14.01.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 204 / Tagesordnungspunkt 13

Ursula SchulteSPD - Ernährungspolitischer Bericht 2020

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Ernährungspolitische Bericht der Bundesregierung beleuchtet den Zeitraum von 2016 bis 2020 und zeigt – und darüber freue ich mich sehr –, wie bedeutend das Thema Ernährung in den letzten Jahren geworden ist. Der Bericht führt uns aber auch vor Augen, dass es im 21. Jahrhundert noch immer nicht gelungen ist, den Hunger zu beseitigen. 820 Millionen Menschen hungern weltweit, und mehr als 2 Milliarden Menschen sind von Mangelernährung betroffen. Das ist beschämend, auch weil gleichzeitig 1,3 Milliarden Tonnen genießbarer Lebensmittel jedes Jahr weltweit vernichtet werden, mindestens 12 Millionen Tonnen allein in Deutschland. Diese Zahlen mahnen uns, das Menschenrecht auf Nahrung niemals aus den Augen zu verlieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Coronapandemie hat die Situation gerade in den ärmsten Ländern noch einmal verschlimmert. Aber auch in den USA, dem Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, wissen die Menschen nicht mehr, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, sie sind zunehmend auf Lebensmittelspenden angewiesen. Unser Sozialstaat hat sich in der Coronakrise, wie ich finde, wieder einmal bewährt und in vielen Fällen für schnelle Hilfen gesorgt. Wie oft habe ich im letzten Jahr den Satz gehört: Was für ein Glück, dass ich während dieser Pandemie in Deutschland leben darf. – Die Menschen meinen diesen Satz wirklich ernst. Wir können also alle zu Recht stolz auf unseren Sozialstaat sein.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sich gesund ernähren will, muss über entsprechende Kompetenzen verfügen, aber er muss sich auch gesunde Nahrungsmittel leisten können. Der Bericht erkennt den Zusammenhang zwischen Armut und ungesunder Ernährung an. Insbesondere Kinder aus benachteiligten Familien ernähren sich schlechter, sind häufiger krank oder übergewichtig. Die SPD-Fraktion hat zum Thema Ernährungsarmut ein umfangreiches Positionspapier verabschiedet. Viele unserer Forderungen decken sich mit denen des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz. Uns eint auch die Forderung nach einer kostenlosen Kita- und Schulverpflegung nach DGE-Standards in ganz Deutschland. Damit können wir den Ernährungsstatus aller Kinder verbessern und gleichzeitig für mehr Chancengleichheit und weniger Diskriminierung sorgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Wer Existenzängste hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, der hat den Kopf nicht frei, sich auch noch um gesunde oder gar nachhaltige Ernährung zu kümmern. Deswegen gehören die Abschaffung prekärer Beschäftigung und ein Mindestlohn von 12 Euro mit in die Debatte über gesunde Ernährung.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Mir liegt auch das Thema Ernährungsbildung sehr am Herzen, und zwar von der Kita an. Die Bundesländer müssen das endlich in ihren Bildungsplänen berücksichtigen. Ich begrüße sehr das aktuelle Forschungsprojekt der Europa-Universität Flensburg, mit dem nach Möglichkeiten für eine gezielte Ernährungsbildung gerade für verletzliche und bildungsferne Bevölkerungsgruppen gesucht wird. Das ist genau der richtige Weg.

Im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung – Frau Klöckner, Sie haben es auch erwähnt – leisten die Vernetzungsstellen für Schul- und Kitaverpflegung sowie Seniorenverpflegung bereits gute Arbeit. Sie sind aber immer noch zu wenig bekannt. Es gilt, die kommunalen Verwaltungen und Räte stärker für das Thema zu gewinnen. Oft wird ja gedacht, gutes und gesundes Kantinenessen sei um ein Vielfaches teurer; wir wissen aber aus Untersuchungen und auch aus Gesprächen etwa mit der Berliner Kantine Zukunft, dass das so nicht stimmt.

Es sollte auch selbstverständlich sein, dass in allen Schulen Wasserspender vorhanden sind; denn das Lieblingsgetränk der Kinder, gesüßte Limonade, ist nicht gesund und sorgt für Übergewicht, wenn man nicht Maß halten kann. Eine Limonadensteuer könnte hilfreich sein, ausdrücklich nicht als Einnahmequelle des Staates, sondern in erster Linie als Lenkungssteuer. Wir können uns da ein Vorbild an unserer Steuer auf Alcopops nehmen, deren Aufkommen heute nur noch ein Zehntel dessen beträgt, was im ersten Jahr eingenommen wurde. Wir haben durch diese Alcopopsteuer also das Ziel erreicht. Die mit einer Limonadensteuer gewonnenen finanziellen Mittel könnten wir umgehend in Bewegungs- und Sportprogramme für Kinder investieren; denn da sind wir uns doch hoffentlich alle einig: Gesunde Ernährung und Bewegung gehören unbedingt zusammen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sich gut und gesund zu ernähren, setzt Vertrauen in die Produzenten und Hersteller unserer Lebensmittel voraus. Ich vertraue den Landwirten bei mir vor Ort, die sich Tag für Tag bemühen, gesunde Produkte zu erzeugen.

(Beifall des Abg. Karlheinz Busen [FDP])

So wie mir geht es vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern; denn regionale Produkte werden immer beliebter. Der Kennzeichnung „Regionalfenster“ mit seinen über 4 000 Produkten stellen die Verbraucherinnen und Verbraucher ein sehr gutes Zeugnis aus.

Die Landwirte allerdings fühlen sich nicht wertgeschätzt. Das liegt unter anderem daran, dass ihre Produkte teilweise verramscht werden. Gerade bei Fleischprodukten sind die niedrigen Preise für mich auch eine ethische Frage; denn das Kotelett war vorher ein lebendiges Mitgeschöpf. Mich macht es sehr nachdenklich, dass immer mehr Familienbetriebe aufgeben, weil sich ihre Arbeit nicht mehr lohnt und weil sie keine Zukunft mehr für sich sehen. Es ist doch an der Zeit, dass wir genau diese Betriebe stärker in den Blick nehmen und auch stärker unterstützen.

Ich denke da an die GAP-Mittel und an die Diskussion gestern Abend: Die GAP-Mittel sollen doch unter anderem das Einkommen der Landwirte absichern; daher kann und will ich nicht verstehen, warum wir über die Flächenprämie das Einkommen von Investoren sichern, die mit Landwirtschaft nichts am Hut haben. Das Geld gehört in die Hände der aktiven Landwirte, insbesondere in die Hände der Familienbetriebe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns auch ruhig mal als Koalitionäre auf die Schultern klopfen; denn wir haben im vergangenen Jahr viel erreicht für die gesunde Ernährung und für den gesundheitlichen Verbraucherschutz. Meine Zeit läuft mir trotz der 7 Minuten Redezeit weg, deswegen erwähne ich nur: Die Einführung des Nutri-Score, die Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung, das Verbot von Zucker in Kinder- und Säuglingstees – das alles kann sich wirklich sehen lassen. Natürlich hätten wir als SPD einiges viel lieber verbindlicher gestaltet. So hätten wir wahrscheinlich schon längst das Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel auf den Weg gebracht; aber wir sind beharrlich und konnten mit dem Haushalt 2021 noch mal Akzente setzen im Bereich der Ernährungsarmut und Tafeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mir wirklich Sorge bereitet, ist das Thema Lebensmittelkontrollen. Auch wenn hier in erster Linie die Länder zuständig sind, dürfen wir die Augen doch nicht davor verschließen, dass es einfach zu wenig Kontrolleure gibt. Immer wieder wird mir gesagt: Wir können wegen Personalmangels unserer Verpflichtung eigentlich nicht im erforderlichen Maße nachkommen. – Die gerade geänderte AVV RÜb wird vom Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure anders betrachtet als von Ihnen, Frau Ministerin. Sie sehen darin eine Schwächung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Dabei gehört genau dieser zu den zentralen Elementen der staatlichen Fürsorgepflicht. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass die Lebensmittel sicher sind. Verstöße gegen das Lebensmittelrecht sind keine Kavaliersdelikte.

Ich hätte Ihnen gerne noch was über Nahrungsergänzungsmittel gesagt, komme aber nicht dazu, weil mir die Redezeit davonläuft. Ich möchte einfach als Fazit der Lektüre des Ernährungspolitischen Berichtes Folgendes sagen: Ich finde, wir haben beachtliche Fortschritte auf dem Weg zu einer gesunden Ernährung und zu mehr Verbraucherschutz für alle erreicht. Erfolge wollen immer alle gerne für sich reklamieren. Natürlich sage ich auch: Die SPD war hier oft der Motor; aber im Bereich gesunde Ernährung haben wir trotz sonstiger Querelen in der Koalition gut zusammengearbeitet und auch im Ministerium oft ein offenes Ohr gefunden. Darüber freue ich mich. So sollten wir im Interesse der Menschen weiter miteinander arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete Nicole Bauer das Wort.

(Beifall bei der FDP)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7495873
Wahlperiode 19
Sitzung 204
Tagesordnungspunkt Ernährungspolitischer Bericht 2020
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