13.01.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 203 / Zusatzpunkte 1–3

Rainer SpieringSPD - Deutsche und EU-Landwirtschaftspolitik

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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Protschka, Sie können fordern, was Sie wollen.

(Stephan Protschka [AfD]: Stimmt, in der übernächsten Legislatur wirken wir sowieso mit!)

Aber Sie bemühen Wissenschaft, obwohl Sie nicht eine einzige wissenschaftliche Ausarbeitung gelesen haben. Wenn Sie sich wenigstens mit den Ressortforschungseinrichtungen des Bundesministeriums beschäftigen würden. Ob es das Thünen-Institut, das Friedrich-Loeffler-Institut, das Max-Rubner-Institut ist: Bei allen Instituten wird Ihnen der Unsinn, den Sie verbreiten, widerlegt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen: Sagen Sie, was Sie wollen, aber bemühen Sie niemals Wissenschaft. Niemals – Sie nicht.

(Stephan Protschka [AfD]: Aber Sie hören darauf! – Weiterer Zuruf von der AfD: Arrogant!)

Jetzt zur Frage der GAP. Ich habe im Vorfeld ein schönes Zitat von Ludwig Erhard gelesen.

Ein Kompromiss, das ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen.

Ja, das hat mich dann nachdenklich gemacht. Ich habe darüber nachgedacht: Wer hat denn jetzt den größten Teil des Kuchens bekommen? Ich kann in meiner Einschätzung irren, aber offensichtlich haben sich die Agrarminister so verständigt, dass sie der Meinung sind, jeder hätte den größten Teil des Kuchens bekommen.

Ob das auf der ökologischen Seite auch so bewertet wird, daran habe ich große, große Zweifel. Deswegen bemühe ich jetzt den Kommentar einer angesehenen Zeitung dazu, und zwar „Die Zeit“ vom 26. November 2020. Es geht um die Umstellung auf die Direktzahlung – Kurzform: „Mehr Hektar, mehr Geld“. Die Absicht war,

es sollte so lange fließen, bis die Betriebe durch effizienteres Wirtschaften konkurrenzfähig gemacht wären. Das war die Theorie. In der Praxis verschwanden trotzdem viele Betriebe – die Förderung machte die großen noch reicher, während die kleinen nicht überlebten. Wer viel Fläche besitzt, wurde bevorteilt.

– Das sagt „Die Zeit“.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD: Muss ja stimmen!)

Ich glaube auch, dass das stimmt.

(Stephan Protschka [AfD]: Das ist ein Wissenschaftsmagazin, oder?)

Die Zahlen, die genannt werden, stimmen auch. 1998 555 000 Betriebe, jetzt 266 000 Betriebe. Das macht deutlich, dass sich diese Form der Förderung mit Geld pro Fläche weder ökologisch noch ökonomisch oder vor allem – das ist das Allerschlimmste – für die Landwirtschaft nicht ausgezahlt hat. Deswegen glaube ich, dass wir einen Paradigmenwechsel durchführen müssen.

Frau Klöckner, Sie haben dankenswerterweise angesprochen, dass wir das gemeinsam machen. Ja, das glaube ich auch. Das BMU hat heute eine Stellungnahme dazu abgegeben. Diese muss nicht jedem gefallen. Aber es ist auch ein starkes Ministerium. Ich würde Sie dringend bitten, im Schulterschluss mit dem BMU diese weitreichende Problematik für uns gemeinsam zu lösen. Ich glaube, wenn ein Wille dazu da ist, dann ist es auch machbar.

Jetzt möchte ich aufzeigen, welche Vorteile das für einen kleinen Betrieb bedeutet. Die Rechnung ist einfach: 100 Hektar 30 000 Euro, 10 Hektar 3 000 Euro. Das Europaparlament – Frau Ministerin, das ist auch eine demokratische Institution – wird immer noch für die 30 Prozent streiten. Timmermans wird für die 30 Prozent streiten. Phil Hogan hatte 40 Prozent vorgesehen aus der ersten Säule.

(Julia Klöckner, Bundesministerin: Nein! Das stimmt nicht!)

Nehmen wir das einmal als Grundlage. Jetzt mache ich einmal folgende Rechnung auf: Ich reduziere den Betrag in der ersten Säule wirklich massiv – ich sage einmal – auf 60 Prozent und belohne dann Agroforstsysteme mit materiellen Leistungen aus der GAP. Dann kann der Zehn-Hektar-Hof nicht 3 000 Euro, sondern 5 000 oder 5 500 Euro bekommen. Das bedeutet für einen kleinen Hof – die Landwirte, die hier sitzen, wissen das alles – 400 bis 450 Euro pro Monat mehr Ertrag. Das ist für jeden kleinen Hof viel, viel Geld. Wir würden es den Kolleginnen und Kollegen aus der Landwirtschaft von Herzen gönnen, wenn sie für öffentliches Geld öffentliche Leistungen erbringen können und dafür Anerkennung bekommen – nicht nur materiell, sondern auch als moralische Tat – und wenn man ihnen auch zubilligt, dass sie das für die Gesellschaft tun.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen raus aus dieser Endlosschleife: Je mehr Geld Sie in das System pumpen, desto interessanter wird es natürlich für jeden, der auf Großimmobilien setzt. Sie kennen die Beispiele: Münchener Rück, Aldi, die Schwarz-Gruppe mit Lidl, deren Stiftung. Alle die stürzen sich auf diesen fetten Brocken sicherer Finanzierung und hoher Rendite durch die EU. Warum lassen Sie das zu? Warum suggerieren Sie auch noch den Kleinsten der Kleinen, die sich nicht wehren können, das sei etwas Gutes? Es ist nichts Gutes.

Ich will Ihnen auch mal sagen, warum einer wie ich will, dass kleine Landwirtschaft lebt: Unsere Dörfer zu Hause leben von dem Bild der kleinen Höfe, und natürlich brauchen die ein zusätzliches Einkommen, weil die Höfe in der Instandhaltung Unmengen Geld kosten. Man muss dafür wahnsinnig viel Geld verdienen. Ich habe zu Hause selbst so einen Klotz am Bein; dafür braucht man Geld. Aber dann dürfen wir es doch nicht denen geben, die sowieso Unmengen Geld haben, sondern wir müssen es denen geben, die ihre Höfe erhalten wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit können wir unsere Landschaft so erhalten, wie sie ist. Mein Gott, das kann doch nicht so schwer sein. Das Bild von einer intakten Landschaft, von honorierter Arbeit muss mehr wert sein als der Börsenwert, für den er im Moment verkauft wird. Mir tut das bitter leid.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Gero Hocker hat das Wort für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7495597
Wahlperiode 19
Sitzung 203
Tagesordnungspunkt Deutsche und EU-Landwirtschaftspolitik
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