkennen, dass die zentralen Unterscheidungsmerkmale der Menschen beweglich sind, dass wir keine hormongesteuerten Wesen sind, so wie Sie zu behaupten versuchen, indem Sie in der scheinbar wissenschaftlichen Abhandlung in der Einleitung Ihres Antrags biologistisch argumentieren.

(Mechthild Rawert [SPD]: Auch die Männer sind hormongesteuert!)

Meine Damen und Herren, ich dachte, die Zeiten biologistischer Argumentationen hätten wir mit dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte überwunden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es geht in der Geschlechterforschung nämlich eben nicht darum, dass wir hormongesteuerte Wesen sind,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Auch!)

dass sich anhand von Körperorganen oder Hormonen ableiten lässt, was wir sind, dass wir so determiniert sind, sondern es geht darum, dass wir soziale Wesen sind,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Auch!)

dass wir durch die Erfahrungen, durch die Umwelt, die Umgebung, in der wir leben, geprägt werden und dass es darum auch entscheidend ist, in welcher sozialen Umwelt wir aufwachsen.

(Dr. Marc Jongen [AfD]: Auch, aber nicht nur!)

Warum verdienen denn Frauen europaweit immer noch 16 Prozent weniger als Männer, obwohl sie gleiche Berufe ausüben?

(Mechthild Rawert [SPD]: Der Stiefel im Nacken! – Dr.  Götz Frömming [AfD]: Weil sie häufiger Teilzeit arbeiten!)

Wie kann der Staat besser vor häuslicher Gewalt, unter der vor allem Frauen leiden, schützen? Die Geschlechterforschung stellt diese Fragen und findet darauf die richtigen Antworten. Die Geschlechterforschung kann auch Leben retten, indem sie aufzeigt, dass bei medizinischen Untersuchungen nicht vernachlässigt werden darf, dass beispielsweise bei Schlaganfällen oder bei Herzinfarkten die Symptome bei Frauen anders sind. In der medizinischen Forschung besteht weiterhin eine Benachteiligung von Frauen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

weil diese Phänomene in Studien nicht intensiv untersucht werden.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Hat niemand was dagegen!)

Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wer so wie Sie die Geschlechterforschung abschaffen will, der stellt damit die Geistes- und die Sozialwissenschaften in Gänze infrage.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Nein, gerade nicht!)

Und das, meine Damen und Herren, ist mit der SPD nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr.  Marc Jongen [AfD]: Das ist doch Quatsch!)

Darum freue ich mich, dass wir den Förderschwerpunkt „Innovative Frauen im Fokus“ in den nächsten sechs Jahren mit 41 Millionen Euro unterstützen

(Ulli Nissen [SPD]: Super!)

und damit bis zu 90 Forschungsvorhaben fördern, die zum Ziel haben, Frauen in den Fokus zu stellen, Wissenschaftlerinnen, deren wissenschaftliche Leistung, deren Innovationen immer noch weniger sichtbar sind als das, was von Männern erforscht und geleistet wird. Das fördern wir als Große Koalition explizit und holen damit Frauen aus dem Schatten heraus und machen sichtbarer, welchen Beitrag sie leisten.

(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich auch ganz allgemein, dass an so vielen Standorten – Sie haben ja die Zahlen rausgesucht – Gender Studies zu studieren sind, so wie bei mir zu Hause an der Universität Bielefeld, dass es dort Forschungsinstitute gibt wie beispielsweise das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung und dass all diese Menschen, die das studieren und daran forschen, morgen den Wissenschaftstag Geschlechterforschung begehen. Unter #4genderstudies werden Sie verfolgen können, was dort erarbeitet wird. Ich wünsche allen Akteurinnen und Akteuren morgen ein gutes Gelingen, einen erfolgreichen Tag. Und: Sie können sich gewiss sein: Wir lassen Sie in aller Freiheit forschen und lehren; aber wenn es um die politische Interpretation Ihrer Ergebnisse geht, dann haben Sie die SPD an Ihrer Seite.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr.  Marc Jongen [AfD]: Alles bestätigt! Danke!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr.  Esdar. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7491026
Wahlperiode 19
Sitzung 202
Tagesordnungspunkt Förderung der Gender-Forschung
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