Carsten SchneiderSPD - Regierungserklärung zum Impfbeginn in Deutschland und Europa
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Bundesgesundheitsminister dankbar, dass er eine Regierungserklärung zum Impfstart abgegeben hat. Das gibt uns die Gelegenheit zu einer umfassenden Aussprache. Ich halte das für notwendig.
Die Situation in Deutschland und in Europa ist immer noch bedrohlich. Die Mutationen des Coronavirus, die in Großbritannien, in Irland, aber auch in Südafrika neu entdeckt wurden und dort zu einer extrem hohen Ansteckungsgefahr und höheren Infiziertenzahlen führen, haben dazu geführt, dass wir über einen Wettlauf mit der Zeit reden, einen Wettlauf mit der Zeit um Menschenleben, einen Wettlauf, bei dem es darum geht, wieder zum normalen Leben zurückzukommen.
Die Einschränkungen, die wir haben, sind gewaltig: ökonomisch, sozial und insbesondere bildungspolitisch für Kinder aus Familien, die nicht über die Kompetenzen verfügen und vor allen Dingen nicht die digitalen Voraussetzungen haben, um schulische Veranstaltungen, wie sie derzeit nur möglich sind, so wahrzunehmen, wie es sein sollte.
Von daher: Volle Konzentration auf den einzigen Lichtblick, den wir haben! Der einzige Lichtblick, den wir haben, ist der Impfstoff. Die SPD-Fraktion, um das einmal deutlich zu sagen – ich weiß nicht, zu wem Sie, Herr Spahn, das mit dem nationalen Alleingang gesagt haben –, ist klipp und klar dafür, dass wir europäisch beschaffen und dass diese europäische Beschaffung von zusätzlichem Impfstoff auch dazu führt, dass alle Länder in Europa, die der EU angehören und ihn kaufen wollen, auch Zugang dazu haben. Klipp und klar!
(Beifall bei der SPD)
Der entscheidende Punkt ist aber – und das zu hinterfragen, gehört in einer Demokratie dazu –, ob die Entscheidungen, die sowohl in der EU-Kommission als auch von Ihnen in Ihrer Ressortverantwortung als Bundesgesundheitsminister und als Vorsitzender des Gesundheitsministerrates, den Sie im letzten halben Jahr innehatten, getroffen wurden, korrekt oder nicht korrekt waren.
(Christian Lindner [FDP]: So ist es!)
Es ist Kernaufgabe eines Parlaments, dies zu kontrollieren und zu hinterfragen – nichts anderes!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen – ich habe die Debatten im Bundestag dazu verfolgt –: Mir war über ein Angebot von BioNTech und Pfizer, der EU 200 Millionen zusätzliche Impfdosen über die Menge hinaus, die gekauft wurde, zur Verfügung zu stellen, nichts bekannt; das war mir nicht bekannt.
Wenn Sie mich als Abgeordneten des Bundestages oder meine Fraktion gefragt hätten: „Sollen wir diese zusätzlichen Mengen kaufen, auch wenn die Gefahr besteht, dass wir sie vielleicht nicht brauchen?“, dann hätte ich Ihnen gesagt: Angesichts der sozialen und ökonomischen Kosten, die das Schließen, das Herunterfahren dieses Landes hat, sind die Kosten für die Beschaffung des Impfstoffes eine Lappalie, eine wirkliche Lappalie. Wir hätten es machen müssen, und Sie hätten sich das Einverständnis auch holen können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Meine Damen und Herren, das ist keine Kritik an der EU generell – im Gegenteil! Das ist eine Kritik an dieser Entscheidung, ein Hinterfragen der Entscheidung; denn bisher ist uns das offiziell so noch nicht mitgeteilt worden.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir als SPD-Fraktion eine ganz klare Priorität, nämlich impfen, impfen, impfen! Was wir dafür brauchen, ist der Impfstoff. Sie, Herr Spahn, haben heute gesagt: In diesem Jahr oder, ich weiß nicht ganz genau, bis zum Sommer könnte jeder, der möchte, eine Impfung bekommen. – Ich hoffe das sehr. Ich vermute aber, dass das nur möglich ist, wenn der Impfstoff von AstraZeneca zugelassen wird.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, genau!)
Denn das, was Sie jetzt zusätzlich bestellt haben, verbunden mit einem Hochfahren der Industriekapazitäten, aber vor allen Dingen mit der Bestellung über die EU-Kommission, wird wahrscheinlich erst im zweiten Halbjahr – da reden wir über den Herbst dieses Jahres – zur Verfügung stehen, während die Menschen in anderen Ländern bereits geimpft sind. Das, meine Damen und Herren, ist eine politische Entscheidung, die ich für von solcher Relevanz für dieses Land halte, dass der Bundestag sich darüber unterhalten muss und auch eine klare Linie vorgeben muss.
Wir haben als SPD-Fraktion gefordert, dass es einer nationalen Kraftanstrengung bedarf, dass alle Kapazitäten – ich weiß nicht, ob Sie, Herr Lindner, damit einen Tag früher oder später kamen; das ist mir auch egal – gebündelt werden, um zusätzliche Produktion in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Dazu hat die Frau Kollegin Maag gesagt – ich war entsetzt, als ich das im „Tagesspiegel“ gelesen habe; ich zitiere –:
Maag äußerte die Befürchtung, der SPD-Vorschlag
– Impfgipfel und Ausweitung der Kapazitäten –
ziele womöglich auf Eingriffe in die Eigentumsrechte der Herstellerfirmen. „ Ein solcher Eindruck wäre für unseren Forschungsstandort fatal“, sagte sie.
Meine Damen und Herren, das ist eine abenteuerliche Argumentation, die ich nur in aller Form zurückweisen kann. Ich bin auch froh, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU dies zumindest öffentlich korrigiert und gesagt hat,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
er sei auch klar für eine Ausweitung – wie im Übrigen auch der bayerische Ministerpräsident, der sonst ja mit sehr vielen Vorschlägen auffällt, aber auch mit diesem gekommen ist.
Zweiter Punkt. Die Begleitung der Pandemie wird uns noch viel Zeit kosten. Ich will hier auch klar sagen: Ich finde die zwei Entscheidungen, die das Kabinett heute getroffen hat,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Olaf Scholz?)
nämlich Sequenzierung und Einreiseverordnung – jemand, der aus Staaten, die als hohes Risikogebiet klassifiziert sind, einreist, muss einen negativen Test vorlegen –, absolut richtig. Ich frage mich nur: Die Mutation in Großbritannien ist seit dem 18./19. Dezember bekannt, die in Südafrika ähnlich lange. Die Reisenden – es soll ja Leute geben mit so viel Geld, die im hiesigen Winter dort ihren Sommerurlaub machen – sind bereits wieder da. Warum hat das so lange gedauert? Ich halte das für fahrlässig angesichts dessen, dass wir das ganze Land in weiten Teilen zurückgefahren und alle mit Einschränkungen zu leben haben.
Außerdem: Auch die Sequenzierung – –
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Frau Kollegin Roth, Sie haben etwas gesagt?
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gefragt, was Sie im Dezember dazu gesagt haben! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Ach, es war die Kollegin Lemke. Ich bin dankbar für den Zuruf, den Sie jetzt gemacht haben. Ich wundere mich sowieso, dass die Grünen sich mittlerweile mehr als Regierungssprecher der CDU gerieren,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gelacht!)
als Oppositionspolitik zu machen; aber bitte schön. – Ich kann Ihnen nur sagen: In anderen Ländern, auch in Großbritannien, wird diese Sequenzierung gemacht. In Deutschland ist das erst seit heute durch die Verordnung möglich. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn ich Fachressortminister wäre an so einer Stelle, hätte ich schon längst auf diesem Recht bestanden und diesen Vorschlag gemacht.
Von daher, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur gut, dass der Olaf Scholz schon weg ist! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Detlev Spangenberg, AfD, ist der nächste Redner.
(Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Es bleibt uns nichts erspart!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7495532 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Impfbeginn in Deutschland und Europa |