Martina Stamm-FibichSPD - Freigabe der Patente für Impfstoffe
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mich die aktuelle Debatte über die Beschaffung der Coronaimpfstoffe schon sehr stark verwundert. Noch im letzten Frühjahr sah es nämlich so aus, als ob wir frühestens in diesem Frühjahr, also so in zwei Monaten, mit dem flächendeckenden Verimpfen beginnen könnten. Es ist also ein absoluter Glücksfall, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt bereits zwei zugelassene Impfstoffe haben. Ein weiterer Impfstoff durchläuft gerade den Zulassungsprozess, und wir werden ihn sehr wahrscheinlich zeitnah zur Verfügung haben.
Die völlig unsachliche Kritik an der Bestellung der Impfstoffe durch die EU, die sich übrigens auch in dem Antrag der Linken wiederfindet und die wir gestern dann noch einmal von der Fraktionsvorsitzenden der Linken zu hören bekommen haben, kann ich absolut nicht nachvollziehen.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Da hat Ihr PGF mir zugestimmt!)
Es ist fast schon lachhaft, wenn Die Linke auf einmal die nationalen Egotrips der USA und Israels zum Vorbild für Deutschland erklärt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Sie kritisieren doch die CDU die ganze Zeit! Was ist das jetzt wieder? Man weiß gar nicht mehr, was die SPD für eine Meinung hat!)
Der Vorwurf, dass sich Deutschland im Verteilungskampf zuungunsten unserer Partner mehr Impfstoff hätte sichern sollen, ist unsolidarisch und geht am Kernproblem absolut vorbei.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Sie haben mir doch gar nicht richtig zugehört! Ich habe das Gegenteil gesagt!)
Wer die Debatte beobachtet hat, muss von der Rhetorik geschockt sein. Wer die Verteilungskämpfe um Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie verfolgt hat, der erlebt jetzt sein Déjà-vu. So zerschmettern wir politisches Porzellan auf dem internationalen Parkett, ohne dass es auch nur das Geringste nützen würde.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Aber das ist doch genau das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe! Sie haben gar nicht zugehört!)
Es grenzt vor diesem Hintergrund fast ans Zynische, dass wir heute einen Antrag beraten, dessen Kern die Solidarität bei der globalen Verteilung der Impfstoffe ist.
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Sie haben mir null zugehört!)
Wenn die Diskussion über die Beschaffung und Verteilung der Impfstoffe innerhalb Europas bei allen Parteien in diesem Hause bereits eine derartige politische Rhetorik schürt, kann es mit der Solidarität außerhalb der europäischen Grenzen auch nicht weit her sein.
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe! Was machen Sie hier?)
Und tatsächlich, die Regierungen der reichen Länder einschließlich Deutschlands, die lediglich 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, haben sich bereits mehr als 50 Prozent der Impfdosen gesichert. Gleichzeitig besteht kein einziger Exklusivvertrag mit einem Entwicklungsland. Wir müssen zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass eine Durchimpfung der Weltbevölkerung frühestens bis 2023 erreicht werden kann. Es wird mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung in den ärmsten Ländern gerechnet. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Armutszeugnis für die ganze Welt, aber auch für uns.
(Beifall bei der SPD – Kersten Steinke [DIE LINKE]: Das hat Herr Kessler auch gesagt!)
Wer mich kennt, weiß: Ich bin kein Freund davon, die pharmazeutische Industrie zu verteufeln. Ich weiß: Manche im Plenum halten Big Pharma für das personifizierte Böse. Denen kann ich nur entgegnen, dass wir ohne Big Pharma nicht da wären, wo wir heute stehen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sehe darüber hinaus, dass es aufseiten der Industrie große Bemühungen gibt, die Nachfrage nach dem Impfstoff zu decken. Es wird geschätzt, dass alle Unternehmen, die dieses Jahr einen Impfstoff auf den Markt bringen werden, ihre gemeinsamen Kapazitäten auf 4,5 Milliarden Impfdosen für das Jahr 2021 ausbauen können. Wir als SPD-Fraktion begrüßen diese Anstrengungen ausdrücklich.
(Beifall bei der SPD – Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Mein Gott! Was ist aus der Sozialdemokratie geworden? Das ist ein Trauerspiel!)
Aber ich sehe natürlich auch, dass das nicht ausreichend ist. Und ich befürchte auch, dass es am Ende wieder die ärmsten Länder sind, die den größten Schaden tragen. Um das zu vermeiden, müssen sowohl die Bundesregierung als auch die EU Maßnahmen ergreifen, um den globalen Kampf gegen die Pandemie solidarischer zu gestalten.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Ja. – Entschuldigen Sie, ich habe den Wechsel des Vorsitzes nicht mitbekommen. Ich habe mich gefragt: Welcher Mann spricht da?
Ich komme aus Schleswig-Holstein, aus Kiel. Ich wollte nur sagen: Wir haben gestern die Bayern geschlagen. Insofern kann mich nicht erschüttern, dass Sie den Wechsel nicht mitbekommen haben.
(Heiterkeit und Beifall)
Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir das Wort erteilt haben, und herzlichen Glückwunsch nach Schleswig-Holstein.
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Danke!)
Vielen Dank, liebe Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Wenn ich das richtig sehe, sprechen Sie für die Fraktion der SPD. Ich habe drei Fragen:
Erstens. Ist Ihnen bekannt, dass auch der Vizekanzler – meines Wissens Mitglied Ihrer Partei – massive Kritik an der Impfstoffstrategie der Bundesregierung geäußert hat? Auch Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer hat in die Kritik eingestimmt. Warum Sie das jetzt so pauschal zurückweisen, verstehe ich nicht.
Zweitens. Haben Sie der Rede meines Kollegen Achim Kessler ein bisschen gelauscht? Er hat ausdrücklich gesagt, dass er sich keine andere, egoistische Verteilung des Impfstoffs wünscht; vielmehr hat er gefordert, dass die Impfstoffkapazitäten ausgeweitet werden. Dazu würde ich gerne etwas von Ihnen hören.
Drittens. Wie Sie wissen, haben wir in Berlin eine rot-rot-grüne Regierungskoalition.
(Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Schlimm genug!)
Ist Ihnen bekannt, dass in Berlin auf maßgebliches Betreiben der Linken und der SPD-Fraktion ein gemeinsamer Antrag in das Abgeordnetenhaus eingebracht wurde, der ausdrücklich fordert, dass von den entsprechenden Regelungen im Infektionsschutzgesetz Gebrauch gemacht wird und die entsprechenden Lizenzen freigegeben werden, um die Impfstoffkapazitäten erweitern zu können? Der Regierende Bürgermeister Müller hat hier gestern sehr deutliche Kritik an der Regierung in dieser Frage geübt. Ich würde Ihnen sehr empfehlen, mit Ihren Fraktionskollegen und auch mit Ihren Parteikollegen in Berlin zu sprechen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Sehr geehrter Kollege, wenn Sie meiner Rede bis zum Ende gefolgt wären, dann wüssten Sie, was ich dazu gesagt hätte, welche Anstrengungen es braucht. Das ist das eine.
Zum anderen habe ich nicht auf die Rede von Herr Kessler Bezug genommen, sondern auf das, was wir gestern von der Fraktionsvorsitzenden gehört haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich habe es mir extra noch einmal angehört. Ich sage sehr explizit – ich finde den Hinweis auch richtig –: Das, was Sie gestern gesagt haben, hat mich umgetrieben.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Es stimmt doch einfach!)
Der Vergleich mit USA und Israel hat mich ins Mark getroffen. Das haben Sie gestern so gesagt.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das ist doch auch so!)
Ich möchte jetzt gerne weiter ausführen.
(Beifall bei der SPD)
Um zu vermeiden, dass die ärmsten Länder den größten Schaden tragen – das sagte ich bereits –, und um den globalen Kampf gegen die Pandemie solidarischer zu gestalten, muss die EU Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören die Aufstockungen der Mittel der COVAX-Initiative der WHO, und dazu gehört auch der konsequente Transfer von Technologien und Forschungsdaten in den von der WHO etablierten Covid-19 Technology Access Pool. Und in letzter Konsequenz gehört auch die Lockerung von Patentrechten für Covidimpfstoffe und ‑therapien dazu, solange die Pandemie andauert. Aktuell passiert in diesen drei Feldern so gut wie nichts.
Ganz besonders ärgert mich die Blockade der Lockerung von Patentrechten mit dem Argument, dass dieser Schritt den Wettbewerb in der Impfstoffverteilung behindern würde. Das ist schlichtweg falsch, und dafür gibt es auch Beispiele. Bereits bei der Bekämpfung von HIV hat sich gezeigt, dass die Aufhebung von Patentmonopolen für die Behandlung von ärmsten Teilen der Weltbevölkerung eine Erfolgsgeschichte ist. Es ist klar, dass die Lockerung von Patentrechten keine Sofortlösung aller Probleme ist. Impfstoffe sind schließlich keine Gummibärchen, und nicht jeder kann sie in der Qualität herstellen, in der sie benötigt werden.
Dennoch bin ich der Meinung, dass eine solche Initiative, besonders mit Blick auf die Impfstoffe, die jetzt in der Pipeline sind, zur Verbesserung der Situation beitragen kann. Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung noch einmal ganz tief in sich gehen und überlegen, ob außergewöhnliche Krisen nicht doch außergewöhnliche Lösungsansätze brauchen.
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch unserem Antrag zu! Das ist genau das, was wir wollen!)
Ich bin davon überzeugt, dass wir dann dieser Pandemie global beikommen können.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Stamm-Fibich. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Andrew Ullmann, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
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Electoral Period | 19 |
Session | 204 |
Agenda Item | Freigabe der Patente für Impfstoffe |