14.01.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 204 / Zusatzpunkt 10

Alexander Graf LambsdorffFDP - Aktuelle Stunde - Strategien zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was waren das für schreckliche Bilder! Verschwörungsfanatiker, Neonazis, Demokratiefeinde, Wissenschaftsleugner, Rassisten erstürmen das Parlament. Fahnen rechtsextremer Organisationen waren zu sehen, auch viele Abzeichen und Symbole verfassungsfeindlicher Gruppierungen. Die Polizei in der Hauptstadt war kaum darauf vorbereitet und tat ihr Bestes, den Ansturm zurückzuschlagen.

Und im Parlament? Einige Abgeordnete mischten sich unter die Gewalttäter, nahmen sogar an der Demonstration teil, von der die Gewalt ausging, Gewalt, die darauf abzielte, die Freiheit, die Verfassung und die Demokratie zu untergraben, ja, zu zerstören. Schreckliche Bilder, in der Tat!

Meine Damen und Herren, ich rede über den 29. August 2020 hier in Berlin. Ich rede über den – dank unserer Polizei – glücklicherweise gescheiterten Versuch, in den Bundestag einzudringen.

(Zurufe von der AfD)

Ich rede über die Demokratiefeinde in diesem Parlament. Es wäre nämlich ganz falsch, wenn wir uns von den Bildern in Washington abwenden und glauben würden, sie beträfen uns nicht auch, und zwar ganz direkt.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Keine Partei ist den QAnon-Lügen, den Hawleys, Gosars und Cruzes näher als die AfD. Paradoxerweise ist zugleich keine Partei so antiamerikanisch wie unsere Rechtsextremen hier und bewundert, wie Donald Trump auch, nicht etwa naiver-, sondern gefährlicherweise die Autokraten der Welt, ganz gleich, ob Sie sie nun in Moskau oder Damaskus finden. Vielleicht will Herr Chrupalla demnächst einmal nach Minsk; da kann er noch etwas lernen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, was am 29. August 2020 hier geschah, war von der Anlage her das Gleiche wie der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar.

(Jürgen Braun [AfD]: Wo leben Sie denn? Ihr Vater würde sich schämen für Sie!)

Ich weiß, der eine oder andere mag sagen: Solche Vergleiche sind schwierig. – Ich sage: Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung, aber die Parallelen liegen auf der Hand. Eine große Gruppe von Menschen, die jahrelang von Freiheitsfeinden, Antidemokraten und ihren publizistischen Büchsenspannern mit Lügen in die Irre geführt wurden, schreitet unter Führung zynischer Rädelsführer und gewaltbereiter Gruppen zur Tat, zum versuchten und teilweise vollendeten Verbrechen gegen Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie.

(Beifall des Abg. Michael Theurer [FDP])

Die Ereignisse von Berlin wie von Washington waren das Ergebnis eines jahrelangen Angriffs auf die Wahrheit, eines Angriffs auf Fakten und Vernunft, auf Wissenschaft und Logik.

(Beifall bei der FDP)

Schon Hannah Arendt hat das beschrieben: Die Zerstörung des Wissens um das, was richtig ist, was Fakten sind, schafft die Voraussetzung für totalitäre Regime.

(Jürgen Braun [AfD]: Was wissen Sie schon von Hannah Arendt?)

Der Historiker Timothy Snyder hat das letztes Wochenende in der „New York Times“ nachgezeichnet: Durch jahrelange kleine und größere Lügen hat Donald Trump es geschafft, dass seine Anhänger ihm auch seine ganz großen Lügen abgenommen haben.

Seine Gegnerin von vor vier Jahren, Hillary Clinton, verleumdete er als Rechtsbrecherin. „ Lock her up!“

(Beatrix von Storch [AfD]: Ist ja unerhört!)

„Sperrt sie ein“, war der Slogan auf seinen Wahlkampfveranstaltungen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Unerhört! Der muss gesperrt werden! Das darf er nicht sagen!)

Und es gibt eine direkte Linie von „Lock her up“ zu „Stop the steal“.

(Beatrix von Storch [AfD]: „Stop the steal“! Um Gottes willen!)

Auftritt für Auftritt, Lüge für Lüge, Tweet für Tweet behauptete er, die Präsidentschaftswahl gar nicht verloren zu haben, nein, Joe Biden habe die Wahl gestohlen.

All das war keineswegs spontan. Das war nicht naiv; das ist kein Zufall. Donald Trump folgte einem Drehbuch, dem Drehbuch der Autokraten Orban, Kaczynski, Putin oder Erdogan.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Ich weiß ja nicht, welche Vorstellungen Sie haben, aber das glaube ich nicht!)

Trump erklärte demokratische Wettbewerber zu Feinden des Volkes, hetzte gegen Minderheiten im eigenen Land,

(Beatrix von Storch [AfD]: Autokraten machen andere Leute mundtot! Twitter ist ein Autokrat!)

fabulierte von einer ständigen Bedrohung aus dem Ausland, besonders durch Zuwanderer, konstruierte angeblich globalistische Eliten und korrupte Medien, die dem Volk die Wahrheit verschweigen. Dann stilisierten er und seine publizistischen Alliierten bei „Fox News“ sich zu den Einzigen, die noch die Wahrheit sagen und das Volk beschützen könnten.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Das ist ja wie bei Merkel! Alternativlos!)

Das ist zwar alles vollkommen falsch, aber wer sich die Publizistik der Neuen Rechten in Deutschland anschaut, sieht die Parallelen sofort.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist die Philosophie eines antidemokratischen Rechtspopulismus. Es ist die Philosophie des völkischen Autoritarismus. Es ist die Wurzel der Diktatur, und wir müssen diese Wurzel ausreißen, denn sie führt zu Gewalt, Leid und Tot.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, mein persönlicher Held der letzten Wochen ist der republikanische Wahlleiter des Bundesstaates Georgia, Gabriel Sterling, der immer wieder darauf hinwies, dass Worte Konsequenzen haben, dass das Verhalten und die Lügen von Trump und seinen Anhängern dazu führen, dass geschossen werden wird, dass Menschen sterben werden. Aus Worten werden Taten. – Er sollte recht behalten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Aber glücklicherweise hatte er auch in einer anderen Hinsicht recht. Die demokratischen Institutionen der Vereinigten Staaten von Amerika waren stärker als ihre Feinde. Gerade in Georgia wurde das klar. Ein Staat mit einem republikanischen Gouverneur, einem republikanischen Innenminister, einem republikanischen Wahlleiter führte die Wahl seiner beiden Senatoren rechtsstaatlich, demokratisch und korrekt durch. Das Ergebnis kann jeden Freund und Kenner des amerikanischen Südens nur überraschen. Zum ersten Mal wurden ein jüdischer und ein schwarzer Politiker von den Bürgerinnen und Bürgern des Peach State als Senatoren ins Kapitol nach Washington entsandt.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Ich habe lange in den USA gelebt und da studiert und gearbeitet. Damit hätte ich wirklich nicht mehr gerechnet.

(Beifall bei der FDP)

Aber schon vorher, in den Wochen und Monaten davor, haben sich die Wahlbehörden im ganzen Land genau wie Gerichte den antidemokratischen Umtrieben der Trump-Anhänger entgegengestellt. Richterinnen und Richter, nicht wenige von Präsident Trump selbst ernannt, haben alle Versuche zurückgewiesen, korrekt ermittelte Wahlergebnisse gerichtlich wieder zu kassieren. Auch der amerikanische Kongress hat nach Unterbrechung durch die Aktivisten, durch die Eindringlinge seine Aufgaben verfassungsgemäß erfüllt und festgestellt: Joe Biden wird der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Herr Graf Lambsdorff, Sie denken bitte an die Redezeit.

Jawohl. Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, nutzen wir die Chance, die die Wahl von Joe Biden und Kamala Harris bietet! Setzen wir uns für die Erneuerung der transatlantischen Partnerschaft ein! Kämpfen wir gemeinsam den Kampf gegen die Feinde von Frieden, Freiheit und Demokratie! Lassen Sie uns in Deutschland, Europa und den USA daran arbeiten, einander gute Freunde wo möglich, faire Konkurrenten wo nötig, vor allem aber verlässliche Verbündete für die Freiheit zu sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Alexander Graf Lambsdorff. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Petra Pau.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7495925
Wahlperiode 19
Sitzung 204
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Strategien zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta